Übersetzer: Spezialisierung

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Übersetzer: Spezialisierung

In der translation industry ist der Spezialisierungsgrad Garant für den Erfolg.

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich die Auftragslage in der Übersetzungsbranche skizziert. Gestützt habe ich mich dabei auf aufwendige Recherchen und umfangreichen Telefonaktionen mit zahlreichen Ansprechpartnern*. Dabei waren sich alle, einschließlich der verantwortlichen Personen in den kontaktierten Agenturen, einig: „Der Übersetzerjob hat immer noch Zukunft. Aber: In Zukunft wird sich noch stärker die Spreu vom Weizen trennen“.

Wie können sich Übersetzer einen Platz im Segment der erfolgreichen Solo-Unternehmer* erarbeiten? Ganz klar: durch Spezialisierung.

Was ist Spezialisierung?

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Spezialisierung das, was einen von anderen unterscheidet, besonders macht, hervorhebt, von der Masse abhebt.

Überträgt man dieses Konzept auf unseren Beruf, ist Spezialisierung der wichtigste Teil des Alleinstellungsmerkmals, des USP (Unique Selling Proposition): das Fachgebiet, einhergehend mit der entsprechenden Fachsprache, der Fachkenntnis und Fachkompetenz.

Spezialisierung führt gegenüber Generalisten dazu, dass sie die vorhandenen Ressourcen effektiver ausnutzen können. Sie verlieren weniger Zeit für Terminologierecherchen, sind schneller und haben damit einen höheren Output (Stichwort Produktivität) in weniger Zeit. Und sie verdienen wesentlich mehr.

Wenn Sie jetzt sagen: „Aber ich fühle mich mit den Themen, die ich zu niedrigen Preisen übersetze, gut“ – prima, dann ist ja für Sie alles in Ordnung.

Foto: Jean Martinelle, Pixabay

Wo fängt Spezialisierung an?

Ganz sicher nicht bei einer kaufmännischen Ausbildung wie Industriekaufmann*, Kaufmann* für Büromanagement u. dgl. Selbst eine Banklehre oder ein Hochschulstudium in Betriebs- oder Volkswirtschaft ist keine Spezialisierung in unserem Sinn. Es sind dies eine gute Basis für den Aufbau einer Spezialisierung – aber keine Spezialisierung per se. Dazu werden die Lerninhalte viel zu oberflächlich behandelt.

„Wirtschaft“ klingt für den Direktkunden erst einmal nach »Allerweltsding«, denn die meisten Menschen in Unternehmen gehen davon aus, dass Grundkenntnisse im Bereich Wirtschaft generell vorhanden sind (leider ist das bei vielen jungen Menschen, die sich selbstständig machen, nicht der Fall). Grenzen Sie das Fachgebiet ein.

Fokussiert sich der Auszubildende in der Bank nach seiner Ausbildung zum Beispiel auf bestimmte Finanzinstrumente, der BWL-Student (oder Hochschulabgänger) auf Steuerwesen, dann ist er auf dem Weg zu einer Spezialisierung.

Etwas anders verhält es sich bei einem Studium der Rechtswissenschaften oder in technischen und wissenschaftlichen Fächern. Wer Jura, Maschinenbau, Informatik oder Medizin studiert, ist damit spezialisiert. Aber auch hier ist das Studium nicht das Ende der Spezialisierung. Hier greift der oben erwähnte Ansatz der horizontalen und vertikalen Spezialisierung. In die Tiefe geht es beispielsweise mit den Fachgebieten Vertragsrecht bzw. Werkstoffkunde, KI oder Onkologie. Hier sind vor allem die Quereinsteiger mit ihrem jeweiligen Fachstudium und entsprechend exzellenten Sprachkenntnissen angesprochen.

Wer beispielsweise ein Jurastudium absolviert hat, nimmt Kontakt mit Rechtsanwaltskanzleien, insbesondere Patentanwälten (hohe Honorare!), mit Behörden, aber auch mit internationalen Konzernen auf.

Übersetzer* und Spezialisierung

Nicht jeder, der eine Übersetzerausbildung absolviert hat, hat einen der beispielhaft genannten Studiengänge (Jura, Maschinenbau, Informatik, Medizin usw.) gleich parallel durchlaufen. „Im Idealfall ist noch während des Studiums – und das frühzeitig – an eine Spezialisierung zu denken. Hierzu empfehle ich, möglichst viele Praktika in übersetzungsfernen Tätigkeiten zu absolvieren“, rät Jacqueline Breuer, Inhaberin von Technik + Sprachen. So könne jemand, der sich zum Beispiel für das Fachgebiet Wirtschaft entscheidet, Praktika in unterschiedlichen Firmen in Industrie und Handel, aber auch in einer Bank machen, um in verschiedene Fachrichtungen hineinzuschnuppern, und jemand, der sich für Technik interessiert, in verschiedenen Industrieunternehmen tätig werden – jeweils ohne Bezug zu Übersetzungen, sondern um Abläufe, Terminologie usw. kennenzulernen.

