Verkehrte Welt

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Verkehrte Welt

Wenn Frühstücken ganz anders als in Deutschland abläuft

Wenn in Frankreich früh morgens am Werktag der Wecker klingelt, beginnt wie in Deutschland „der ganz normale Wahnsinn“. Allerdings hören schon gleich nach der Morgentoilette die Gemeinsamkeiten auf. Was jetzt kommt, ist nicht für schwache (deutsche) Nerven gedacht.

Wer an Frankreich denkt, stellt sich üppig gedeckte Tische vor, sinniert über raffinierte viergängige Menüs auch an Werktagen, schwärmt für die große Vielfalt des Angebots auf den Wochenmärkten und träumt von mehreren hundert Käsesorten, Baguette, Rotwein und selbstredend von sprudelndem Champagner. Ja, mittags und abends trifft das wohl meistens zu (ohne Champagner).

Der Franzose macht in der Regel eineinhalb bis zwei Stunden Mittagspause und fährt nicht selten nach Hause, um sein wohl verdientes Mittagessen einzunehmen. Wenn er zu weit weg von seiner Arbeitsstätte wohnt, sucht er das bistrot oder café du coin auf, das nicht etwa eine Kuchentheke bereithält (das wäre nämlich ein salon de thé), sondern ein Mittagsmenü – dreigängig, bitte schön – zum Pauschalpreis serviert: ein kleines hors d’oeuvre (Vorspeise), ein plat de résistance (nein, das hat nichts mit den Widerstandskämpfen zu tun, das heißt wahrscheinlich so, weil man ja noch den Arbeitsnachmittag „überstehen“, also gegen die Müdigkeit ankämpfen muss) und natürlich ein dessert oder ein fromage (Käse) mit anschließendem petit café (das ist so etwas wie ein Espresso, also un p’tit noir). Und dazu gibt es immer ausreichend viel baguette, eine carafe d’eau (Leitungswasser in einer Karaffe) sowie ein Glas vin rouge.

Rotwein mittags? Na klar, ist nur Übungssache. Wer zum Beispiel aus Deutschland erstmals auf Dienstreise nach Frankreich fährt und sich zum „normalen“ Franzosen-Mittagessen wie beschrieben verleiten lässt, hat nicht selten Schwierigkeiten, den Nachmittag zu überstehen.

Aber was ist mit dem Frühstück? Tja, da sieht die Welt in Frankreich ganz anders aus. Adieu, Üppigkeit. Bonjour Croissant. Denn Monsieur und Madame Hixe (das ist das Pendant für den Herrn und die Frau Mustermann) reicht nämlich dieses halbmondförmige aus Butterblätterteig gefertigte Teilchen, das er oder sie – ja, jetzt kommt’s – tief in seinen/ihren café au lait oder in den p’tit noir  oder auch in den Kakao (chocolat) tunkt (tremper). Dabei überfliegt er oder sie schnell die Zeitung, das Ganze dauert keine fünf Minuten – deshalb heißt es ja auch petit déjeuner – also die kleine Mahlzeit, und schwupp, ab ins Auto. Der Arbeitstag beginnt.

Viele Franzosen – in diesem Fall meine ich jetzt die männlichen Vertreter der Grande Nation – nehmen ihr petit déjeuner gar nicht zu Hause ein, sondern halten unterwegs immer im selben café (das ist wieder nicht das deutsche Café mit Sahnetorte), setzen sich schnell an die Bar, tunken ein Croissant in den Kaffee und so weiter und so weiter. Böse Zungen behaupten immer wieder, es habe sich in Frankreich noch nicht herumgesprochen, dass man eine gute Grundlage, sprich ein ausgiebiges Frühstück, brauche, um den Tag anzugehen. Früh morgens essen „wie ein König“ – das war gestern. Heute sagen selbst deutsche Ernährungswissenschaftler, dass ein leichtes Frühstück die bessere Lösung sei. Das wussten Franzosen natürlich schon immer. 😉

Selbstverständlich gibt es in den Hotels reichhaltige Frühstücksbüffets, sonst würden sich die Touristen und Dienstreisenden aus den anderen Ländern wahrscheinlich bitter beschweren. Wir Franzosen wollen ja nicht als Hintermondler gelten. Schließlich haben wir ja die hohe Kunst der fine cuisine erfunden…

Franzosen, die innerhalb von Frankreich beruflich unterwegs sind und in einem Hotel übernachten, erkennt man spätestens beim Frühstück an dem spärlichen Mahl und am … Tunken.

Ja, das Tunken von Croissant oder Brot ist eine feine Sache. Ich bekenne mich dazu: Ich liebe es und tue das auch in deutschen Hotels, wo man mich manchmal mitleidvoll anschaut, weil man sicher vermutet, ich hätte ein Zahnproblem. Spätestens jetzt müssen schwach besaitete Leser aufhören zu lesen. Ich schmiere mir ein Brot – natürlich Weißbrot – mit Butter und Marmelade oder Honig und … tunke das Ganze in meinen Kaffee. Köstlich! Meine französischen Kusinen haben es vor mehreren Jahrzehnten sogar geschafft, mich in Erstaunen zu versetzen und diese Vorgehensweise zu toppen: Baguette mit Butter und Marmelade bestreichen, in mundgerechte Stücke schneiden und die Stücke in einen bol (das ist so etwas wie eine tiefe Müslischüssel mit höherem Rand und ohne Henkel – siehe Foto) legen, mit dem Esslöffel umrühren und die triefenden Stücke nacheinander wieder mit dem Löffel herausfischen und essen. Mahlzeit!

Was übrig bleibt, ist ein Kaffee mit Fettaugen. Und der schmeckt…. hmmm!

  1. Nun liebe Giselle, so hübsch einfach ist es wohl auch wieder nicht.
    Mein Süßer zum Beispiel (waschechter Südwestfranzose) isst morgens immer Müesli (ungetunkt) zum Kaffee während ich… gar nichts esse und nur so literweise Tee in mich hineinschütte.
    Und was die vermeintliche Qualität der Frühstücksbuffets in französischen Hotels angeht, ahäm – da will ich lieber nicht ZU genau werden denn gute Erfahrungen sind m.E. selten genug…
    LG
    Florence

    • Liebe Florence, es gibt natürlich immer Ausnahmen, die die Regel bestätigen. 🙂 Zu den Frühstücksbüffets in franz. Hotels: Ich habe eigentlich immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Was mich in franz. Hotels massiv stört, sind die Bäder und Toiletten: alles dilettantisch und billigst, auch in den teuersten Hotels.

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