Übersetzer: langfristig bestehen (2)

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Übersetzer: langfristig bestehen (2)

Der Wurzelbehandlung zweiter Teil

In meinem Blogpost Übersetzer: langfristig bestehen haben wir gesehen, dass trotz eines kontinuierlich steigenden Übersetzungsbedarfs die Zukunft ALLER Übersetzer:innen selbst für die nächsten fünfzig Jahre leider nicht gesichert ist. Im zweiten Teil der Reihe Übersetzer: Die Wurzelbehandlung habe ich aufgezeigt, wo die Wurzel des Problems liegt und warum eine Wurzelbehandlung nötig ist – vorausgesetzt, man/frau will an der eigenen ggf. nicht zufriedenstellenden Situation etwas ändern.

Heute werden wir einige der wunden Punkte konkret angehen, jedoch ohne Priorisierung in der Nennung, denn für jede und jeden ist etwas anderes vorrangig. Vorausgesetzt wird selbstverständlich die translatorische Fachkompetenz.

Praxisbezug und soziale Kompetenz

Auch heute wird in vielen Studiengängen (nicht nur im Translationsbereich) zu akademisch ausgebildet. Ein stärkerer Bezug zur Praxis ist wünschenswert, so auch für Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen, für die ein Kennenlernen der Unternehmensstrukturen, des Kunden-Lieferanten-Gefüges, der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb eines Unternehmens meiner Ansicht nach grundlegend wichtig sind. Wie sind die Abläufe in (größeren) Firmen (zum Beispiel bei Ihren bestehenden und potenziellen Kunden), wie erfolgt die Entscheidungsfindung, wie wird das Projektmanagement abgewickelt, wie laufen Zahlungsvorgänge, wie ist die Marktposition des Unternehmens, welche Stakeholder begleiten ein Unternehmen usw. – je mehr Sie darüber wissen, desto besser können Sie sich in die Köpfe der Entscheider versetzen, deren Gegenargumente vorwegnehmen und Ihre Argumente entsprechend ausarbeiten. Mit einem auf diese Weise umgesetzten Praxisbezug einher geht auch das Aneignen bzw. der Ausbau der sozialen Kompetenzen, die vielfach bei Einzelkämpfern, die nach ihrer Ausbildung direkt in die Selbstständigkeit eingestiegen sind, fehlen bzw. stark entwicklungsbedürftig sind.

Einen Überblick über die wichtigsten Soft Skills gibt es in meinem Fachbuch „Das große 1×1 für selbstständige Übersetzer – Nachschlagewerk für die Praxis“ BDÜ Weiterbildungs- und Fachverlagsgesellschaft mbH (bdue-fachverlag.de).

Unternehmerisches Denken und Handeln

Jeder/jedem dürfte inzwischen klar sein: Wer erfolgreich selbstständig tätig sein will, muss die entsprechenden Voraussetzungen als Unternehmer:in mitbringen. Leider gibt es noch zu viele freiberuflich tätige Übersetzer:innen mit durchaus guter translatorischer Fachkompetenz, die sich ihr Berufsleben lang „abstrampeln“, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen: Nicht selten ist dies in fehlenden unternehmerischen Kenntnissen begründet.

Wer sich und seinen Unternehmergeist einmal auf den Prüfstein stellen will, kann dies anhand des Tests tun, den ich in meinem o. g. Fachbuch für Sie entwickelt habe. Eines ist sicher: Mit den sog. hard facts, also allem, was unter Praxisbezug gemeint ist, können Sie sich in Seminaren, Webinaren usw. vertraut machen. Aber die Soft Skills, die fallen nicht vom Himmel, die haben Sie oder auch nicht. Was nicht bedeutet, dass man/frau da nicht hineinwachsen kann. Das Problem: Selten bekommt man es offen gesagt, was an Soft Skills fehlt. Man wundert sich dann nur, dass der Kunde nicht wiederkommt.

  • Wer zu den Neinsagern gehört, deren Lieblingsspruch „das geht nicht“ ist,
  • Wer konsequent auf seinen pünktlichen Feierabend und sein Wochenende ab Freitag 15 Uhr pocht,
  • Wer die Meinung vertritt, ein Freiberufler stehe nicht im Dienst des Kunden,
  • Wer der Ansicht ist, der Kunde sei bitteschön zu Treue, Loyalität und grenzenlosem Verständnis für die private Lage des Freiberuflers verpflichtet,
  • Wer sich empört, weil sich ein Kunde erdreistet hat, einen Auftrag „asap“ erledigt haben zu wollen und den Text dann doch Tage oder gar Wochen später verarbeitet hat,

der bzw. die ist kein Unternehmer bzw. keine Unternehmerin, eignet sich nicht zum Freiberuflertum, ist kein Serviceleister oder Serviceleisterin … und wird auf keinen grünen Zweig kommen. Im Übrigen ist das auch der Typ Mensch, der im Angestelltenverhältnis kein „Mit-Arbeiter“ ist, der im Team an der Erreichung eines gemeinsamen Ziels mitwirkt , sondern ein Beschäftigter, der seine Zeit absitzt.