Die Wahl des Fachgebiets

Das ist der erste Knackpunkt, denn davon hängt alles ab: gut bezahlte Aufträge (>25 ct./Wort**), regelmäßige Aufträge (sofern es ein Fachgebiet mit entsprechend wenig guten Übersetzern ist), kaum oder keine Akquise (denn „man/frau“ wird vom Kunden angesprochen und/oder hat Rahmenverträge unterzeichnet) usw.

Ich höre schon die Stimmen von Kollegen*: „Meine Kunden zahlen keine 25 ct./Wort für Übersetzungen im Bereich Wein, Kochbücher, Games, Touristik, Kosmetik …“. Klar! Dazu ist das nötige Wissen nicht verzwickt genug mit der Folge, dass es viel zu viele Übersetzer gibt, die ihre Dienstleistung hier anbieten. Ich möchte wirklich niemanden vor den Kopf stoßen, aber diese Themen lassen sich in wenigen Tagen erarbeiten. Daher: Verwechseln Sie nicht „Fachgebiet“ mit „Thema“.

Foto: Thomas G., Pixabay

Anders verhält es sich mit Fachrichtungen im Bereich Technik. Beispiele: Strömungsdynamik, Thermodynamik, Mechatronik, Luft- und Raumfahrtantriebe, Fahrzeugtechnik, Reifentechnik, Kunststofftechnologie. Mit Fahrzeugtechnik ist nicht etwa die Hochglanzbroschüre eines neuen Automodells gemeint, bei Reifentechnik auch nicht die Beschreibung eines neuen Reifens in den ADAC-Testergebnissen. Wenn ich Experte im Bereich Nanofluidik oder Fahrzeugdynamik bin, verdiene ich logischerweise pro Wort wesentlich (damit meine ich mehr als doppelt so viel) mehr als wenn ich ein Kochbuch übersetze. Ich werte hier nicht die Arbeit, ich erkläre die Preisbildung. Mehr nicht.

Ich höre wieder Stimmen von Kollegen*: „Ich mag aber keine Technik, Technik ist mir zuwider“ (wahlweise „kein [gmrpf]“). Tja, das Leben ist kein Ponyhof. Jeder kann frei entscheiden, muss aber stets die Konsequenzen seiner Entscheidung tragen. Hier muss ich mich fragen: Was will ich? Wie ist mein Zielstundenumsatz? Will ich 90 € Umsatz (nicht Gewinn!) pro Stunde erzielen? Dann müsste ich bei 12 ct./Wort 750 Wörter/Stunde übersetzen. Bei 25 ct./Wort wären es nur 360 Wörter – durchaus locker zu schaffen. Vor allem über den Arbeitstag (und die Arbeitswoche) hinweg macht es einen kolossalen Unterschied: Will ich den ganzen Tag unter Zeitdruck arbeiten, um bei einer Output-Annahme von 2.000 Wörtern bescheidene 240 Euro Umsatz (nicht Gewinn!) am Tag zu erzielen, oder ist es nicht viel angenehmer, sich ein „echtes“ Fachgebiet anzueignen und dann (bei der gleichen Output-Annahme von 2.000 Wörtern) 500 Euro Umsatz (oder 600 Euro bei 30 ct./Wort oder mehr) am Tag zu erzielen (und für anderes mehr Zeit zu haben)? Denken Sie stets dabei: Sie wollen nicht nur „überleben“, sondern gut von Ihrer Berufstätigkeit leben und ggf. eine Familie davon ernähren.

Übrigens: Ein französisches Sprichwort besagt „l’appétit vient en mangeant“ (der Appetit kommt beim Essen). Und [gmrpf] kann Unterfachgebiete haben, die durchaus spannend sind. Ich vergleiche das immer mit Sudoku: Beim allerersten Sudoku, das ich sah, dachte ich „boah, grauenhaft“, nicht zuletzt, weil ich gar kein Zahlenmensch bin. Aber mit der Zeit hat es mich gefuchst, und ich habe mich intensiv damit beschäftigt, sodass ich heute mittelschwere Sudoku-Rätsel ohne Radiergummi recht schnell lösen kann.

