Übersetzer: Standort irrelevant

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Übersetzer: Standort irrelevant

Trotz Wohn-/Arbeitssitz in Niedriglohnländern höhere Preise erzielen

Immer wieder werde ich von Kollegen (*) angesprochen, die in sog. Niedriglohn-/preisländern (Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Tschechien usw.) leben und über die schwachen Preise klagen, die sie für Übersetzungs- und Lektoratsleistungen erzielen. Warum ist das so? Die Antwort ist einfach: Die Kunden dieser Kollegen befinden sich im gleichen Land oder in einem anderen Land derselben Preiskategorie.

Die Lösung: Kunden in höherpreisigen Ländern akquirieren.

Klingt einfach? Im Grunde ja.

Wie funktioniert’s?

Nehmen wir ein Beispiel. Sie leben im schönen [Knuriland], wo sich Löhne und Dienstleistungspreise leider im unteren Segment bewegen. Die Wirtschaft läuft nicht schlecht, aber es könnte wesentlich besser sein. Die in diesem Land ansässigen Firmen sind nicht bereit oder in der Lage, für Übersetzungsleistungen „viel“ zu zahlen. Als selbstständiger Übersetzer kommen Sie zwar über die Runden, aber Sie wünschen sich Wortpreise, die sich dem Preisniveau von Deutschland & Co. mindestens annähert. Alles ab 10 ct. wäre für Sie schon prima, wobei auch dieser Preis zum Beispiel für Deutschland und fundierte Fachkenntnisse wenig ist.

Zunächst: Ihr Standort ist völlig irrelevant.

Es ist (für unser Thema „Preis“) prinzipiell nicht relevant, wo Sie leben, sondern welche Sprachen und welches Fachgebiet Sie anbieten und vor allem, für welche Kunden Sie arbeiten bzw. wo der Standort Ihrer Kunden ist.

Suchen Sie nach Unternehmen, die

  • entweder **keine** Niederlassung in [Knuriland] haben, die jedoch in Ihrem Land Geschäfte machen, das heißt Waren z. B. von Deutschland, Frankreich usw. nach [Knuriland] exportieren. Wenn die Firma ABC Geräte in [Knuriland] verkaufen will und dies tut, entsteht Schriftverkehr, eine Website und Bedienungsanleitungen in [Knuriländisch] müssen her usw. Diese Firmen müssen Sie proaktiv ansprechen. Natürlich muss das Betätigungsfeld der Firma zu Ihrem Fachgebiet passen …
  • oder finden Sie heraus, welche Unternehmen (die zu Ihren Fachgebieten passen) Niederlassungen oder Tochtergesellschaften im Land Ihrer Ausgangs- und/oder Zielsprache unterhalten. Dabei kann es sich auch um Produktionswerke handeln, denn diese haben es ebenfalls mit Verträgen, AGB, Marketing, Lagerhaltung, Sicherheit, Personalthemen usw. zu tun.

Übrigens: Denken Sie auch an den Mittelstand, also an KMU, die heutzutage vermehrt mit Kunden und/oder Lieferanten aus allen möglichen Ländern zusammenarbeiten.

Spielen Sie Detektiv

Wie finden Sie solche Unternehmen? Indem Sie erstens das Internet abgrasen und Onkel Gurgel geschickt befragen, zweitens die AHK und weitere Anlaufstellen im Bereich Wirtschaft konsultieren, beispielsweise Wirtschaftsverbände und Ähnliches. Auch Ihre örtliche IHK in [Knuriland] kann weiterhelfen. Auf den Websites potenzieller Kundenfirmen sind meist Geschäftsberichte, Pressemitteilungen und sonstige News, die Sie aufmerksam lesen sollten.

Denken Sie auch an die Zulieferer der Firmen, deren Produkte in [Knuriland] verkauft werden. Beispiel: Sie übersetzen Deutsch > Rumänisch, Sie wissen, dass der Dacia eine Renault-Automarke ist, die u.a. in Rumänien produziert wird. In den Dacia werden (dies sind lediglich Beispiele!) Batterien von Bosch, Kunststoffteile der GHS Plastics GmbH, Sitze der Vogelsitze GmbH, Klimaanlagen der Behr-Hella Thermocontrol GmbH usw. verbaut. Es sind diese Firmen, die Sie ansprechen sollten, sofern das jeweilige Fachgebiet zu Ihnen passt. Das bedeutet etwas detektivische Recherchearbeit, aber es lohnt sich.

Gewusst wie

Wie sollen Sie diese Firmen ansprechen? In keinem Fall per Rundmail. Unabhängig von der Thematik erlaubte/unerlaubte Kaltakquise, die vielleicht in [Knuriland] anders als in Deutschland gelagert ist, wird der Empfänger einer solchen Rundmail in 99 % der Fälle die Löschtaste drücken. Wer mich ein wenig kennt, wird nicht überrascht sein, wenn ich sage: Rufen Sie an! Aber fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus.

Legen Sie sich eine Strategie zurecht, suchen Sie einen Aufhänger, verlangen Sie z. B. den PR-Verantwortlichen oder den Marketingleiter (wenn Sie mit Marketingtexten arbeiten) und gestalten Sie ein verbindliches Gespräch, bevor Sie Ihre Unterstützung anbieten. Versetzen Sie sich in die Lage eines Bereichsleiters, der möglicherweise zehn Anrufe dieser Art am Tag erhält. Sie müssen also Ihr ganz eigenes Alleinstellungsmerkmal herauskristallisieren und Ihrem Gesprächspartner verdeutlichen, dass Sie der/die Richtige für sein Anliegen sind. Was „sein Anliegen“ ist, müssen Sie im Telefonat mit Ihren feinen Antennen erfühlen.

Nehmen wir an, Ihr Gesprächspartner sagt: „Ach, wir haben schon einen Dienstleister, aber wir müssen immer wieder Korrekturen an den gelieferten Übersetzungen vornehmen“. Sagen Sie nicht: „Ha, das kann ich mir vorstellen / Ich kann das besser / Ich liefere 1A-Qualität / “ oder Ähnliches. Das zeugt nicht von Professionalität. Bieten Sie an, in einem künftigen Fall die Fremdübersetzung zu begutachten oder eine Probeübersetzung anzufertigen. Erklären Sie sachlich, wie ein Profiübersetzer arbeitet, was er für einen Background (Studium, Fachkenntnisse, Auslandsaufenthalt …) hat, erwähnen Sie das Vier-Augen-Prinzip usw.

Übung macht den Meister

Verzweifeln Sie nicht, wenn nicht gleich der erste Anruf zum Erfolg führt – das wäre höchst erstaunlich. Betrachten Sie jeden Anruf als Übung sowie als Chance herauszufinden, was Sie beim nächsten Anruf besser machen können, worauf Sie achten müssen, was Sie gefragt wurden, worauf Sie spontan keine Antwort hatten usw.

Lassen Sie sich nicht von Agenturen beeinflussen, die das „geringe Kundenbudget“ oder das „niedrige Preisniveau“ als Argument für die mageren Honorare, die sie bereit sind, Ihnen zu zahlen, anführen. Es gibt nicht nur „einen“ Übersetzungsmarkt, sondern mehrere Märkte: Ihre Aufgabe ist es, für sich genau den Markt zu finden, auf dem Ihre Fachkompetenz, Reaktivität und … Ihre Soft Skills gefragt sind. Der Zeitaufwand dafür ist eine Investition in Ihre Zukunft. Viel Erfolg!

(*) Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.

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