Selbstständigkeit: Warum viele scheitern

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Selbstständigkeit: Warum viele scheitern

Dem Misserfolg auf der Spur

Nie war der Zeitpunkt so günstig wie in den letzten Jahren: Freelancer werden stark nachgefragt, die Chancen für Existenzgründer, etwas Erfolgreiches aufzubauen, sind groß, heißt es in volkswirtschaftlichen Analysen. Doch rasch trennt sich die Spreu vom Weizen, und nicht wenige der voller Elan gestarteten Existenzgründer scheitern kläglich. Zunächst ein paar Fakten:

„In Deutschland wagen jährlich rund 306.000 Gründerinnen und Gründer im Vollerwerb und 562.000 Gründerinnen und Gründer im Nebenerwerb den Schritt in die unternehmerische Selbständigkeit“, heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Und weiter: „43 Prozent der Existenzgründungen erfolgt durch Frauen; diese positive Entwicklung ist durch den Anstieg der Nebenerwerbsgründungen bedingt. Bei Vollerwerbsgründungen liegt der Frauenanteil bei 33 %“, so die weiterführende Auskunft des BMWi.

Aus dem BMWi-Factbook Gründerland Deutschland hier einige interessante Daten und Fakten, die sich auf Existenzgründungen aller Sparten beziehen:

  • 5 von 10 Gründern (49,1 %) haben als höchste Berufsqualifikation eine Lehre/Berufsfachschule abgeschlossen.
  • 16,7 % verfügen über einen Universitätsabschluss (Gesamtbevölkerung: 9,6 %).
  • 59,1 % aller Gründungen erfolgen im Dienstleistungsbereich (persönliche, wirtschaftliche sowie Finanzdienstleistungen zusammen).
  • 3 von 10 Gründungen (33,4 %) werden komplett ohne zusätzliche Finanzmittel durchgeführt.
  • Fast die Hälfte aller Gründungen (44,6 %) startet mit 5.000 Euro und weniger (Sach-und Finanzmittel).
  • Im Jahr 2012 wurden rund 82.000 Gründungen durch Freiberufler angemeldet.
  • Durchschnittliche Arbeitszeit: 67 % der Befragten gaben an, mehr als 30 Stunden wöchentlich, darunter 21 % über 41 Stunden und 17 % 50 Stunden oder mehr zu arbeiten (vgl. Schaubild 12).

Nun eine Zahl speziell zu Übersetzern und Dolmetschern, die sicher wieder heiß diskutiert wird:

  • Der durchschnittliche steuerbare Umsatz eines steuerpflichtigen freiberuflichen Übersetzers oder Dolmetschers (ohne Agenturtätigkeit!) betrug in Deutschland 2010 rd. 94.000 Euro (Quelle: BMWi).

So weit, so gut. Doch wenn auch die Nachfrage nach Profis und Experten ungebrochen hoch ist, so gehört zur Selbstständigkeit weit mehr als nur ein Büro, eine Ausbildung und eine Portion Hoffnung und Elan. Für viele platzt der Traum von der Selbständigkeit ganz schnell. Innerhalb von 6 Jahren scheitern über 50 Prozent der Existenzgründer (aller Sparten), laut KfW-Gründerkompass sind bereits über 30 % der Existenzgründer in den ersten drei Jahren am Ende. Besonders häufig trifft es Jungakademiker bzw. Absolventen einschlägiger Bildungsinstitute, die ohne unternehmerisches Wissen in die Selbstständigkeit als Freiberufler vorpreschen. Sie scheitern zu 40 Prozent.

Warum scheitern Existenzgründer aller Sparten? Die Deutsche Ausgleichsbank (DA) hat die Ursachen und den jeweiligen Anteil der Ursache untersucht (kursiv: persönliche Einschätzung/Erfahrung bezogen auf freiberufliche ÜbersetzerInnen*):

  1. Finanzierungsmängel (68,6 %)
    DA: Gründer unterschätzen oft ihren kurzfristigen Kapitalbedarf. Schwierigkeiten gibt es dann, wenn Kunden schleppend zahlen.