Professionalität

Einer der wichtigsten Punkte in unserem Metier ist die Professionalität. Was fällt denn alles unter diesen Begriff? Es fängt mit dem Auftreten im Allgemeinen, mit dem sog. Business-Knigge (einschl. Mail-Knigge) und der Darstellung der eigenen Dienstleistung (wie verkaufe ich mich?), der Verhandlungsführung und der Eigeninitiative an und endet beim Umgang mit dem Kunden, ohne die eigentliche Abwicklung des Auftrags mit allem, was damit zusammenhängt, zu vernachlässigen.

Nehmen wir als Beispiel meine Kollegin Frau Satziplus. Sie muss zunächst die Fähigkeit besitzen, zwischen Dingen, die sie kann, und Dingen, die sie nicht kann, zu unterscheiden. Unzählige Übersetzer:innen nehmen Aufträge in Fachgebieten an, in denen sie keine oder nur unzureichende Kenntnisse haben. Das ist nicht nur riskant, denn sie laufen damit Gefahr, Fehler zu machen oder Texte abzuliefern, die fachlich nicht rund sind. Der Experte des fraglichen Fachgebiets merkt es beim Lesen sofort. Mindestens genau so schädlich für den Selbstständigen ist die Tatsache, dass er sich damit quält, jeden Fachbegriff recherchieren und (hoffentlich) gegenprüfen, sprich absichern und für einen Text einen wesentlich höheren Aufwand einkalkulieren muss. Das ist am Ende nicht wirtschaftlich. Wer einen Auftrag wegen des Fachgebiets ablehnt und dies dem Kunden ggf. offen erklärt, zeigt nicht etwa Schwäche oder Desinteresse, sondern beweist vielmehr Professionalität und Aufrichtigkeit. In der Regel hat man in seinem Netzwerk Kollegen und Kolleginnen aus unterschiedlichen Fachgebieten, die dann entsprechend empfohlen werden können.

Selbstverständlich zeigt sich Professionalität auch beim Umgang mit Kunden. Mein Paradebeispiel hierzu ist ein Fall, der sich tatsächlich vor ein paar Jahren so ereignet und von dem mir diese Firma berichtet hat:
Eine Übersetzerkollegin hat (über meine provisionsfreie Vermittlung, es ging um eine Sprache, die nicht zu meinen Arbeitssprachen zählt) einen ersten recht umfangreichen Auftrag mehr als zufriedenstellend für eine Firma ausgeführt. Diese Firma hat überdurchschnittlich gut (Honorarhöhe) und zuverlässig (innerhalb 14 Tagen) bezahlt und deutlich gemacht, dass weitere umfangreiche Aufträge (Übersetzungen, Sprechertätigkeit, Moderation bei Events usw.) zustande kommen werden. Dann der Knackpunkt: Die Firma bittet drei Tage nach Erhalt der ersten Rechnung um Übersetzung eines Satzes, der im O-Text des ersten Auftrags vergessen wurde. Kein Problem, der Übersetzer macht das unverzüglich und – fataler Fehler – schickt eine Rechnung über eine Auftragspauschale von 45 Euro.

Das war’s: 11 kleine Wörter (75 Bruttoanschläge!), die den Übersetzer eine Minute gekostet haben und für die er trotz der Aussicht auf einen dauerhaften Stammkunden 45 Euro verlangt hat. Service? Ein Fremdwort. Aus die Maus. Diesen Direktkunden betreut seit diesem Vorfall ein anderer Englisch-Übersetzer, der damit einen  Umsatz in Höhe von ca. 20.000 Euro Jahr für Jahr sicher hat. Wie dumm muss jemand sein, um eine solche Chance zu vergeigen?! Auch das gehört zum Thema Professionalität, die die Spreu vom Weizen trennt.

Weitere Punkte, die eine mangelnde Professionalität zutage bringen: unangemessene Formen im Mailverkehr (Stichwort Kommunikationsfähigkeit), joviales Auftreten am Telefon, gänzlich fehlende Kritikfähigkeit, mangelnde Bereitschaft, auch nur minimal über das vereinbarte Auftragsvolumen zu gehen usw. Es wird darauf gepocht, das sei nicht beauftragt worden oder nicht im Preis enthalten – und dabei bleibt es. Oder die Umwandlung der fünfseitigen PDF-Datei wird mit 40 Euro berechnet und dergleichen mehr. Kein Ab- und Zugeben, kein Geschäftssinn. Kein Feeling. Und daher auch kein grüner Zweig in greifbarer Nähe.

