Außergewöhnliche Anfrage eines Kunden …
(English version by Chris Irwin: pdf here)
(Version française ici.)
(Qui alla versione italiana in formato pdf, gentilmente messa a disposizione da Sergio Paris)
(Russische Fassung Valerij Tomarenko / Русский перевод Валерия Томаренко – PDF)
He aquí la versión española en formato pdf por cortesía de Pablo Bouvier.
Lieber Kunde,
Sie haben mich gebeten, eine Übersetzung honorarfrei für Sie anzufertigen, da Ihr Budget für das aktuelle Projekt leider aufgebraucht ist und Sie vergessen hatten, die Übersetzungskosten in der Kalkulation zu berücksichtigen. Desweiteren haben Sie verlauten lassen, dass sich daraus möglicherweise Aufträge ergeben könnten, die dann auch bezahlt werden.
Gerne komme ich Ihrem Anliegen nach und fertige für Sie die gewünschte honorarfreie Übersetzung an. Schließlich handelt es sich ja nur um drei Seiten, genauer gesagt: um 1.527 Wörter, für die ich wahrscheinlich nur einen guten halben Tag Arbeit investieren muss, wenn es gut läuft – länger, wenn es nicht gut läuft.
Diese 1.527 Wörter würden normalerweise rund 250 Euro Umsatz erzeugen – netto, versteht sich – und ich könnte damit meine Lebensmitteleinkäufe für ca. zwei Wochen bezahlen. Aber das macht nichts: Für Sie mache ich das gerne, denn ich verstehe Ihre Lage vollkommen.
Allerdings konnte ich in diesem Fall nicht meinen PC einsetzen, denn mein zuständiges Finanzamt würde es mir nicht abnehmen, dass ich Betriebsmittel für honorarfreie Aufträge einsetze, somit könnte ich die Abschreibung des PC nicht vollumfänglich vornehmen. Sie werden daher verstehen, dass ich die Übersetzung von Hand geschrieben habe.
Das war allerdings ein echtes Problem. Denn aufgrund der Tatsache, dass ich kaum noch Handschriftliches zu Papier bringe, ist meine Schrift noch schlechter als früher und kaum leserlich. Aus dem gleichen Grund besitze ich nur noch einen alten vergilbten, grün linierten Block A3-Druckerpapier, wie man es früher in den EDV-Abteilungen für Tintenstrahldrucker verwendet hat. Das ist zwar schlecht für Sie, falls Sie die Übersetzung einscannen wollen, aber etwas anderes habe ich leider nicht (ich habe das Prinzip „zero paper“ in meinem Büro eingeführt und drucke nichts mehr aus). Übrigens wird Ihnen sicher auch meine ganz eigene „Kurzschrift“ zu schaffen machen.
Desweiteren konnte ich auch nur einen Bleistift verwenden, denn schließlich musste ich ja auch Passagen ausradieren können.
Meine Wörterbücher, die größtenteils als Software auf meinem PC liegen, sowie die Translation Memory – schließlich sind Sie ja schon länger Kunde bei mir – konnte ich auch nicht einsetzen. Auch da befürchtete ich Rückfragen von meinem Finanzamt. Dass hier und da Passagen durchgestrichen sind, liegt eben daran, dass ich mich nicht mehr unmittelbar an die richtigen Begriffe erinnern konnte und wörterbuchlos arbeiten musste. Internet-Recherchen waren selbstverständlich nicht möglich – aus den genannten Gründen.
Die Grafik konnte ich leider auch nicht einbinden. Stattdessen habe ich mit einem angedeuteten Rechteck als Platzhalter die Stelle markiert, an der Sie bitte die Grafik einfügen.
Zwei unternehmensspezifische Fachbegriffe sind mir fremd. Da ich aber keine Telefon-Flatrate habe und Sie im Ausland ansässig sind, wären Rückfragen zu kostspielig gewesen.
Sie benötigten die Übersetzung schnellstmöglich. Nun, ich habe mich bemüht, sie heute noch fertigzustellen. Dann habe ich die Blätter in einen Umschlag gesteckt und sie Ihnen per Post geschickt. Die 70 Cent für die Briefmarke schenke ich Ihnen. Wollen wir hoffen, dass die Post in Deutschland und in Spanien die Sendung schnellstens befördert und Ihnen pünktlich zustellt. Nach meiner Erfahrung dauert das etwa 4 bis 5 Werktage. Dass Sie dann erst abwarten müssen, bis Ihre interne Poststelle die eingehende Post sortiert und verteilt, tut mir leid.
