Auftragslage für Übersetzer

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Auftragslage für Übersetzer

Wie sieht es für Übersetzer in diesen krisengeschüttelten Zeiten aus?

(Meine Aussagen beziehen sich ausschließlich auf Übersetzer*, nicht auf Literaturübersetzer* und nicht auf Dolmetscher* .)

„Es gibt kaum ein europäisches Land, in dem sich die Anzahl der Selbstständigen in der Corona-Krise so schlecht entwickelt hat wie in Deutschland. Nur Rumänien steht noch schlechter da. Das zeigen Berechnungen des Arbeitsmarktexperten Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).“ (Quelle)

Für manchen Solounternehmer(*) hatte die Corona-Pandemie dramatische Folgen, die sich in nicht wenigen Fällen zum Existenzkampf entwickelte, der dann verloren wurde. Viele andere brachten die schwierigen Umstände an ihre Belastungsgrenze – materiell und psychisch.

Kaum ist die Corona-Krise halbwegs abgeebbt, begann der Krieg gegen die Ukraine und stieg die Inflation in Deutschland und anderen Ländern in Höhen, die so mancher nur aus Erzählungen kennt.

Was macht das mit uns Übersetzern(*)?

Bei meiner nicht repräsentativen Umfrage bei acht „großen“ und acht kleineren (KMU-Niveau) Übersetzungsagenturen erhielt ich zusammengefasst folgende Rückmeldungen (Stand Ende 2022):

  1. Die Auftragslage ist mengenmäßig etwa gleich hoch wie vor der Pandemie, aber …
  2. Langjährige Kunden sind fallweise komplett weggefallen.
  3. Es wird verstärkt nach Post-Editing gefragt.
  4. Verbliebene Kunden drücken oft stärker die Preise, sodass …
  5. Dienstleister (Übersetzer) am Ende weniger für ihre Arbeit bekommen.

Insgesamt blicken laut dem internationalen Institut CSA Research (ehemals Common Sense Advisory), das jedes Jahr die Branche analysiert, die „Top LSPs“, also Top Language Service Providers, nicht mehr ganz so optimistisch in die Zukunft. Wer die Studie lesen möchte, klickt hier.

Für mich war das nicht überraschend. Als ich dann jeden Ansprechpartner fragte, ob es denn schwieriger geworden sei, Auftragnehmer (also Übersetzer) für die einzelnen Aufträge zu finden, hieß es durchweg: nein, überhaupt nicht, die „Leute [sind] bereit, für weniger zu arbeiten“. Meist werde „nicht einmal nach 1 Cent mehr“ gefragt.

Meine Empfehlung: Nach Möglichkeit bei Preissenkungen oder niedrigen Preisen hart bleiben. Und: Direktkunden akquirieren.

Foto: Monika auf Pixabay

Übersetzer für Direktkunden

In einem sehr regen Austausch in meinem erweiterten Netzwerk (es umfasst europäische Sprachkombinationen), in dem Übersetzer für Direktkunden tätig sind, ergab sich ein anderes Bild, das ich wie folgt zusammenfassen kann:

  1. Die meisten erfahren ein „Business as usual“ auf sehr hohem Auslastungsniveau oder sogar „mehr Arbeit als vor 2020“ (ebenfalls auf sehr hohem Auslastungsniveau).
  2. Bei manchen Sprachkombinationen, die schon jahrzehntelang insgesamt ein kleines Volumen ausmachen, hat sich die Auftragslage leicht verringert, was zu einer „willkommenen Entspannung des bisher hohen Auslastungsniveaus“ geführt hat.
  3. Preise konnten auch 2020 und 2021 erhöht werden. Im inflationsgebeutelten Jahr 2022 waren Preiserhöhungen jedoch schwieriger durchzusetzen.

In der differenzierten Betrachtung ergab sich, dass bei den Übersetzern, die durch die letzten und noch anhaltenden Krisen mit einem stets hohen Auslastungsniveau und hohen Preisen gesegelt sind, Folgendes festzustellen ist:

  • Starke Branchenabhängigkeit: Ist der Wirtschaftszweig oder die Produktsparte gebeutelt und muss dort mit dem spitzen Bleistift kalkuliert werden, wirkt sich dies auch auf die Preise und Vergabe von Übersetzungsleistungen aus. Das bedeutet: Es werden zwar in der Regel keine Preissenkungen gefordert oder beschlossen, aber auch in diesen Fällen keine Preiserhöhungen akzeptiert. Fallweise werden Zahlungsfristen in Absprache mit dem Übersetzer verlängert.
  • Krisenfest bedeutet nicht unbedingt Auftragsgarantie: Auch, wenn eine Sparte als krisenfest gilt, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass dort die Auftragslage gesichert ist und/oder die Preise zwangsläufig hoch sind. Beispiele: Pharmaindustrie, Tätigkeit für Gerichte und Polizei.
  • Hoher Spezialisierungsgrad als Garantie: Je höher der Spezialisierungsgrad, je tiefer und umfangreicher der Kenntnisstand im jeweiligen Fachgebiet, desto höher die Preise und die Auslastung, ganz unabhängig von Krisen und sonstigen schwierigen Umständen. Dabei bewähren sich Nischenfachgebiete als echte „Garantie“ – für eine kontinuierliche Auftragslage UND für sehr hohe Wortpreise (die übrigens in dem Fall auch von Agenturen gezahlt werden). Denn in Nischenfachgebieten sind (fachkompetente) Übersetzer rar. Beispiele: Quanteninformatik, Nitrosamine, Patente im Bereich Reifenkomponenten.
  • Gute Kunden-Lieferanten-Beziehung: Sehr häufig berichteten mir Übersetzer von Geschäftsbeziehungen, die bereits zwanzig, dreißig oder mehr Jahre andauern. Das kann ich für mich auch bestätigen. Diese Geschäftsbeziehungen sind geprägt von gegenseitigem Vertrauen, beidseitiger Treue und einer Eigenschaft, die ich als „Großzügigkeit“ bei Deadlines, Preisen und Abwicklung bezeichnen möchte.

