Frühling: zwei Länder, zwei Kulturen

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Frühling: zwei Länder, zwei Kulturen

Sie denken, im Frühling verhalten sich die Menschen diesseits und jenseits des Rheins ähnlich? Dann schauen wir mal gemeinsam nach …

(Vokabelliste am Ende)

Ah, endlich Frühling … Die Sonnenstrahlen wärmen wieder – fast schon zuviel, sagen manche, die Schneeglöckchen sind längst verblüht, die Narzissen zeigen bereits ihre Köpfchen, und die Vögel zwitschern um die Wette. Während es in Frankreich heißt: „Une hirondelle ne fait pas le printemps“ (eine Schwalbe macht noch keinen Frühling), sagen die Deutschen „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“.

In Deutschland verspürt die deutsche Hausfrau einen unbändigen Drang zum Frühlingsputz: Es wird überall geschrubbt, gewienert und gebürstet. Das Bettzeug hängt länger über dem Balkongeländer, die Teppiche werden ausgeklopft, die Vorhänge von den Fenstern abgehängt, gewaschen und wieder frisch aufgehängt, die Fenster geputzt, die Gartenmöbel gesäubert … Die Winterklamotten werden ausgiebig gelüftet, manches in die Reinigung gebracht, anderes gewaschen und alles fein säuberlich bis zum nächsten Winter eingemottet.

Der Kärcher wird aus der Garage geholt und überall dort eingesetzt, wo er keinen (großen) Schaden anrichten kann. Terrasse oder Balkon werden fit zur Eröffnung der Grillsaison gemacht – zur Freude der Nachbarn, die je nach Windrichtung wohl oder übel den Duft der weiten Fleischwelt genießen dürfen.

Putzen hat ja auch etwas Befreiendes, etwas Seelenreinigendes … Übrigens veranstalten inzwischen viele Städte und Gemeinden sog. „Dreck-weg-Wochen“ und sorgen so für ein gemeinschaftliches Putz-Event. Dabei ist auch unbedingt der Gehweg vor dem eigenen Haus sorgfältig von Unrat und Sand zu befreien und dieser Vorgang allsamstäglich zu wiederholen. Spätestens samstags um 16 Uhr hat alles picobello zu sein.

Unerschrockene wagen den Sprung ins Wasser des Freibads: In Karlsruhe hat das altbekannte Sonnenbad als Erstes in ganz Deutschland am 22. Februar 2019 die Freibadsaison eröffnet. Die Wassertemperatur beträgt dank des nahe gelegenen Heizkraftwerks 28°C – da kann man schon mal ein paar Längen zurücklegen.

Gartenbesitzer brennt es schon unter den Füßen und Nägeln. Ungeduldig bemühen sie Rechen, Sauzahn, Laubsauger und Häcksler, um sich anschließend im nächstgelegenen Gartencenter mit Blumenzwiebeln und Pflanzen einzudecken, die den noch kalten Nächten die Stirn bieten.

Ab sofort wird allabendlich geprüft, wieviel Kilowattstunden Sonne mittels Solarpaneele auf dem Dach geerntet wurde, und sorgsam in eine Tabelle eingetragen. Die Heizung wird abgestellt, denn ab sofort schläft man bei offenem Fenster – nach dem Motto: Gelobt sei, was hart macht.

Und selbstredend werden spätestens im März die Winter- gegen die Sommerreifen ausgetauscht, des Deutschen liebstes Kind durch die Waschstraße gejagt, um die Karosserie vom Streusalz zu befreien, und auf Hochglanz poliert.

Manch einer grast akribisch das Internet ab, um nach der besten Sonnencreme mit dem höchsten Lichtschutzfaktor zu suchen – selbstverständlich werden alle Testergebnisse gewissenhaft studiert -, die gesündeste Fastenkur ausfindig zu machen und neue Wanderziele samt Kartenmaterial und Zeitenvorgaben zu eruieren. Und last but not least werden spätestens jetzt die Reisekataloge – in Printfassung UND online – durchforstet, um möglichst billig möglichst lang in der Sonne Urlaub zu machen, das Reiseziel ist dabei ziemlich egal.

 

 

Und in Frankreich?

Madame lässt es mit dem gründlichen Reinemachen ruhig angehen und verspürt keinen großen Drang, ihr Zuhause auf den Kopf zu stellen. Nur jeder vierte Haushalt hat die aus Deutschland herübergeschwappte Gewohnheit des Frühjahrsputzes übernommen, so das Ergebnis einer Online-Umfrage des Frauenmagazins JOURNAL DES FEMMES im Jahr 2017. Allerdings wird eher geräumt und aussortiert. Was? Vor allem Klamotten und Dekoartikel aus dem letzten Jahr.

Viel wichtiger ist die nächste Sommermode: Soll es eher ein Badeanzug oder noch ein Bikini sein? Wie werden die Sonnenbrillen dieses Jahr aussehen? Der Gang zum Friseur mit dem klaren Wunsch nach einer Kompletterneuerung ist ein Muss. Und natürlich werden Nylonstrümpfe ab sofort nicht mehr angezogen, auch wenn Madame an so manchem Morgen mit den Zähnen klappern muss und obwohl ihr der alte Spruch „En avril ne te découvre pas d’un fil, en mai fais ce qui te plaît“ bekannt ist (sinngemäß: im April sollte man sich nicht zu leicht anziehen, im Mai kann man machen, was man will).