In der Hoffnung, Ihnen damit geholfen zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Ihre treue Übersetzerin
(Danke an Markus Raab für die gute Idee und an meine Kollegin Susanne Schmidt-Wussow für die Weiterleitung)
[…] about customer acquisition, and suddenly I had loads of subscribers. My post entitled “Honorarfreie Übersetzung” (“Pro Bono Translation”) – an article that was translated into English, Italian, Spanish […]
Sehr schön und schildert die Situation hervorragend. In Ägypten glauben die naiven Auftraggeber immer noch, dass der Übersetzer nur einige fremdsprachliche Zeilen ins Arabische überträgt und dafür Geld nehmen möchte!!!
[…] wird. Allerdings wird hier festgehalten, dass kostenlose Leistungen nur unter den im Artikel „Honorarfreie Übersetzungen – aber gerne“ geschilderten Bedingungen geliefert werden […]
Was für ein großartiger Blogpost. Erinnert mich an meine Branche: ich brauche nur eine Homepage mit ein paar Buttons. Das ist ja schnell gemacht. Falls das Ding Gewinn abwirft gebe ich Ihnen 0.2% ab. Immerhin: meine Idee Facebook für Hundebesitzer nachzubauen ist genial und 0.2% dürfte eine ganz schöne Menge Geld für Sie sein.
Ach, das trifft sich gut. Sie haben vergessen, die 250 EUR ins Budget zu packen? Ich habe nämlich zeitgleich vergessen, die 6 Stunden Arbeitsaufwand in meine Wochenplanung mit aufzunehmen. Dann passt das ja. Witzig, wie sich das trifft, finden Sie nicht?
Das Projekt von dem Kunden wird ja wohl nicht an 250 € scheitern? Die wird er sich irgendwo ausleihen können. Gut gemacht! 🙂
Ich will das liken. Wo ist der verflixte Knopf?
(vielleicht klaue ich es auch, denn das Problem ist mir als Texterin und Übersetzerin durchaus bekannt 😉 )
oder möchten Sie vielleicht mein Produkt ausprobieren (Sie dürfen die angebrochene Packung auch behalten!!!!!!!!!!!1) und in Ihrem Blog positiv darüber berichten?
Der Button zum „like“ ist zwischen Überschrift und Text.
Vielen Dank für die nette Rückmeldung.
Es geht wohl nicht nur den Übersetzern so…: der undankbare Mandant
Che bello, complimenti! 😀
Herrlicher Text,
habe selten so befreiend lachen können über ein so häufiges und lästiges Ärgernis.
HG, Kilian aus München
Köstliche Antwort!
Frage: wenn ich Ihnen jetzt auch so ein unverschämtes Ansinnen stelle, bekomme ich die Übersetzung dann auch handschriftlich und umsonst?
😉
Was die Sozialversicherungs- und Urlaubssituation bei Freiberuflern betrifft, können sich viele Angestellte wohl überhaupt nicht vorstellen, wie unkomisch es ist, wenn die Freiheit darauf hinausläuft, selber zu bestimmen, um welche Uhrzeit man seine 16 Stunden abarbeitet – von unglaublichen Terminsetzungen, bei denen sich dann herausstellt, daß der Kunde sie selber nicht einhalten kann, ganz abgesehen.
Dazu passend las ich vor ein paar Tagen dies an verschiedenen Stellen:
Anfrage:
Wir sind ein kleines Restaurant und suchen Musiker, die gelegentlich bei uns musizieren um bekannt zu werden. Wir können zwar keine Gage zahlen, aber wenn die Sache gut funktioniert und die Musik bei unseren Gästen gut ankommt, könnten wir an den Wochenenden auch Tanzveranstaltungen machen. Sollten Sie also daran interessiert sein, Ihre Musik bekannt zu machen, melden Sie sich bitte bei uns.
Antwort:
Wir sind Musiker und wohnen in einem ziemlich großen Haus. wir suchen ein Restaurant, das gelegentlich bei uns Catering macht um bekannt zu werden. Bezahlen können wir nichts, aber wenn die Sache gut funktioniert und das Essen schmeckt, dann könnten wir das regelmäßig machen. Es wäre bestimmt eine gute Reklame für Ihr Restaurant. Bitte, melden Sie sich bei uns.
