Wasch mir den Pelz

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Wasch mir den Pelz

… aber mach mich nicht nass.

So lautet das Motto unzähliger Menschen, die sich zwar die Vorteile einer Sache sichern möchten, den „Preis“ dafür jedoch nicht zahlen wollen. Es menschelt sehr in unseren Breitengraden und nicht zuletzt im Kollegenbereich, wo Ansprüche und Bereitschaft, einiges dafür zu tun, auseinander klaffen.

Kennen Sie die Geschichte des selbstständigen Waldarbeiters Anton Sägedas, der schon seit mehreren Jahren mit derselben Motorsäge arbeitet? Ihm fällt durchaus auf, dass sein Arbeitswerkzeug langsam müde wird, der Motor immer wieder kämpfen muss und die Sägekette geschärft werden müsste, weil die Schneidezähne  stumpf geworden sind. Immer wieder ärgert er sich, weil er mit der Arbeit nicht mehr so schnell vorankommt.

Beim Stammtisch mit Kollegen, die auch selbstständige Waldarbeiter sind, jammert er ohne Ende:
– Du musst die Kette schärfen lassen, sagt Rudi Pfiffig, kauf dir doch eine Schärfmaschine, die brauchst du doch immer wieder.

– Ha, das kann ich mir nicht leisten, entgegnet Anton Sägedas.

– Dann gib sie doch wenigstens zum Schärfen, die Firma Schärfalles macht das über Nacht, mischt sich Hansi Flink ein.

– Weißt du, was die dafür verlangen?, entrüstet sich Anton.

Und geht weiter Tag für Tag zur Arbeit, erledigt seine Aufträge und … ärgert sich, weil er sieht, dass seine Kollegen an einem Tag mehr Bäume als er fällen. Tochter Susi will ja gerne reiten lernen – aber das kostet Geld. Sohn Berti möchte ein Trikot seines Lieblingsfußballvereins, aber Fanartikel sind teuer. Er grübelt und sägt und sägt und grübelt. Harry Sägofix, ein Kollege, mit dem er kürzlich ein Waldstück für einen Auftraggeber gemeinsam bearbeitet hat, empfiehlt ihm, die alte Motorsäge gegen eine neue zu tauschen. Es gibt heute doch so moderne Sägen, die ihm die Arbeit nicht nur erleichtern würden. Er könnte auch in der Zeit doppelt so schnell sein und entweder mehr Aufträge abarbeiten oder aber mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und Tochter Susi und Sohn Berti ihre Wünsche erfüllen.

Beim nächsten Stammtisch fragt Anton Sägedas seine Kollegen, mit welcher Säge sie denn arbeiten.

– Sägoflugs, sagt Rudi Pfiffig, das ist das beste, was du zur Zeit kriegen kannst. Die gibt es in zwei Ausführungen, die Baumarktversion BMV für Wochenendsäger und die Profiversion – für uns halt.

Anton macht sich auf die Socken, durchforstet das Internet und – siehe da – die Sägoflugs BMV gibt es gerade im Angebot. Ein Schnäppchen, denn die Profiversion kostet immerhin das Fünffache. Geklickt, gekauft, bezahlt, geliefert – am nächsten Morgen freut sich Anton wie Bolle auf seine Arbeit, zumal er sich heute wieder ein Waldstück mit seinem Kollegen Harry Sägofix teilt. Schon nach kurzer Zeit muss Anton aber feststellen, dass seine neue Säge zwar besser als die alte ist, sich aber ein wenig schwer tut, der Motor überhitzt schnell, dann muss er eine Pause machen, während Harry Sägofix sägt und sägt und sägt und einen Baum nach dem anderen fällt. In der Mittagspause unterhalten sich die beiden.

So richtig zufrieden ist Anton Sägedas nicht, und ein wenig neidisch auf Harry Sägofix ist er auch. Denn der hat die Profi-Version. Anton beißt in sein Pausenbrot und jammert:

– Das ist doch eine Frechheit von der Firma Sägoflugs. Nirgends steht geschrieben, dass die BMV nicht für solche Mengen geeignet ist. Wenn ich ein Produkt kaufe, erwarte ich, dass es auch funktioniert.

– Aber es funktioniert doch, entgegnet Harry Sägofix, du kannst halt ein Profiwerkzeug nicht mit einem Baumarktgerät vergleichen. Es hat eben alles seinen Preis.

Diese Parabel zeigt, wie Erwartungen und die Bereitschaft, den Preis für die Erfüllung der eigenen Erwartungen zu zahlen, auseinander klaffen: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Diese Haltung ist überall anzutreffen, nicht zuletzt bei vielen Übersetzerkollegen (*):

Sie wollen als Profi auftreten, verhalten sich jedoch wie Gelegenheitsjobber – in der Art, wie geschäftliche Mails beantwortet werden, mit Kunden umgegangen wird, unternehmerische Grundsätze missachtet werden usw.

Sie wollen – was sehr zu begrüßen ist – an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, aber ein wertvolles Webinar für 150 Euro? Oh nein, das ist ihnen zu „teuer“.

Sie wollen Aufträge, sind aber nicht bereit, Akquise zu betreiben (möglicherweise, weil sie nicht wissen, wie man das macht?).

Sie wollen als Unternehmer ernst genommen werden, haben aber Bürozeiten, die sich selbst ein kleiner Tante-Emma-Laden auf dem Land nicht mehr leisten kann: von 9 bis 12 und von 13 bis 15 Uhr, freitags nur morgens. Erreichbarkeit außerhalb dieser Zeit? Null.