Gänzlich unprofessionell sind außerdem deplatzierte Äußerungen über Aufträge und/oder Kunden in den social media, selbst wenn sie scheinbar anonymisiert sind, und das generelle Auslassen über Kunden oder auch über übersetzende Kolleginnen und Kollegen, die einem zuarbeiten. Auch Postings in sog. geschlossenen Gruppen sind eine Überlegung wert, denn sobald mehr als 100 Mitglieder verzeichnet werden, gibt es keine Kontrolle mehr, was nach außen dringt. Und schnell kann sich aus der kleinen abgesetzten Ärgerflocke eine Lawine entwickeln.

Sich auf offenen Blue Boards den Ärger und Frust wegen nicht oder nicht pünktlich zahlender Agenturen frei von der Leber weg zu schreiben, ist zumindest riskant. Blitzschnell kann eine Abmahnung ins Haus flattern, gegen die man als Einzelkämpfer so gut wie machtlos ist. Wer seinen Kollegen in löblicher Absicht helfen will, muss seine Worte sehr genau wählen und darf nur Fakten anführen – keine Verallgemeinerungen wie „zahlt grundsätzlich erst nach der 3. Mahnung“.

„Was du vermagst, ist dein Vermögen“ – so der Philosoph und Journalist Max Stirner. Ihre wertvollsten Ressourcen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Ihre herausragenden Sprachkenntnisse, Ihr Talent, den Sinn eines Originaltextes zu erfassen und ihn in die Zielsprache so wiederzugeben, dass der Leser gar nicht merkt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Das ist Ihr Kapital.

Die Professionalität, die Soft Skills, das gewisse Etwas – das ist das, was Sie vom „Gros“ im Übersetzungsangebot abhebt. Setzen Sie es um und ein!

  1. Vielen Dank für diesen wieder einmal sehr interessanten Beitrag. Eine Frage: Nun lese ich schon mehrmals in Ihren Artikeln, dass des Freiberuflers Ziel sein sollte, „auf einen grünen Zweig zu kommen“. Könnten Sie diesen grünen Zweig mal bitte definieren, in Euro Monats-, Jahres- oder Stundenumsatz? Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass es einige Leute gibt, die von Natur aus sehr bescheiden sind und sich mit Monatsumsätzen ein gutes Leben machen können, für die andere wiederum nicht mal den PC einschalten würden. Daher sollte m.M.n. mal definiert werden, welches Einkommen man realistischerweise anstreben könnte bzw. sollte, um endlich auf die Sonnenseite des Lebens als Freiberufler zu kommen 😉

    • Hallo,
      danke für Ihre Zeilen.
      Nein, den berühmten „grünen Zweig“ muss jeder für sich definieren – Sie schreiben es ja selbst: So mancher ist bescheiden.
      Der Zweig fängt dann an, grün zu sein, wenn alle Kosten gedeckt sind UND man sich noch das leisten kann, was man sich so nebenbei gerne gönnen möchte. Der/die eine geht gerne regelmäßig ins Kino und ins Restaurant, der/die andere kauft sich gerne Pflanzen für den Garten usw. Und dann wäre ja noch vielleicht der Wunsch, sich eine größere Wohnung oder einen längeren Urlaub oder … zu leisten. Sie sehen also: Der grüne Zweig ist individuell zu definieren.
      Wenn sich aber jemand immer nur abstrampelt, Nachtschichten einlegt, um über die Runden zu kommen und seine Familie zu ernähren, dann ist der Zweig nicht grün, sondern gefährlich rot, denn das schadet der Gesundheit.
      Es gibt einige Blogs im Kollegenkreis, auf denen vom 6-stelligen-Umsatz die Rede ist. Dass dies von jedem/jeder (aus welchen Gründen auch immer) erreichbar ist, leuchtet ein. Es steht auch nirgends geschrieben, dass dies sein MUSS.
      Die (wirtschaftliche) Sonnenseite fängt da an zu leuchten, wo ich mich wohl fühlen, wo ich nicht überlegen muss, ob ich mir „mal etwas gönne“ (wobei das für jeden/jede etwas anderes ist) UND vor allem, wo ich mir keine Sorgen machen muss, wenn die Waschmaschine den Geist aufgibt.
      Eine Anmerkung am Rand: Wenn ich mein Auto in die kleine Werkstatt um die Ecke bringe, zahle ich dem Solo-Kfz-Mann 62 Euro zzgl. MwSt. Ich nehme also für mich in Anspruch, mein Stundenhonorar (sofern ich auf Stundenbasis abrechnen sollte) mindestens in gleicher Höhe anzusetzen.
      Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage einigermaßen zufriedenstellend beantworten.
      Viele Grüße

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