Vom Reinheitsgebot der französischen Sprache

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Vom Reinheitsgebot der französischen Sprache

Über die Loyalität der Franzosen zu ihrer Sprache.

Sprache und Sprachentwicklung sind Teil der Kultur eines Landes – das weiß jeder. Dass Frankreich und Deutschland nicht nur in Sachen Frühstück verschieden sind, dürfte allen klar sein. Aufschlussreich ist die Tatsache, dass sich die Franzosen auch auf dem Gebiet der Sprachloyalität ganz erheblich von den Deutschen unterscheiden. Während der Franzose auf Anglizismen bzw. Amerikanismen (für die meisten Franzosen ist das schlicht dasselbe) in der Sprache mit selbst kreierten französischen Entsprechungen, seien sie noch so sehr an den Haaren herbeigezogen, antwortet, übernimmt der Deutsche freudig und ohne Zögern jedes noch so (über-)flüssige englischsprachige Wort und spricht von Ketchup, Fitness, Walkman und Computer, wo der Franzose an „tomatine“, „(re-)mise en forme“, „baladeur“ und „ordinateur“ denkt.

Geschichtlicher Hintergrund

Der französische König François I. war der erste, der die französische Sprache anstelle der Lateinischen in der Verwaltung und bei Gericht vorschrieb. Der Grund: Es gab einfach zu viele Missverständnisse. Ludwig XIV. führte später das Französische als diplomatische Sprache ein, bald darauf gewann es durch die Literatur noch mehr an Bedeutung und Anerkennung. An allen Höfen Europas, insbesondere in den Niederlanden, in England, Deutschland, Österreich und in der Schweiz war Französisch die exklusive Sprache der Diplomatie – sogar bis zum Ersten Weltkrieg.

Dialekte wurden regelrecht „abgeschafft“; sie zu sprechen, war unter Androhung strenger Strafen verboten. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts durften Schüler selbst in der Pause nicht in ihrem Dialekt miteinander sprechen. Der verstorbene französische Präsident Georges Pompidou erklärte 1972 sogar, dass es in Frankreich keinen Platz für Dialekte gebe. 1994 setzte der damalige Kulturminister Frankreichs Jacques Toubon dem Ganzen sozusagen die Krone auf, als er das „Gesetz zur Vermeidung von Anglizismen in der französischen Sprache“ erließ.

Aufgrund des Gesetzes vom 30. September 1986 sind Radiosender verpflichtet, einen Mindestanteil von 40 % der gesendeten Lieder auf Französisch zu garantieren. Das CSA, das Conseil Supérieur de l’Audivisuel, kontrolliert die Umsetzung des Gesetzes, spricht Warnungen aus und verhängt hohe Geldstrafen.

Jenseits aller Vorschriften

Diese Entwicklung erklärt zumindest teilweise, warum sich in Frankreich hartnäckig eine Art Sprachpurismus gehalten hat. Doch unabhängig von amtlichen Vorgaben und gesetzlichen Bestimmungen ist den Franzosen die „Reinheit“ ihrer Sprache ohnehin ungemein wichtig. Böse Zungen behaupten, dies sei vor allem auf die miserable Fähigkeit und/oder die geringe Motivation der Franzosen, Fremdsprachen zu erlernen.

Jeder neue Trend aus den USA oder Großbritannien wird in Deutschland sofort vermarktet und von den angepeilten Zielgruppen brav geschluckt. Ob Skateboard, Walking oder Ropeskipping, Bungee Jumping, Fast Food oder Workshop, alles, was von jenseits des Großen Teichs kommt, ist in Deutschland nicht nur willkommen, sondern wird mehr oder minder ungeprüft übernommen. Moment, werden Sie sagen, all diese Dinge gibt es auch in Frankreich, oder? Ja, zum Teil, aber wenn, dann mit nicht unerheblichen Abweichungen: Sie haben durchweg eine französische Bezeichnung und heißen planche à roulettes, marche nordique, corde à sauter, saut à l’élastique, restauration rapide und atelier. Die dahinter steckenden „Konzepte“ können sich nicht immer einfach, zum Teil kaum und in Einzelfällen gar nicht durchsetzen – zumindest nicht in der amtlich vorgeschriebenen Schreibweise, wie zum Beispiel das Wort „le chalenge“ (die Herausforderung) mit nur einem statt zwei L.

Wie wirkt sich diese tief verwurzelte Sprachloyalität aus?

Während in Deutschland die daily soaps und talk shows aus der Fernsehlandschaft gar nicht mehr wegzudenken sind, konnten sich die Franzosen zwar einigermaßen mit den zuckersüßen und Tränendrüsen drückenden „feuilletons télévisés“ – à la française, bitte schön – anfreunden; die „infovariétés“ oder „parleries“, wie die talk shows in Frankreich genannt werden, haben längst nicht die Ausmaße der deutschen TV-Welt angenommen.