Übrigens: Unter einem hohen Auslastungsniveau verstanden die befragten Übersetzer nicht, dass sie 10 Stunden täglich 7 Tage die Woche wie besessen am PC arbeiten, sondern ein hohes Volumen zu hohen Wort-/Zeilenpreisen in einem „vernünftigen“ Zeitrahmen, der eine positive Work-Life-Balance ermöglicht. Rechenbeispiele und Erläuterungen hierzu finden Sie in meinem Fachbuch „Das große 1×1 für selbstständige Übersetzer“, erschienen im BDÜ Fachverlag, in den Kapiteln „Produktive und unproduktive Zeit“ und „Produktivität“.

Foto: Susanne Jutzeler, Schweiz, auf Pixabay

Aussichten

Das internationale Institut CSA Research schätzte den „global market for outsourced language services and technology“ im Jahr 2022 auf 52,01 Milliarden USD und geht für 2023 von einem Anstieg um rd. 6 % auf 55,10 Mrd. USD sowie für die nächsten drei Jahre ebenfalls um eine Steigerung um jährlich ca. 6 % aus, was im Jahr 2026 zu einem Volumen von 65,54 Mrd. USD führen würde. (Quelle hier) Kurz gesagt: Arbeit gibt es genug. Kein Problem also angesichts der hohen Zahlen von Absolventen unterschiedlicher Lehrgänge und Studiengänge, die jedes Semester auf den Übersetzungsmarkt schwappen??? Schön wäre es, wenn es so einfach wäre.

Denn: Ein auffallendes Merkmal des Übersetzungsmarkts ist die außerordentlich große Bandbreite in Bezug auf die fachliche und unternehmerische Eignung der selbstständigen Übersetzer, zwangsläufig einhergehend mit der jeweiligen Qualität der erbrachten Leistung. In Zukunft wird sich noch stärker die Spreu vom Weizen trennen, und die drei großen bekannten Kategorien werden sich noch schärfer gegeneinander abgrenzen:

  1. Große Allround-Agenturen, die auf dem sog. bulk market oft anspruchslose Kunden bedienen und hierfür zu unterirdischen Preisen unzählige „genügsame“ Zulieferer rund um den Globus beauftragen. Und es stehen täglich genügend Menschen auf, die bereit sind, zu diesen Konditionen zu strampeln.
  2. Kleinere Sprachdienstleister im KMU-Segment, deren Zulieferer in der Regel geringfügig mehr als die der Kategorie 1 erhalten.

Die Zulieferer, also Übersetzer, der Kategorien 1 und 2 akzeptieren die niedrigen Honorare aus ganz unterschiedlichen Gründen. Zwei Dinge zeichnet sie jedoch alle aus: die nicht vorhandene oder nicht ausreichende Spezialisierung und der mangelnde Wille, sich auf den Hosenboden zu setzen, um a) einen lukrativen Spezialisierungsgrad zu erreichen (denn das bedeutet sehr viel Arbeit und Disziplin) und b) gut zahlende Direktkunden, die regelmäßig Aufträge erteilen, zu akquirieren.

  1. Und schließlich die Solo-Unternehmer, die ihre präzise abgesteckten Kundensegmente bedienen; Übersetzer, die kontinuierlich von ihren (meist) Stammkunden mit Aufträgen versorgt werden, ohne akquirieren und ohne zeitraubende Angebote erstellen zu müssen (weil sie einen Rahmenvertrag mit dem Kunden abgeschlossen haben oder der Kunde einfach nur mit „seinem“ Übersetzer XY arbeiten will und ihm den Auftrag einfach so schickt mit der Frage „bis wann können Sie das übersetzen?“).
    Diese Übersetzer sind hochspezialisiert oder, besser gesagt, ihre Kenntnisse in einem Fachgebiet gehen weit in die Tiefe und in die Breite. Sie arbeiten in Nischenfachgebieten, die sie zur „Rarität“ auf dem Übersetzungsmarkt machen. Und siehe da: Bei ihnen sind selbst Agenturen bereit, die hohen Preise zu zahlen.

Im nächsten Beitrag werde ich das Thema Spezialisierung weiter ausführen.

(*) Hinweis: Im Sinne einer besseren Lesbarkeit deckt in diesem Beitrag das generische Maskulinum (z. B. der Übersetzer, Freiberufler, Unternehmer) sowohl die weibliche und männliche Form als auch das dritte Geschlecht ab. Dies ist in keinem Fall als Zeichen einer Diskriminierung zu werten.

Beitragsbild (Header): Gerd Altmann, Pixabay – herzlichen Dank

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