Die einzig richtige Antwort auf ein solches Ansinnen ;o)
LG Kathrin
Köstlich, diese Antwort! Es ist halt nicht nur Zweisprachigkeit, die schlau macht; Musik fördert die Sinne natürlich auch.
Übrigens: wenn ich mich in den Türken-Gettos meiner Stadt umsehe, kommen mir so manche Zweifel an der Aussage, dass Zweisprachigkeit per se zu Intelligenz führe. Für gesichert halte ich es allerdings, dass sie dazu führt, auf Schritt und Tritt Dinge zu beachten, die für Sprecher nur einer Sprache schlicht irrelevant sind. Was zum Beispiel für Deutsche einfach blau ist, kann für Russen und Italiener unbedingt mehrfarbig sein, синий und голубой bzw. blu und azzurro.
Ich glaube, ich habe den Teil mit den Farben nicht ganz verstanden. Dem Deutschen ist das Wort Azur (italienisch azzurro) für ein bestimmtes helleres Blau ja nicht unbekannt. Daneben gibt es viele weitere Varianten des Blaus, welche man namentlich in Deutsch unterscheiden kann. Könntest Du das noch einmal etwas näher erklären?
Ja, das kann ich leicht erklären. Im Deutschen gehört „blau“ zum Grundwortschatz und ist Überbegriff: alles, was azurn ist, ist auch blau. Im Italienischen sind „blu“ und „azzurro“ Grundfarben ohne übergeordnetes Farbwort, die im Gegensatz zueinander stehen: etwas, das azzurro ist, kann nicht gleichzeitig auch blu sein.
Sprachwissenschaftler, genauer gesagt Semantiker, haben seit Jahrzehnten die unterschiedliche Aufteilung des physikalischen Farbenspektrums in den Einzelsprachen untersucht und sind unter anderem zu folgendem Ergebnis gekommen: Die sprachliche Aufteilung folgt einer bestimmten Reihenfolge, und in den allermeisten Fällen reicht die Angabe der Zahl der Grundfarben, um vorherzusagen, welche Frequenzbereiche unterschieden werden. Das Minimum liegt übrigens bei nur zwei Grundfarben (ähnlich unserem „hell“ vs. „dunkel“); andere Sprachen treffen mehr Unterscheidungen, als wir Europäer es gewohnt sind. Für uns ungewohnt ist z.B. auch ein Begriff, der in vielen (auch genetisch unverwandten) Sprachen Ost- und Südostasiens vorkommt und auf Mandarin 青 qīng lautet. Je nach Kontext zu übersetzen mit: blau, grün, braun, schwarz. — Die sprachwissenschaftlichen und psychologischen Untersuchungen der Beziehung zwischen Farbwörtern und Farbwahrnehmung spielen in vielen Abhandlungen über die kontrovers bewertete Sapir-Whorf-Hypothese (sprachliche Relativität) eine große Rolle.
Tja, solche Anfragen gibt es immer mal wieder. Da hilft nur Gelassenheit, und in nicht allzu hoffnungslosen Fällen manchmal auch etwas Aufklärung.
Schön geschrieben; habe mich sehr amüsiert.
Köstlich. Habe gut gelacht.
Erinnert mich an die Zeit wo ich noch regelmäßig gemalt hab.
Dann mal was „Gratis“ bekommen zu wollen „weil es doch Spass macht“ ist immer wieder und Überall zu finden.
Wenn man als Firma nicht sauber kalkuliert, dann zahlt sie halt drauf.
Ich kann ja auch nicht zum Winteranfang zu gehen und nen Satz Winterreifen Gratis verlangen, weil ich die zum Autokauf nicht mit einkalkuliert habe. (Und so ein Winter kommt ja immer wieder überraschend, wie man von der DB weiss.)
Herrliche Reaktion auf das übliche Schnorrertum, das einem als Freelancer immer wieder begegnet. Ich habe herrlich gelacht – und die Leute, denen ich den Link weitergab, auch. Hut ab! 🙂
Es ist eigentlich im ganzen Kreativbereich so, dass ständig um kostenlose Leistung geschnorrt wird, ob bei Illustratoren, Autoren, Musikern oder Übersetzern, meist mit dem Verweis, was für eine tolle Werbung das doch wäre. Oft genug wird dabei auch noch argumentiert, die Arbeit würde doch Spaß machen, und für Spaß müsse man ja nicht bezahlt werden.
