Komma, Kolon und Kultur

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Komma, Kolon und Kultur

Über zwei Vertreter der Gattung Satzzeichen.

Es tut weh

Wir Sprachler* kennen die Regeln der Interpunktion und beherrschen sie, äh, na ja, die allermeisten von uns. Fehlt eines dieser winzigen, unscheinbaren und doch ach so wichtigen Gliederungszeichen, tut es weh; fehlt beispielsweise ein Komma, schütteln wir den Kopf und bringen – zumindest im Selbstgespräch – unser Entsetzen ob der enormen Wissenslücke, die der Schreiber des Textes mit seinem ominösen Fehler unter Beweis stellt, zum Ausdruck. Es fällt uns unendlich schwer, weiter auf den Satz zu blicken und die klaffende Lücke zu ertragen, offenbart sie doch auf schmerzliche Weise die fehlende Trennung zwischen Haupt- und Nebensatz, verwandelt sie doch aneinandergereihte Wörter und Wortgruppen in eine lange missverständlich strukturierte Wurst (Vegetarier mögen mir verzeihen), lässt sie doch auf erbarmungslose Weise die notwendige Zäsur vermissen.

Derart vom Verfasser des Textes, den wir lesen, vor den Kopf gestoßen, setzen wir sodann alles daran, den Urheber des Textes dazu zu überzeugen, endlich zum Stift zu greifen, die Lücke zu schließen … und das fehlende Komma zu setzen – zumindest in Gedanken tun wir das.

Bitte nicht

Eine Textwelt ohne Komma? Ein Alptraum! Schon einer der fehlenden Winzlinge, die kaum anders aussehen als das, was ein Badener einen Muckeschiss nennt, kann den Lauf der Welt verändern. Nun ja, zugegebenermaßen nicht immer, denn es geht ja nicht in jedem Text um die ganz große Geschichte. Aber auch Veränderungen kleineren Ausmaßes haben durchaus ihre Bedeutung. Sehen Sie sich nur folgende Beispiele an:

Herr Maier, der Lehrer, und ich vereinbarten ein Treffen.
Herr Maier, der Lehrer und ich vereinbarten ein Treffen.
Da waren sie im zweiten Satz plötzlich zu dritt.

Komm her, wir essen Oma.
Komm her, wir essen, Oma.
Da hat die Gute gerade noch einmal Glück gehabt.

Auch ein überschüssiges Komma schmerzt.

Schleichendes Verschwinden

Zugegeben, das fehlende Komma führt nicht immer zu vermeintlich witzigen Sätzen wie in den beiden gerade aufgeführten Beispielen.

Beim fehlenden Komma ist nach meinen Beobachtungen folgender Fall der häufigste: das notwendige Komma nach einem Einschub vor dem „und“.

Beispiel:

Wir hoffen, dass wir Ihre Frage zufriedenstellend beantworten konnten, und wünschen alles Gute.
Nein, das Argument „bliebe der dass-Satz weg, stünde ja auch kein Komma da“ gilt nicht, er ist schlichtweg … irrelevant.
Liegt ein eingeschobener Nebensatz vor, muss dieser vollständig in Kommata eingeschlossen werden. Das gilt auch für Infinitivsätze wie:
Ich denke, Ihnen helfen zu können, und schreibe Ihnen gleich ein paar Zeilen hierzu.

Ungeliebter Bruder

Da es mir hier nicht darum geht, Grammatikregeln zu erläutern, komme ich zu einem besonders traurigen Fall: dem langsamen Tod des Semikolons. Das Semikolon, auch Strichpunkt genannt, sollte zum Einsatz kommen, wenn ein Punkt eine zu starke und ein einfaches Komma eine zu schwache Trennung darstellt.

Doch leider wird das Semikolon heutzutage verschmäht, wenn man mal von der ausgeschriebenen Form von Smileys und dem Einsatz in Programmiersprachen und in der Mathematik absieht. In letzter Zeit habe ich beim Lesen von Krimis immer dann einen Strich auf einem Zettel gemacht, wenn mir ein Semikolon unterkam. Was soll ich sagen? Fünf Krimis à durchschnittlich 400 Seiten brachten ganze 53 Semikola zutage. Ein Trauerspiel.

Auch offizielle und repräsentative Untersuchungen bestätigen den stetigen Untergangstrend des Semikolons. Noah Bubenhofer, Schweizer Sprachwissenschaftler und außerordentlicher Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, hat bereits vor etwa zehn Jahren festgestellt, dass der Semikolon-Quotient, also der Anteil des Semikolons an Satzzeichen in Prozent, seit 1966 stetig abnimmt. US-Statistiker Tyler Vigen hat in sieben Bestsellern dessen Verwendung untersucht und kam zu dem Ergebnis: Im Roman „Verstand und Gefühl“ von Jane Austen (Erstveröffentlichung 1811) kommt in jedem dritten Satz ein Strichpunkt vor. In „Harry Potter und der Stein der Weisen“ von J. K. Rowling, das 187 Jahre später erschien, nur noch in jedem 49. Satz.

