Ist Hoffnung uncool?

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Ist Hoffnung uncool?

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es im Volksmund. Ist Hoffnung aus der Mode gekommen?

In meiner Kindheit hoffte ich das halbe Jahr, bald wieder Geburtstag zu haben, und im zweiten halben Jahr, dass bald wieder Weihnachten ist. Sie auch? Damals war mir noch nicht bewusst, dass dadurch die Zeit kein bisschen schneller vergeht. Das gilt insbesondere beim Zahnarzt, wenn die Wurzelbehandlung so gar nicht enden will.

Und doch lassen sich Menschen von Hoffnung tragen, wenn auch nicht alle in gleicher Weise und Intensität. Die Hoffnung auf Arbeit, auf eine bessere Arbeit. Die Hoffnung auf Schmerzlinderung oder gar Erlösung. Die Hoffnung, das Liebste im Leben noch ein wenig länger bei sich zu haben und doch nicht zu verlieren. Die Hoffnung auf ein besseres Leben fern der Heimat.

Wer nie wirklich gelitten hat, weiß nicht, was tiefes Hoffen ist, pflegte meine deutsche Oma zu sagen. Sie hoffte auch noch nach Kriegsende, ihr Sohn Karlheinz möge nach Hause kommen – bis die Mitteilung vom Roten Kreuz kam, dass er in russischer Gefangenschaft an Lungenentzündung verstorben war. Mit gerade einmal 19 Jahren. Hoffen bis zum Tod. Sagt man deshalb „die Hoffnung stirbt zuletzt“?

Ende Januar 2020 hegten die meisten Menschen hierzulande noch ganz normale Hoffnungen, sozusagen Standardhoffnungen: Hoffentlich ist bald Urlaub, hoffentlich sind bald Schulferien. Hoffentlich gewinnt der favorisierte Fußballverein am Samstag das Spiel. Hoffentlich sagt das Angebot dem Kunden zu und der Auftrag wird bestätigt. Hoffentlich bekommt die Tochter / der Sohn die Praktikumsstelle in den USA. Hoffentlich wird das Open-Air-Konzert, für das die Karten bereits in der Tasche liegen, ganz toll.

Und plötzlich war von heute auf morgen nichts mehr, wie es vorher war: Die Pandemie packte die ganze Welt in ihre Krallen. Die Welt geriet aus den Fugen, und das Leben mit allem, was dazu gehört, bekam einen dicken Dämpfer und hatte erst einmal … Pause. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 erstarrte das Leben regelrecht. Weltweit starben so viele Menschen – allein, ohne dass ihnen jemand die Hand hielt und Abschied nehmen konnte. Plötzlich brach alles, was uns so vertraut war, was wir für selbstverständlich hielten, weg: Väter durften bei der Geburt ihres Kindes nicht mehr im Kreißsaal dabei sein, und Menschen konnten sich von ihren lieben Verstorbenen nicht mehr wie bisher verabschieden. Die ganze Bandbreite des Lebens war uns genommen.

Und auch wenn sich inzwischen vieles dank der Impfstoffe gelockert hat, bleiben einige Wermutstropfen: Werden wir einander jemals wieder ohne Hintergedanken die Hand geben? Uns umarmen? Unbeschwert die Köpfe zusammenstecken, um gemeinsam zu lachen oder zu weinen? Auch unabhängig von der Corona-Pandemie fragen sich die Menschen: Wie kann der Klimawandel gebremst werden? Wie wird die Welt in zwanzig, dreißig oder mehr Jahren aussehen, wenn wir selbst nicht mehr da sind? Wird sie noch lebenswert sein? Was bleibt dann? Bleibt uns, unseren Kindern und Kindeskindern etwas Lebenswertes?