Tja so ist das Leben! Manchmal muss man GEBEN! Und manchmal kann man NEHMEN.
Ein Beispiel: Als ich noch Taxifahrer war. Eine Person mit fürchterlichen Wunden von einem Kampf.(Versuchte Vergewaltigung) Möchte ins Krankenhaus gebracht werden,aber keine Kohle. Das ganze kostete mich: Auto-Sitz Reinigung 250,-DM Verdienstausfall ca150,-DM Plus,Plus!! Den „Fahrgast“ habe ich NIE wieder gesehen! (weshalb,wieso,führt zu nichts)Ich habe es ÜBERLEBT!! Ich habe noch MEHR solcher „STORYS“ auf Lager!! Steht in meinem Buch,was ich NICHT Lektorieren lassen konnte, da dies 700 Seiten hat und 250,-EURO für 3 Seiten???das heißt: Ach,Sie können selber rechnen.
Für den Verkauf von 700 Seiten bekomme ich 2,38 Euro!
Lieber Herr Stollin, vielen Dank für Ihren Kommentar.
Natürlich gibt es – auch in der Übersetzungsbranche – Fälle, wo wir Übersetzungsprofis helfen. Nicht wenige von uns arbeiten immer wieder unentgeltlich für Non-Profit-Organisationen wie z.B. Greenpeace oder kleinere Vereine wie Back to Life e.V. Und tagtäglich übersetzen wir hier und da kleinere Texte, nachgereichte Sätzchen, ohne ein Honorar dafür zu verlangen. Oder KollegInnen helfen einander aus, wenn es mal klemmt – da schreibt man natürlich auch keine Rechnung.
Hier geht es um Grundsätzliches. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft so etwas vorkommt. Wenn wir jeden Tag honorarfrei arbeiten, können wir unseren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Und das geht natürlich nicht.
Zu Wortzahl, Betrag usw.: Das ist natürlich nur ein Beispiel, das sehr plakativ sein soll. Schließlich soll es ja eine Wirkung erzielen. Es spielt keine Rolle, ob ein Übersetzer 10, 15 oder mehr Cent pro Wort verlangt bzw. verlangen kann (je nach Schwierigkeitsgrad). Sie dürfen nicht vergessen, dass ein Kfz-Mechanikermeister oder ein Installateurmeister bereits 45 Euro die Stunde bekommt – netto. Und die Übersetzung schwieriger technischer Texte erfordern nun ein ganz spezielles Wissen – in der Ausgangs- und in der Zielsprache.
Übrigens: Lektorieren ist nicht übersetzen, die Honorare unterscheiden sich da durchaus. Insofern kann man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen (dies ist keine Wertung, ich lektoriere selbst). Alles Gute für Sie.
Giselle Chaumien hat es ja bereits erwähnt: Lektorieren und Übersetzen sind zwei unterschiedliche Dinge.
Wenn man ein Buch als Autor auf den Markt bringt, dann übernimmt der Verlag das Lektorat, dafür erhält er dann auch einen Teil der Einnahmen aus dem Verkauf des Buches. Insofern vergleichen Sie hier gleich doppelt Äpfel mit Birnen, denn nur im Selbstverlag oder einem Druckkostenzuschussverlag muss der Autor kräftig zahlen, um sein Buch verlegt zu sehen. In allen anderen Fällen muss er nur vernünftig arbeiten – sprich: Einen Text erstellen, der gut genug ist, um bei möglichst vielen Lesern anzukommen. Das ist halt die Kunst …
Andere Frage: Ist man als Taxifahrer nicht gegen solche Schäden versichert? Immerhin haben Sie Hilfe geleistet für einen Menschen, dem ansonsten gegebenenfalls noch weitaus Schlimmeres zugestoßen wäre. Trotzdem gebietet es natürlich die Höflichkeit, dass man sich als Schadenverursacher noch einmal meldet und ggf. die eigene Versicherung einschaltet. So man denn eine hat …
Ich glaube, wenn jemand zu Frau Chaumien käme, blutüberströmt und psychisch in der Unversehrtheit bedroht, mit dem Hinweis, dass die Übersetzung der drei Seiten ihn vor dem sicheren Tod bewahren würden, stellte sich die Frage nach dem Honorar ebenso wenig wie bei Ihrem Taxi-Vergleich.