Übersetzer (**) neigen dazu, ihre Liquidität nicht sorgfältig im Griff zu haben, Ausgaben und Einnahmen nicht zu überschauen und gerade in der Gründungsphase zu hohe Ausgaben zu tätigen. Einerseits ist klar zu sagen: Wer als Profi auftreten und arbeiten will, muss sich entsprechend ausstatten und nicht immer nur auf die Billig- oder Gratisversion der Software X oder Y zurückgreifen. Andererseits ist fraglich, ob ein freiberuflicher Übersetzer unbedingt alle möglichen Versicherungen oder gar einen Neuwagen benötigt.

  1. Informationsdefizite (48 %)
    DA: Gründer wissen oft zu wenig vom Marktgeschehen. Sie überschätzen z. B. die Nachfrage für ihr Produkt oder ihre Dienstleistung, unterschätzen die Konkurrenz.

Viele Existenzgründer im Übersetzungsbereich haben wenig bis keine Kenntnisse im kaufmännischen und unternehmerischen Bereich. Dies gilt auch für Übersetzer, die schon einige Jahre „mehr schlecht als recht“ tätig sind, und erklärt auch die Situation Letzterer. Von Akquise über die richtige Marktpositionierung, Alleinstellungsmerkmale und ein 2. oder 3. Standbein bis hin zu den Formalien der Auftragsabwicklung – es gibt viel nachzuholen. Im Übrigen trägt auch diese Tatsache zum gängigen Bild des freiberuflichen Übersetzers in der Öffentlichkeit bei: der „hobbymäßige Nebenjobber“.

  1. Qualifikationsmängel (48 %)
    DA: An der fachlichen Qualifikation mangelt es bei Handwerkern so gut wie nie. Dafür umso mehr an kaufmännischen und unternehmerischen Kenntnissen.

Aus meiner Sicht stürzen sich viel zu viele Übersetzer ohne ausreichende fundierte Fachkenntnisse in die Selbstständigkeit. Fallweise mangelt es auch am Verständnis der Ausgangssprachen, an Sprachgewandtheit in der Muttersprache (über die sog. muttersprachliche Kompetenz hinaus), an Erfahrung „aus dem richtigen Berufsleben“ (z. B.: wie soll ein Übersetzer Texte über unternehmerische Prozesse eines Kunden bearbeiten, wenn er nie einen Einblick in ein Unternehmen gewagt hat) usw. Einen Abschluss mit der Note „Gut“ in der Tasche zu haben, ein halbes oder gar ein ganzes Jahr im Land XX verbracht zu haben, mit einem Muttersprachler der Sprache ZZ zusammen zu leben … – all das macht einen noch lange nicht zum guten professionellen Übersetzer, der zudem auch noch produktiv arbeiten sollte, um über die Runden zu kommen. Wer Basisbegriffe erfragt oder recherchiert, wer nicht weiß, wie eine Rechnung in Deutschland auszusehen hat, wer in „seinem“ Fachgebiet konsequent nur 200 Wörter pro Stunde übersetzt und dafür einen Wortpreis von 8 ct. berechnet, wird auf keinen grünen Zweig kommen. Denn selbst bei einem konsequenten (utopischen) 10-Stunden-Tag kommt er auf nur 160 € Umsatz am Tag, von dem er alle seine Ausgaben, einschl. Lebenshaltung) und Steuern, bestreiten muss.

  1. Planungsmängel (30,1 %)
    DA: Entweder ist die Planung fehlerhaft. Oder sie ist gut, wird aber nicht eingehalten.

Aus meiner Erfahrung mit existenzgründenden und schon etablierten Übersetzern muss ich leider sagen, dass in den meisten Fällen keine Planung existiert bzw. nur eine grobe Vorstellung skizziert wird. Auch diejenigen, die sich beraten lassen, weichen am Ende völlig von der Strategie, die sie für sich im Beratungsgespräch beschlossen hatten. Ich höre dann: „Na ja, es hat sich anders ergeben“. Wenn Firmen so handeln würden, wären sie binnen kürzester Zeit pleite.

  1. Familienprobleme (29,9 %)
    DA: Wenn der Ehepartner die familiären Belastungen in der Anfangsphase nicht länger hinnehmen will, scheitert das Unterfangen.