Was uns in jedem Fall bleibt, ist Hoffnung. Sie ist immer da – bei dem einen ganz schwach, bei anderen ganz stark, aber: Hoffnung ist da, sie stirbt ganz zuletzt, wenn überhaupt. Man kann sich auf sie verlassen, man muss nur manchmal ganz tief graben und sie freischaufeln. Hoffnung trägt uns, wir teilen sie, wir geben sie in Gesprächen zurück, wir bauen sie für manche auf, auch wenn wir selbst nur noch ein winziges Stückchen davon in uns tragen. Hoffnung verbindet, auch wenn das Objekt der Hoffnung ganz unterschiedlich ausgerichtet ist. Vielleicht ist Hoffnung auch ansteckend?

Hoffnung beseelt den Menschen, sie ist das Feuer, das in ihm brennt. Sie ist für die Seele eine Ressource, die so wichtig ist wie Trinkwasser für den Körper.

Dass es die Grundemotion Hoffnung gibt, ist ein Segen für den Menschen. Aber Hoffnung kann auch zum Problem werden, wenn sie den Menschen auf unrealistische Gedankenwege führt. Bei einer schlimmen unheilbaren Krankheit, die binnen kurzer Zeit zum unweigerlichen Ende führt, können der Betroffene und seine Nächsten auf Linderung der Schmerzen, auf gemeinsame „noch schöne Zeiten“ hoffen. Auf ein Wunder zu hoffen, ist zwar verständlich, aber aussichtslos. Keine einfache Situation, denn hier herrschen die Prinzipien der Vernunft nicht.

Hoffnung ist zuweilen auch eine Form der Sehnsucht – oder umgekehrt. Das ist wie bei der Henne und dem Ei. Spielt aber keine Rolle, denn auch die Sehnsucht ist in uns, sie schmerzt manchmal, wenn die Realität einem vor Augen führt, dass der Gegenstand oder das Ziel der Sehnsucht einfach nicht mehr da ist – gestorben ist und nie zurückkommen wird.

Ein Beraterkollege sagte seinen Schützlingen in jeder Sitzung: „Wer enttäuscht wird, hat falsch gehofft“. Das ist hart, trifft dennoch zu. Nur kann der Mensch sein Stück Hoffnung nicht immer kanalisieren, abwägen, orientieren. Auch wenn er lernt, resilienter zu werden. Die Hoffnungsflamme ist da, sie brennt und fragt nicht immer, ob sie richtig ist oder für das Richtige brennt.

Am anderen „Ende“ der Hoffnungsstraße findet man häufig Panikmache, Äußerungen, die eine Art Apokalypse aufzeichnen: „Mir graut, wenn ich daran denke, was für eine Welt wir unseren Kindern hinterlassen“ oder „Die Millennials sind als Generation verraten und verkauft worden“ oder noch schlimmer „In zwanzig Jahren sind wir alle tot“. Diese Formulierungen sind so kategorisch, so niederschmetternd, dass sie keine Hoffnung mehr zulassen – weder bei demjenigen, der so etwas sagt und von seiner Aussage überzeugt ist, noch und erst recht nicht bei denjenigen, auf die sich der Gedanke bezieht. Dann machen wir doch gleich die Boutique zu, geben alles auf und setzen einen Schlusspunkt unter unser Leben?! Denn vor dem Hintergrund solcher Überzeugungen dürfte nichts und niemand, keine politische Partei – selbst wenn sie die absolute Mehrheit hätte, keine Bewegung, keine Initiative etwas ändern können.

Ein solches Szenario der Hoffnungslosigkeit, das Dramen aufzeichnet und eine Endzeitstimmung verbreitet, kann und will ich nicht teilen. Solange es noch einen Funken Hoffnung gibt, ist das Leben lebenswert. Ich wünsche Ihnen ganz viel Hoffnung: auf gute Zeiten, auf bessere Zeiten und auf eine schöne neue Welt, die sich uns jeden Morgen in ihrer ganzen Pracht zeigt, wenn wir nach dem Aufstehen ans Fenster gehen und ein Vögelchen auf einem Baum sitzen sehen.

  1. ….. und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, so würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen

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