Sie wollen mit Ihrem PC nicht nur schnell arbeiten, sondern möglichst auch auf allen Kanälen gleichzeitig, aber für die Anpassung ihrer DV-Technik sind sie nicht bereit zu zahlen. Häufigstes Argument: „das kann ich mir nicht leisten“, wobei es eigentlich heißen müsste „das WILL ich mir nicht leisten“ – in Ordnung, aber dann darf man auch nicht jammern (zumal in vielen Fällen trotzdem noch genügend Geld für Urlaubsreisen übrig ist).

Sie wollen mit den großen Hunden pinkeln, also – möglichst ohne viel dafür zu tun – mit einem kontinuierlich fließenden Auftragsstrom im hochpreisigen Segment versorgt werden, können (will sagen: wollen) aber nicht das Bein heben, also sich entsprechend verhalten, damit aus Auftraggeber-Übersetzer eine echte gleichberechtigte partnerschaftliche (möglichst) langfristige Geschäftsbeziehung wird, in der beide einander ernst nehmen und respektieren – also eine echte Win-win-Beziehung.

Als Fazit möchte ich meine hochgeschätzte Kollegin Chris Durban zitieren: „The fact is, freelance translators are businesses, and successful businesses invest in themselves (…) Smart business people don’t throw cash out the window, but they do weigh the options, take in the big picture and get some skin in the game”, erklärt Chris Durban in ihrem Artikel The frugal translator und spricht mir damit aus der Seele.

(*) Ich gehe hier grundsätzlich davon aus, dass ein selbstständiger Unternehmer (und damit meine ich auch die weibliche Fraktion) als solcher ernst genommen werden will, als solcher auftreten will und an Aufträgen interessiert ist. Wer seine selbstständige Tätigkeit als „just for fun and basic needs“ betreibt, dem gönne ich das von Herzen, aber der darf dann halt auch nicht jammern, wenn ihm das nötige Kleingeld für die Extrawürste fehlt. Und ich hoffe doch, dass auch die „just for fun and basic needs“-Arbeiter vorsorgen für später, wenn sie mal nicht mehr arbeiten können.

  1. Liebe Giselle,

    ich wundere mich auch, wie viele KollegInnen unprofessionell auftreten/denken/agieren, so dass ihr Tun und Nichtstun auch auf die anderen abfärben.

    Klar, alles was Chris Durban sagt (und schreibt), wäre sozusagen „to ignore at your own peril“. Allerdings gibt es ein weiteres Argument, dass Du in Deiner – wie immer – brillanten Blogpost womöglich aus den Augen verlierst.

    Ich glaube zwar nicht, dass Seth Godin zu Deinen Lesern gehört, aber seine „Reaktion“ ließ nicht auf sich warten 😉
    Wann lohnt es sich also, sich nass zu machen? Thema für die nächste Post?

    Liebe Grüße

    Valerij

    • Lieber Valerij,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, das Thema „warum lohnt es sich, sich nass zu machen?“ ist eine interessante Thematik, die mich sicher auch irgendwann zu ein paar Gedanken hier auf Rüsterweg veranlassen wird. Danke dir für die Anregung und den interessanten Link.
      Liebe Grüße, Giselle

  2. Liebe Kollegin,

    mangelnde Professionalität sehr unterhaltsam auf den Punkt gebracht. Kompliment für dieses ehrliche Wort!
    Was mich persönlich an solchen „Kollegen“ am meisten ärgert, ist die Tatsache, dass sie alle Vorurteile, mit denen man sich als Übersetzer herumschlägt, voll und ganz bestätigen.

    Allerdings finde ich die Überschrift irreführend. Die Redensart bedeutet doch, dass jemand Vorteile in Anspruch nehmen bzw. einen Nutzen aus etwas ziehen möchte ohne dafür Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
    Wenn ich jedoch in mein Business investiere und das etwas kostet, ist das kein Nachteil. Ich erhalte ja einen Gegenwert für meine Ausgaben.
    „Alles hat seinen Preis“ träfe es meinem Sprachverständnis nach besser. Aber das nur am Rande.

    Viele Grüße

    Tatjana Heckmann

    • Liebe Tatjana, danke für Ihre positive Rückmeldung bezügl. der Inhalte. Dass diese Kollegen die „Vorurteile, mit denen man sich als Übersetzer herumschlägt, voll und ganz bestätigen“, stimmt leider.
      Zum Titel: Nach meinem Verständnis trifft es genau die angesprochene Verhaltensweise. Sie und ich sehen das schon so, dass wir einen „Gegenwert“ erhalten und damit fallweise produktiver, leichter, komfortabler, angenehmer usw. arbeiten. Aber viele Kollegen sagen „ich hätte dies/jenes auch gerne, kann mir das nicht leisten“, womit sie eigentlich meinen „dafür will ich kein Geld ausgeben“, evtl. weil Urlaub oder anderes „wichtiger“ ist. Immer eine Frage der Prioritäten, wie ich meine. Letzten Endes geht es um das Verhalten, das mich DANN stört, wenn jemand immerzu jammert, er bekäme keine Aufträge oder nur solche, die schlecht bezahlt sind, oder oder oder …
      Sonnige Grüße aus Karlsruhe
      Giselle

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