Gerade in der Übersetzungsbranche kommt es nicht selten vor, dass Aufträge über Nacht oder am Wochenende ausgeführt werden müss(t)en oder dass der Übersetzer tagelang an dem Auftrag arbeiten müsste. Wer Familie / Kinder hat, sieht sich hier mit – rein sachlich betrachtet – mit Hemmnissen konfrontiert, die eine Priorisierung erfordern. Dass diese bei Frauen zu Gunsten der Familie ausfällt, ist nachvollziehbar, für Kunden jedoch „unpraktisch“. Allerdings eignet sich die selbstständige Tätigkeit auch gut für ein Leben mit Familie, wenn sich alle ein wenig organisieren. In Ländern wie Frankreich zum Beispiel ist die große Mehrheit der Mütter berufstätig – in Festanstellung.

  1. Überschätzung der Betriebsleistung (20,9 %)
    DA: Hier ist der Umsatz des Betriebes im Verhältnis zu den hohen Investitionen oder Fixkosten zu gering.

Aus meiner Erfahrung mit „gescheiterten“ oder mehr oder weniger am Existenzminimum arbeitenden Übersetzern muss ich leider sagen, dass nicht selten die Einstellung herrscht(e): „eher weniger arbeiten“. Wer sich so organisieren will und kann, dass er nur so viel arbeitet, wie er braucht – das ist eine persönliche Einstellung, die zu respektieren ist, doch hat sie wenig mit Unternehmertum zu tun. Es ist eine Frage der Lebensplanung. Für mich stellt sich immer die Frage: Was machen diese Personen, wenn sie einmal in einem Alter sind, in dem sie nicht mehr arbeiten können? Thema Vorsorge.

  1. Äußere Einflüsse (15,4 %)
    DA: Ursachen, die der Unternehmer weder vorhersehen noch beeinflussen kann: Änderungen im Kundenverhalten, schwindende Kaufkraft in der Kundenzielgruppe, Wertverlust teurer Maschinen durch technischen Fortschritt, verkehrstechnische oder finanzielle Folgen durch geänderte kommunale Planungen.

In der Übersetzungsbranche können zu den äußeren Einflüssen z. B. Marktveränderungen, der Trend bestimmter Kundengruppen zum Billiganbieter, der in bestimmten Marktsegmenten herrschende Preisdruck usw. sein. Dem gegenüber steht der Trend anderer Kunden zu hochpreisigen Anbietern im Premiumbereich. Klar ist, dass in jedem Markt die komplette Bandbreite an Anbietern ihre Berechtigung hat. So wie es Reifen im Premiumsegment und solche im Low-Budget-Segment gibt, so findet man auch die Bandbreite bei freiberuflichen Übersetzern. Doch auch Low-Budget-Reifen bieten keine ***schlechte*** Qualität, das Sicherheitsrisiko wäre zu hoch. Im Übersetzungsbereich gibt es aber leider massenhaft Anbieter, die tatsächlich nichts Gutes abliefern.

In diesem Zusammenhang wird auf das sehr empfehlenswerte Existenzgründungsportal des Bundesministeriums für Wirtschaft hingewiesen. Wer hier die Informationen sorgfältig durcharbeitet und beherzigt, ist für das Haifischbecken gut gewappnet.

Hochschulabsolventen als Existenzgründer

Hochschulabsolventen als Existenzgründer sind in Deutschland nicht so zahlreich wie in anderen Industrieländern. Das liegt an folgenden Punkten (Quelle: BMWI: Gründerzeiten Nr. 12):

  1. Das Studienziel ist eher auf eine berufliche Abhängigkeit (Festanstellung) als auf unternehmerische Eigenständigkeit ausgelegt.
  2. Aus- und Weiterbildungsangebote zur Existenzgründung gibt es an den Hochschulen nicht bzw. nur im Ansatz.
  3. Für Studiengänge, z. B. der Geisteswissenschaften, gibt es fast keine Projekte, die auf eine selbstständige Tätigkeit vorbereiten.

Aus diesem Grund sind die Risiken für Hochschulabgänger in der Existenzgründung wesentlich höher als aus einer angestellten Tätigkeit heraus. Dieses Risiko gilt es durch eine gute Vorbereitung sowie Weiterbildungsangebote und beratende Unterstützung zu minimieren.

(*) Meine Aussagen beruhen auf ca. 40 Jahren Beratung und Coaching von Existenzgründern aller Sparten, einschl. Übersetzer.
(**) Wie immer in meinen Blogposts deckt das Wort Übersetzer auch die weibliche Form und alle anderen Geschlechterformen ab. Dies im Sinne der besseren Lesbarkeit.

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