Passender wäre wohl der Vergleich: Ein Mann im Anzug kommt aus einem Restaurant, setzt sich in Ihr Taxi und bittet Sie, ihn kostenlos in den Nachbarort zu fahren. Es seien ja nur 20 Minuten Fahrt und er hätte eben das Taxi-Geld nicht mit einberechnet, so dass nach dem leckeren Essen sein Abend-Budget bereits aufgebraucht war. Hand aufs Herz: Würden Sie den Mann heimfahren und das unter „geben“ verbuchen?
Natürlich geht es nicht um verweigerte Hilfsbereitschaft. Es geht auch nicht darum, mal jemandem aus der Patsche zu helfen.
Susanne hat es genau auf den Punkt gebracht.
250 Euro für 3 Seiten Übersetzung? Heftig … Und auch noch einen halben Tag dafür? Lange … Wenn ich mir da den Stundenlohn ausrechne … Hui! Lass dir doch als Bezahlung gleich ein Wörterbuch mit schicken!
Scherz.
Natürlich sind solche Fragen schon irgendwie frech, aber ich finde es auch nicht gerade charakterstark dann so was hier zu schreiben. Warum sollen die Leute denn nicht fragen? Denn man muss zugeben – es gäbe sicher einige die darauf eingegangen wären, oder schlichtweg eine Lösung gefunden hätten. Eben zum Beispiel Werbung als Gegenleistung. Es sind 3 Seiten …
Aber egal, jedem das Seine!
Liebe(r) Manu,
ich weiß ja nicht, was du beruflich machst, aber würdest du als Angestellter vielleicht jeden Tag eine Stunde länger arbeiten, wenn es nicht als Überstunde bezahlt wird? Sicher nicht. Obwohl es doch „nur eine Stunde“ ist. Natürlich gibt es das tatsächlich oft, aber das nennt man dann Ausbeutung.
Warum wir nicht einfach ohne Honorar arbeiten? Gegenfrage: Warum sollten wir? Geht derjenige, der solche Anfragen stellt, auch zum Friseur und sagt: „Es müssen ja nur die Spitzen geschnitten werden, das dauert ja nicht lang, das geht doch sicher auch umsonst“ oder schlägt dem Bäcker vor, statt die 10 Brötchen zu bezahlen, allen von seiner Bäckerei zu erzählen, davon hätte er doch viel mehr? Oder lässt mein Vermieter mich einen Monat umsonst wohnen, weil mein Budget die Miete gerade nicht hergibt, nur weil ich hoch und heilig verspreche, noch mindestens so und so lange dort wohnen zu bleiben? Wohl kaum. Wer würde auch nur auf die Idee kommen, außer bei den Kreativen? Die können erst für ihre Freunde, dann für die Freunde der Freunde und irgendwann dann auch für den Schwager einer Bekannten der Schwester eines Freundes gerne mal umsonst fotografieren, eine Arbeit korrekturlesen, mal eben eine Titelmelodie für ein selbst gedrehtes Video aus dem Ärmel schütteln, das selbst gedrehte Video „schnell mal ein bisschen bearbeiten“ oder eben „die paar Seiten kurz übersetzen“. Schließlich kann man das ja und es macht einem auch noch Spaß. Wie kann man für etwas Geld verlangen, was einem Spaß macht? Moralisch höchst verdächtig, ja geradezu charakterschwach. Arbeit hat anstrengend zu sein und unerfreulich, sonst ist es ein bezahltes Hobby.
Ich habe es so satt, mich dauernd dafür rechtfertigen zu müssen, wie „das bisschen Übersetzen“ „so teuer“ sein kann. Und dann dieser Stundenlohn! Unfassbar! Wenn man den hätte! Ja, aber wir bekommen eben nicht 8 Stunden Anwesenheit im Büro pro Tag bezahlt, einschließlich Mittagspause, sondern nur die Zeit, in der wir tatsächlich was produzieren. Urlaub machen? Kostet doppelt, weil wir nicht nur den Urlaub bezahlen, sondern in der Zeit auch nichts verdienen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Altersvorsorge? Krankenversicherung? Müssen wir Freiberufler alles selbst stemmen, und deshalb bleibt von dem ach so üppigen Stundenlohn (und die meisten erreichen die von Giselle veranschlagten Werte gar nicht) nicht viel übrig.