„Es sind transvestitische Hermaphroditen, die für absolut nichts stehen. Sie zeigen nur, dass du auf dem College warst“, beschrieb Kurt Vonnegut die Semikola.

Mit Charme dazwischenfunken

Wussten Sie, dass das Semikolon ein ganz altes Satzzeichen ist? Im 11. Jahrhundert nannte es sich periodus. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts verbreitete es sich in Europa, nachdem es der italienische Druckermeister Aldus Manutius 1494 erstmals verwendet hatte. Wolfgang Ratke nahm das Semikolon dann 1629 erstmals in eine Grammatik auf; damals galt es noch als Mittelzeichen zwischen Komma und Doppelpunkt.

Ist das Semikolon das Satzzeichen der Unentschlossenen, der Zögerer und Zauderer oder gar der Hasenfüßler? Oder stellen seine Nutzer im Gegenteil ihre Feinfühligkeit, ihren Spürsinn für das Halbgesagte, das Dazwischenhängende unter Beweis? So gesehen stünde das Semikolon im Gegensatz zu Klarheit und Deutlichkeit. Aber bei näherer Betrachtung zeigt der Strichpunkt eindeutig, dass sich der Verfasser durchaus klar ist, dass er im Unklaren bleiben will. Freiheit also?

Totgesagt wurde das Semikolon schon oft – zumindest in Deutschland. Als „hinkenden Punkt“ oder „Komma mit Hut“ wird es zuweilen bezeichnet. Pah! Im Gegenteil, das Semikolon lebt, sein Charme verleiht der Sprech- und Lesepause einen Hauch von Leben und Stil; es ist gewissermaßen der rhetorische Ausdruck der Stärke, die in der kurzen Stille liegt. Denn: Eine Pause zeigt an, jetzt zählt es. Die Kraft der Worte nach dem Semikolon kommt dadurch erst richtig zum Tragen. Der Punkt lädt ein, die Stimme beim Lesen zu senken; das Semikolon veredelt die kleine Zäsur.

Kein Grund zu zögern

Ich mutmaße, dass viele den Strichpunkt aus Unkenntnis der Anwendungsregeln nicht verwenden. In deutschen Medienberichten sieht man ihn kaum. Ich dagegen verwende ihn gerne. Auch der Journalist und Sprachstillehrer Wolf Schneider bestätigte mich darin, wenn es überhaupt einer Bestätigung bedurfte, da Franzosen in der Nutzung des Semikolons viel geübter sind. „Das Semikolon verbindet, es lässt einen elastischen Übergang zwischen zwei halben Gedanken zu, es ist eine willkommene Stufe zwischen dem hurtigen Komma und dem abschließenden Punkt“, so Wolf Schneider.

Die französischen Klassiker wie Gustave Flaubert, Émile Zola, Victor Hugo, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, aber auch jüngere Autoren wie Simone Weil, Marie Cardinal, Benoîte Groulx, Christian Signol oder Régine Deforges verwenden den Strichpunkt gerne und häufig – zur rechten Zeit und an der richtigen Stelle.

Zögern Sie nicht: Verwenden Sie das Semikolon, überall da, wo Sie schärfer als mit dem Komma und schwächer als mit dem Punkt trennen wollen; wo Sie Rhythmus und Gewichtung schaffen wollen; wo das Schwanken zwischen Klar und Vielleicht angebracht ist; wo es sich lohnt, auf das durch kurze Sätze entstehende Stakkato zu verzichten und ausufernde Gedanken gekonnt zu verbinden. Gönnen Sie sich den kleinen Luxus des Semikolons.

„Der freiwillige Verzicht auf Satzperioden, in denen zwei Semikolons vorkommen, ist nicht nur ein Verzicht auf Zeichensetzung, sondern ein Verzicht auf Denkvorgänge“, schreibt Günther Grass.

(*) Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird in meinen Artikeln auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet und das generische Maskulinum verwendet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen und Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Header-Foto: Elle Ritter punctuation auf Pixabay

  1. Du sprichst mir aus dem Herzen, Giselle; das Semikolon ist ein so einfaches und praktisches Stilmittel, aber leider können immer weniger „Normalsterbliche“ etwas damit anfangen. Ob es wohl bald durch den Gedankenstrich gänzlich verdrängt wird?

    Übrigens: Vor ein paar Wochen haben wir uns bei einem Übersetzertreff in Dänemark darüber unterhalten, dass in Textnachrichten ein Punkt am Satzende inzwischen in einigen Kreisen als unhöflich empfunden wird (quasi so, als würde man nach einer mündlichen Äußerung explizit „Punkt“ sagen, um zu betonen, dass es keinen Raum für Diskussion gibt). Vielleicht wäre das ein Thema für einen Rüsterweg-Beitrag?

    Viele Grüße aus dem Norden und frohe Weihnachten!

    Susanne

    • Lieben Dank für deine Zeilen. Ja, der Gedankenstrich ist im Vormarsch, wobei er meiner Meinung nach eine ganz andere Aufgabe hat als das Semikolon; aber das verwechseln viele.
      Das mit dem Punkt am Satzende ist mir neu, ich werde mal recherchieren.
      Viele Grüße aus Karlsruhe

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