Sie beginnt mit der im Magazin ELLE vorgeschlagenen sanften Diät, denn schließlich will sie schlank sein, wenn am Strand die Hüllen fallen. Madame und Monsieur beginnen wieder, Sport zu treiben: Joggen, Radfahren, Training im Fitness-Center. Letzteres heißt nicht aus purem Zufall centre de remise en forme. Alles in Maßen, versteht sich, während die deutschen Sportbesessenen schon wieder für den nächsten Marathon im Herbst trainieren, die Fitnessuhr am Handgelenk minütlich prüfend.

Bei offenem Fenster schlafen? Ha, der Himmel möge uns davor bewahren! Das kann allenfalls in der Provence vorkommen, und dann erst ab Juni. Ja, ins Gartencenter geht Madame durchaus, um schöne Blumen als Tischdeko zu besorgen und die eine oder andere Topfpflanze, die im Winter die Ohren, äh, Blätter hat hängen lassen, zu ersetzen. An die Balkonbepflanzung denkt Madame aber erst Ende Mai oder Anfang Juni. Kommt Zeit, kommt Rat.

Die Gass‘ kehren? Non merci, allenfalls im kleinsten Provinzdorf, wenn zuvor der Mistwagen zum Feld durchgefahren ist und allzu viel auf seinem Weg verloren hat. Wer einen Garten hat, räumt eventuell schon einmal die elektrisch betriebenen Geräte aus dem Schuppen und wartet bis Sonntagmorgen, um sie in Gang zu setzen. In Deutschland riskiert man in einem solchen Fall mindestens den Zorn der Nachbarn und möglicherweise noch einen Besuch der Polizei wegen sonntäglicher Ruhestörung. Beschwert sich in Frankreich der Nachbar, wird er kurzerhand zum Apéritif eingeladen, was sich durchaus auch aufs Mittagessen ausweiten lässt: quand il y en a pour deux, il y en a pour trois (hat man für zwei gekocht, reicht es auch für drei). In Deutschland undenkbar: Wer um 12 Uhr jemanden besucht, ist ein Banause und Schmarotzer und soll gefälligst zu Hause essen.

Im März im Freien schwimmen? So weit kommt’s noch! Große Schwimmer sind Franzosen ohnehin nicht, da gibt es andere Sportarten, die einem eher zusagen, zum Beispiel Tennis oder Radfahren.

Winterreifen? Pöh! Wer hat schon Winterreifen in Frankreich?! In Paris ganz bestimmt nicht – und Paris ist schließlich Frankreich. Und Auto putzen? Na ja, wenn man mal gar nichts anderes zu tun hat.

Urlaub? Ja, höchstwahrscheinlich in Frankreich, wie es sich gehört. Schließlich hat man genügend Meere im Angebot. An Inseln, die man per Fähre oder Flieger erreicht, fehlt es auch nicht. Und wenn es doch mal etwas weiter weg sein soll, tun es die DOM-TOM (*) wie Martinique, Guadeloupe oder La Réunion bestens. Schließlich spricht man dort Französisch, sonst müsste man sich anstrengen und die wenigen Brocken Schulenglisch ausgraben. Non, merci.

Ob das alles tatsächlich so ist, fragen Sie mich. Mhh, was fragen Sie mich?!

Zu böse, das alles? Ach was, ich selbst kann mit Marotten aus beiden Ländern aufwarten.

 

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einen wunderbaren Frühling.

Vokabeln / vocabulaire

(aus-)sortieren trier
Badeanzug le maillot de bain
Becken le bassin
bei offenem Fenster schlafen dormir la fenêtre ouverte
Bikini le deux-pièces, le bikini
bürsten brosser
Diät (eine ~ machen) faire le régime
Fitness-Center centre de remise en forme
Freibad la piscine en plein air
Frühling le printemps
Frühlingsputz le ménage de printemps
Gartenbesitzer le propriétaire de jardin
Häcksler le broyeur de végétaux
Heizung abstellen éteindre le chauffage
Laubsauger l’aspirateur de feuilles
Lichtschutzfaktor (LSF) l’indice de protection solaire (IP)
Narzissen les narcisses
Nylonstrümpfe les bas, le collant (Strumpfhose)
Osterglocken les jonquilles
räumen ranger, faire du rangement
Rechen le râteau
Sauzahn la griffe à dents
Schneeglöckchen les perce-neige
schrubben frotter
Solarpanele, Solarpaneel les panneaux solaires
Sommermode la mode estivale
Sonnencreme la crème solaire, la lotion solaire
Sonnenstrahlen les rayons du soleil
Streusalz le sel de déneigement
Topfpflanze plante d’appartement
Waschstraße le tunnel de lavage
wienern astiquer
Winter-/Sommerreifen pneu(matique) d’hiver / d’été
zwitschern gazouiller

 

(*) DOM = département d’outre-mer français ; TOM = territoire d’outre-mer français.
Pour plus d’info, lire ici.

  1. Toller Artikel, très bien réussi … Vor allem die Vokabelliste am Ende. So gewinnt man Kulturkompetenz schon beim Lesen!

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