Jetzt habe ich mich in Rage geschrieben, aber das musste mal raus.
Ich hätte es nicht besser beschreiben können, vielen Dank, Susanne. Das trifft es auf den Punkt.
Den Wert „250“ habe ich bewusst hoch angesetzt, damit es für den Kunden „greifbarer“ ist, weil Beträge unter 200 oder gar 150 Euro ja „Peanuts“ sind.
Hmm, also bei mir hätte es in der Kalkulation *deutlich* mehr ergeben als 250 EUR, allerdings hätte ich es für einen treuen Kunden mit interessanten Aufträgen auch eben mal für lau gemacht. Das ist dann in der Mischkalkulation inbegriffen: Wer gut bezahlt wird, kann auch mal ein Auge zudrücken und jemand einen Gefallen tun. Wer am Existenzminimum kalkuliert, kann das nicht. Ob man im Luxussegment oder am Rande des Milchkaffees ohne Milch seine Kalkulation macht, ist für den Kunden ja nicht immer ersichtlich. Deshalb finde ich es auch unfair, den Kunden hier so zu dissen. Nur mal so unter Kollegen gesagt 🙂
Es ist ja hier nur ein Beispiel, kein konkreter Fall. Aber wenn ein Ansprechpartner, der in einem Konzern ein Projekt mit einem 300.000 Euro dicken Budget leitet, die 250 Euro für die Übersetzung irgendwelcher Unterlagen „vergessen“ hat, dann ist das wohl ein Witz und sollte nicht auf Kosten des Übersetzers gehen, der Einzelkämpfer ist. Eine Agentur würde nicht einmal eine Zeile „für lau“ übersetzen.
Ich habe schon mehrfach hier und an anderer Stelle geschrieben, dass wir Übersetzerprofis uns vielfach in karitativen Organisationen engagieren und für diese durchaus honorarfreie Übersetzungen anfertigen. Das ist etwas anderes.
Übrigens: Vielen Dank, durch den Kommentar habe ich ein neues Wort gelernt: dissen. Allerdings muss ich widersprechen. Hier wird niemand schlecht gemacht oder diskriminiert. Wie bereits hier zu lesen, kann ich auch nicht zum Friseur gehen und ihn bitten, mir „für lau“ die Haare zu schneiden, weil ich gerade kein Geld habe. Oder den Heizungsbauer beauftragen, mir die Heizung mal „für umme“ zu reparieren. Nur mal so unter Kollegen gesagt. 🙂
Exakt so ist es! Danke für die absolut zutreffende, kurze knackige Beschreibung! 🙂
Oh, Ihr sprecht mir ja so aus dem Herzen!!!
Ich bin zwar keine Übersetzerin, aber bei uns Darstellenden Künstlern ist es ja auch nicht anders.
„Gage? Nee, die können wir nicht zahlen. Aber es ist doch eine tolle Werbung für Sie!“
Die Alternative dazu ist dann, daß man zwar ein Honorar ausgehandelt hat, diesem aber wochen- wenn nicht monatelang hinterher rennen muss.
@Giselle: Ihr Hund sieht aus wie meiner. Ist das auch ein Jack-Russel-Terrier 🙂 ?
Hallo Antinéa, ja, dieser offene Brief kann auf viele Berufe umgemünzt werden, denn so etwas kommt überall vor, wo es alleinkämpfende Selbstständige gibt.
Ja, Filou ist ein hochbeiniger Jack Russell Terrier.
Ich finde es gut, dass diesen „kostenlos“ Anfragen, ich mache dann auch Werbung für Sie, inzwischen so humorvoll begegnet wird. Zudem wird aus dem Angebot nicht klar, ob die Werbung in dem Sinne verläuft: da ist ein Dummer der macht alles umsonst.
Ich verstehe nicht, dass viele Menschen glauben, dass geistige Leistung wie z. B. eine Übersetzung ein Nebenprodukt ist. Wenn dem so wäre, kann es der vermeintliche Auftraggeber doch gleich selbst machen.
Die Frage „geht das umsonst“ ist hoffentlich immer vergeblich.
Du hättest den Brief auch via Buschtrommel weiterleiten können. Wäre vielleicht noch kostengünstiger gekommen 🙂 LG Pat PS: habe mich königlich amüsiert…