Woher weiß ich, welches Fachgebiet ertragreich ist, sich ständig weiterentwickelt und damit zukunftsorientiert ist? Hier helfen gezielte Recherchen im Internet. Fragen Sie erfahrene Kollegen und hören Sie sich um, was in Industrie und Forschung passiert. Besuchen Sie zum Beispiel die Websites der Fraunhofer Institute sowie anderer Organisationen und Einrichtungen, die sich mit Forschung und Entwicklung befassen, studieren Sie Wissensmagazine wie beispielsweise scinnex.

Das fliegende Fachgebiet

Übrigens ist es ganz oft nicht so, dass sich jemand nach Recherchen und Analysen bewusst für ein Fachgebiet entscheidet. Meist fliegt das Fachgebiet zu einem bzw. man rutscht einfach so hinein – und nicht selten denkt man am Anfang, wie schrecklich das Fachgebiet doch ist, dass man es nicht mag usw. So bin ich zu einem meiner Fachgebiete gekommen: eine Tätigkeit bei einem Reifenhersteller, dann erst einmal hineinschnuppern, auf einmal wurde das Thema immer spannender, und ich konnte mich immer tiefer in die Materie einarbeiten, mit Reifenexperten lernen usw. Und ich bin heute mehr denn je begeistert.

Foto: Dmitriy, Pixabay

Wie erarbeite ich mir ein Fachgebiet?

Prüfen Sie, ob und wo es Einführungskurse gibt, zum Beispiel Präsenzkurse in Ihrer Nähe, vielleicht sogar an der VHS für ein erstes Eintauchen, an einer Universität oder Fachhochschule, wo Sie als Gasthörer mal hineinschnuppern könnten, oder Webinare. Erkundigen Sie sich nach MOOCs. Das Akronym MOOC steht für massive open online course, das sind leicht zugängliche und doch anspruchsvolle internetbasierte Angebote, die in der Regel von Hochschulen organisiert werden – auf hohem Niveau und meist kostenlos. Die größte deutschsprachige MOOC-Plattform steht unter https://moochub.org/ zur Verfügung.

Recherchieren Sie im Internet nach Fachliteratur, Fachforen, in denen Sie sich in das Fachgebiet [gmrpf] einlesen können, um erst einmal ein Gefühl für die Thematik zu bekommen. Arbeiten Sie diese konsequent durch und notieren Sie die Fachbegriffe. Nehmen Sie die Liste der potenziellen Kunden (Anbieter, Hersteller usw.), die Sie im Vorfeld, also vor der Entscheidung für [gmrpf], ermittelt haben, zur Hand und prüfen Sie auf deren Websites, was an Fachwissen dort eingestellt ist: Broschüren und andere Publikationen im Downloadbereich, Produktbeschreibungen, Pressemeldungen und Ähnliches. Arbeiten Sie alles konsequent und systematisch durch und notieren Sie die Fachbegriffe.

Zögern Sie nicht, Unternehmen anzurufen (auch solche, die [noch] nicht zu Ihren Kunden zählen) und zu fragen, was sie anbieten, damit Sie sich dem Thema nähern können: Werksbesichtigung, Kundenbesuch mit Außendienst, Kundenmagazin (das vielleicht nicht als Download auf der Website bereitsteht) usw. Sie werden staunen, wie bereitwillig manche Firmen sind – und daraus erwachsen interessante Kontakte.

Foto: Gerd Altmann, Pixabay

Besuchen Sie Messen, auf denen Produkte bzw. Dienstleistungen aus dem Fachgebiet [gmrpf] präsentiert werden, und treten Sie mit den Ausstellern in Kontakt. Bauen Sie sich ein Netzwerk von Experten auf – nein, keine Übersetzerkollegen, sondern Experten aus dem Fachgebiet, die Sie im Bedarfsfall anrufen können, wenn Ihnen etwas nicht klar ist, und vor allem, die Sie regelmäßig zu individuellen Fachgesprächen für Ihre Weiterbildung einladen, natürlich geht das auch telefonisch oder per Zoom.

Faktor Zeit

Erneut höre ich Stimmen von Kollegen*: „Spezialisierung braucht Zeit“. Ja, selbstverständlich, was denn sonst?! Das Einmaleins zu lernen hat auch Zeit gebraucht. Das Studium auch. Aber es lohnt sich. „Spezialisierung ohne Zeitinvestition geht nicht, darüber sollte sich jeder im Klaren sein„, so Jacqueline Breuer.

Der Weg zur Spezialisierung geht nicht über die Methode „erst mal einen lukrativen anderen Job haben, bei dem man zum Beispiel 15 Stunden pro Woche so viel Geld verdient, um die Grundbedürfnisse oder sogar mehr abzudecken. Dann kann man sich den Rest der Zeit der Spezialisierung widmen.“ Das ist der falsche Ansatz. Eine Festanstellung ist selbstverständlich etwas zur Absicherung des Lebensunterhalts, aber der Bezug zum Fachgebiet muss vorhanden sein, sonst ist das verlorene Zeit. Wenn Sie also in einem Luftfahrtunternehmen direkten Zugang zur Sprachenabteilung haben und sich dort mit der Fachthematik befassen, dann ist das eine gute begleitende Maßnahme auf dem Weg zur Spezialisierung.