Selbstverständlich gibt es trotz aller Bemühungen von Amts wegen zahlreiche Anglizismen in der französischen Sprache. Am interessantesten ist die Entwicklung im Bereich der Informatik und Medien, wo eine doppelköpfige Sprache existiert: Man kennt in der Regel die englischsprachigen Begriffe, amtlich vorgeschrieben und in der Regel häufiger genutzt werden jedoch die französischen Entsprechungen.

Beispiele

bug bogue
byte octet
CD cédérom
cluster grappe
data base banque de données
digital numérique
download télécharger / téléchargement
e-mail courriel
emoticon, smiley frimousse
firewall pare-feu
newsletter infolettre
package progiciel
phishing hameçonnage
software logiciel
spam pourriel, pollupostage

Hier sind hilfreiche Listen und Datenbanken zum Themenbereich Internet / Informatik aufgeführt.

Ein weiterer Bereich, der stark von englischsprachigen Begriffen geprägt ist, weil die betroffenen Trends aus dem angelsächsischen Sprachbereich kommen, ist der Sport. Da wird beim Tennis der tie break zum jeu décisif, der grand slam zum grand chelem, die frisbee (Scheibe) zum disque volant, das cardiotraining zum entraînement cardiovasculaire, das stretching zur gymnastique d’étirement, eine wild card zur invitation privilégiée, der snowboarder  zum nivoplanchiste usw. Wer sich hierfür interessiert, findet hier die komplette amtliche Liste von 2011.

Allen Bemühungen zum Trotz

Zahlreiche Wörter haben sich allerdings dennoch durchsetzen können, allerdings in Begleitung ihres waschecht französischen Pendants. Den Feierabend verbringt man in Frankreich im living (Wohnzimmer, auch salle de séjour), man bucht ein chambre single (Einzelzimmer, auch chambre simple), man trifft sich sur le net (im Internet, auch sur la toile), so mancher möchte gern devenir une star (ein Star werden – übrigens immer weiblich, auch wenn es sich um männliche Stars handelt, denn das engl. star = une étoile (Stern) – auch la vedette) usw. Paris by night, faire du shopping, le marketing, le business, le big boss, le parking, le camping (car), le score, le brunch… und viele mehr sind aus dem Französischen kaum noch wegzudenken.

Manche Wörter haben in der englischen Sprache mehrere Bedeutungen und sind zwar als Wort unverändert in der französischen Sprache übernommen worden, jedoch nur noch mit einer oder maximal zwei Bedeutungen. Beispiel: das englische coach bedeutet u.a. Waggon, Reisebus, Nachhilfelehrer, Trainer… Im Französischen ist es „nur noch“ der Trainer: le coach oder l‘entraîneur. Das gleiche Phänomen ist bei dem englischen Wort spot festzustellen, das im Französischen lediglich als Bühnenscheinwerfer und Werbespot (le spot publicitaire) bekannt ist.

Besonders aufschlussreich ist die Sprache der Jugend, die durch das Internet und sonstige Medien eine ganz eigene englischsprachige Prägung erfährt. So kauft Pierre das best of von Genesis (il achète le best of…), geht zum casting (il va au casting), ist Mitglied in einem fan-club (membre d’un fan club), spürt ein besonderes feeling (ressent un feeling particulier), mag einige rappeurs  und den groove in diesem song usw. Ganz besonders mag ich den Begriff flasher sur quelqu’un, was etwa dem deutschen „auf jem. abfahren“ entspricht.

Was immer man darüber denken mag – jeder Einzelne trägt zur Sprache seines Landes und somit zur Kultur seines Landes bei. Und zum Glück entwickelt sich Sprache kontinuierlich und unmerklich weiter.

  1. Hallo Giselle, vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Doch wer benutzt in Ihrem Bekanntenkreis „tomatine“ (nie gehört noch gelesen) oder baladeur?
    Herzlichst, Florence

    • Bonjour Florence, ich kenne niemanden, der etwas anderes als baladeur sagt (mich eingeschlossen). Bei tomatine würde ich rein gefühlsmäßig schätzen, dass etwa 70 % ketchup und der Rest tomatine sagen.
      Aber es geht ja hier nicht darum zu sagen, wie viele dies oder jenes Wort verwenden; es sind ja auch nur Beispiele. Es hängt natürlich immer von der Altersgruppe, dem Umfeld und den jeweiligen sprachlichen und sonstigen Einflüssen ab. Auch in meinen beruflichen Kontakten gibt es unter meinen franz. Landsleuten z.B. kaum jemanden, der byte oder megabyte verwendet. Mich faszinieren vor allem die geschichtlichen Hintergründe und die Entwicklung der Sprache(n).

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