Es ist zwar ganz nett, wenn Sie neben Ihrer selbstständigen Tätigkeit als Übersetzer auch noch Sprachkurse abhalten oder Nachhilfestunden geben, aber da verdienen Sie doch im besten Fall 20-30 Euro brutto die Stunde. Wollen Sie das?

Das Erarbeiten einer Spezialisierung ist Teil der selbstständigen Tätigkeit als Übersetzer. Es läuft zusätzlich, begleitend und ineinandergreifend ab. Es ist kein „Extrading“. Da muss man halt – sorry – die Arschbacken zusammenkneifen, sich auf den Hosenboden setzen und lernen, lesen, Fachbegriffe erschließen … Der Weg ist kein „nine to five Job“, wie viele es glauben. Wer die Dinge trennt – hier „erstmal“ Geld verdienen, dann für die Spezialisierung lernen – kommt auf keinen grünen Zweig. Fangen Sie mit ersten Übersetzungen im gewählten Fachgebiet an und suchen Sie sich einen Experten, der Sie dabei unterstützt, der Ihnen den Rücken stärkt, mit dem Sie in Fachgesprächen die Materie erschließen, sodass sie irgendwann glasklar für Sie ist. Aber Vorsicht! Sie werden nie damit fertig sein, denn ein Fachgebiet entwickelt sich – in heutigen Zeiten rasant.

Nischenfachgebiete

Und dann gibt es die Nischenfachgebiete wie beispielsweise Seltene Erden, Quanteninformatik, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Nitrosamine in Lebensmitteln, um nur vier zu nennen. Es gibt auch noch Extremnischengebiete wie beispielsweise die Stahlcordwicklungstechnik bei Reifen oder flüssigkristalline Schichtpolymere und ihr Verhalten bei Coextrusion. Hier ist die Zahl der fachkompetenten Übersetzer extrem klein, sodass die ausgewiesenen Experten mit den entsprechenden Sprachkenntnissen wesentlich über dem Durchschnitt verdienen.

Übrigens: Ein Nischenfachgebiet zu beherrschen bedeutet nicht, dass man nichts anderes, also keine anderen Fachübersetzungen macht und zum Fachidioten mutiert.

Was wollen Sie?

Ganz sicher gilt: Auf dem globalen Übersetzungsmarkt gibt es einen Platz „für alle“. Wenn Sie mit Ihrer Situation im low price segment zufrieden sind: Prima. Alles gut!

Wenn nicht, wenn Sie sich sagen: „Da muss doch mehr möglich sein. Habe ich dafür studiert, um nur 8 ct. oder 10 ct. pro Wort zu bekommen? Muss ich täglich 10 Stunden ackern, um meine 2000 Wörter à 8 ct. zu leisten, die mir gerade einmal 160 bzw. 200 Euro Umsatz (Umsatz, nicht Gewinn) einbringen?“ Wenn Sie also tief im Innern spüren, dass da mehr drin ist, dann haben Sie keine Wahl: Sie müssen sich spezialisieren. Und zwar tief, ganz tief. Das tut am Anfang weh – so wie eine Wurzelbehandlung. 😉

Anders ausgedrückt: Sie entscheiden, ob Sie dem bulk market den Rücken kehren und einem Segment der translation industry zugehörig sein wollen, in dem Ihnen mehr wirtschaftliche Freiheit UND mehr Freizeit für anderes (Familie, Reisen …) durch deutlich höhere Wortpreise ermöglicht wird.

Das Wollen ist als Ausgangspunkt wichtig, ja, sogar entscheidend. Die Frage ist: Wollen Sie das? Wollen Sie als Übersetzer nur überleben oder wollen Sie gut, sehr gut von Ihrer Arbeit leben? Das können nur Sie für sich entscheiden. Denn der Übersetzerjob ist lukrativ … wenn Sie es richtig und zielstrebig anpacken.

Viel Erfolg!

(Beitragsbild im Header von Free Photos, Pixabay)

(*) Hinweis: Im Sinne einer besseren Lesbarkeit deckt in diesem Beitrag das generische Maskulinum (z. B. der Übersetzer, Freiberufler, Unternehmer) sowohl die weibliche und männliche Form als auch das dritte Geschlecht ab. Dies ist in keinem Fall als Zeichen einer Diskriminierung zu werten.
(**) Damit ist „deutlich über 25 ct./Wort“ gemeint.

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