Zum Europäischen Tag der Sprachen am 26. September und zum Internationalen Tag des Übersetzens am 30. September.
Ein Profi im Übersetzungssektor ist heute weit mehr als nur jemand, der einen Text in der Ausgangssprache vorliegen hat, Sätze in der Zielsprache tippt, überlegt, Wörterbücher wälzt und weitertippt. Diese Zeiten sind längst passé, wenn es sie in der Form überhaupt gegeben hat. Ich darf erinnern: Wir sprechen von Profis.
Der eierlegenden Wollmilchsau sehr nah
Heute trudelt ein Text über Klappenauspuffanlagen herein, morgen eine Studie über die Auswirkung von Gigalinern auf das bundesdeutsche Straßenverkehrsnetz, übermorgen ein Patent über eine neue Reifenwickelmaschine, dicht gefolgt von einem Text über die Beschreibung einer Pulverisieranlage – so gestaltet sich beispielsweise die Auftragssituation bei einem Technik-Übersetzer*. Bearbeitet der Sprachmittler mehr als nur ein Fachgebiet, wie es bei mir der Fall ist, kommen zum Beispiel ein Lizenzvertrag, der Monatsbericht einer Bank und Logistikanweisung eines Industrieunternehmens hinzu.
Allein an diesen realen Beispielen wird deutlich, über welches Fachwissen ein Übersetzer verfügen muss. Dabei genügen nicht etwa oberflächliche Kenntnisse nach dem Motto „davon habe ich schon einmal gehört“. Gefordert ist ein breit angelegtes Fachwissen, das gleichzeitig auch in die Tiefe gehen muss. Insofern ist der Profi-Übersetzer durchaus so etwas wie eine eierlegende Wollmilchsau mit der Einschränkung, dass er für seine Arbeit die nötige Zeit braucht, um Qualität abzuliefern. Aber ich vermute stark, dass auch die Wollmilchsau Zeit braucht, um ihre Produkte … aufzubereiten.
Um sich das notwendige Fachwissen anzueignen, bildet sich der Übersetzer kontinuierlich weiter: Er recherchiert, liest Fachliteratur und -magazine, besucht Fortbildungsmaßnahmen … Idealerweise hält er direkten Kontakt mit Fachleuten, die ihm Rede und Antwort stehen können, wenn es ums Eingemachte geht.
Du bist mein letzter Gedanke
Unternehmen geben Unsummen für die Entwicklung ihrer Produkte aus. Für die Vermarktung auf dem heimischen Markt und im Ausland werden ebenfalls hohe Beträge eingeplant und eingesetzt. Nur bei Übersetzungen entscheiden sich viele dieser Firmen für die Billigvariante. Von der Idee bis zur Marktreife kann die Entwicklung eines Produkts schnell sechs- oder siebenstellige Beträge verschlucken – bei Pkw sogar 1 Milliarde Euro oder mehr, wie das Magazin auto motor und sport berichtete. An allen Details, einschließlich der Produktverpackung, die den Kunden der Zielgruppe ansprechen soll, wird gefeilt. Im Vorfeld zur Markteinführung werden nicht selten aufwändige Meinungsumfragen durchgeführt, dabei kann es durchaus passieren, dass der Prototyp wieder in der Versenkung verschwindet.
Beim Thema Übersetzung vergessen die Herren (und seltener Damen) Entscheider alle guten Grundsätze und setzen nicht selten auf „Geiz ist geil“: Für die fremdsprachlichen Versionen der Produktunterlagen, Handbücher, Beschreibungen, Micro-Websites und dergleichen mehr wird dann, ohne groß nachzudenken, in die tiefste Low-Cost-Schublade gegriffen. Angebote werden bei Übersetzungsagenturen eingeholt, der Anbieter mit dem niedrigsten Preis erhält den Zuschlag. Ob die ausgangs- UND zielsprachliche Kompetenz sowie die Fachgebietskenntnisse vorhanden sind, wird nicht geprüft. Man verlässt sich auf die Zusicherung der Agentur, sie verfüge über die absolut besten Fachübersetzer.
Privat ganz anders
Im täglichen Leben schätzen wir die Leistung unserer Kfz-Werkstatt hoch ein und sind bereit, viel Geld für den Austausch eines Auspufftopfes zu bezahlen, obwohl dies eigentlich Routinearbeit ist, und noch mehr Geld für die Integrallackierung des Heckspoilers hinzulegen, damit Letzterer gut zur Karosserie passt. Das Schicksal unseres PS-starken, mit hierzulande ach so notwendigem Kuhfänger bestückten SUV-Babys wird selbstredend nicht in irgendwelche Hände irgendeines Kfz-Schraubers gelegt. Da muss schon der Profi ran.
Den Heizungsbauer hofieren wir schon am Telefon, damit er möglichst bald vorbeikommt und die defekte Heizung repariert: Schließlich wollen wir es schön warm haben. Wir kämen auch nie auf den Gedanken, beim Bäcker oder Metzger zu verhandeln, um ein Sechskornbrot oder ein Stück Roastbeef für die Hälfte zu bekommen. Der Kaminfeger lässt ebenfalls nicht mit sich handeln, auch wenn so gut wie nichts zu kehren war. Und die Bank, bei der der Kredit für die Hausbaufinanzierung getilgt werden muss, hat kein Verständnis für „Rabatte“.
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Die Problematik ist vielfältiger, als man glaubt. Ja, viele Entscheider in Unternehmen haben, wenn es um Übersetzungen geht, nur ein Kriterium festgeschrieben: den Preis. Das ist allerdings vor allem darin begründet, dass sie nicht wissen, was es bedeutet, einen Fachtext einwandfrei zu übersetzen. Da ist der Übersetzungsprofi gefordert, wenn es darum geht, dem Kunden zu erläutern, was er im Leistungsgepäck mitbringt und welche (Fach-)Kompetenzen er aufweist.
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Die wenigsten Unternehmen bzw. Auftraggeber sind sich über die Tragweite des Themas bewusst: Ein mangelhafter fremdsprachlicher Text schadet nicht nur dem Image nachhaltig. Denn der Produktkäufer oder Interessent fragt sich zu Recht: Wenn schon der englische oder französische Text auf der Website zu wünschen übrig lässt, wie sind dann erst die Produkte oder die Dienstleistungen, die der Anbieter verkaufen will? Noch viel gravierender ist es, wenn die mangelhafte Übersetzung einen tatsächlich in Euro und Cent messbaren Schaden verursacht, wenn die technischen Anweisungen für die Fertigung von Großserien in einem Industrieunternehmen fehlerhaft sind und dadurch beim Anlauf des neuen Produkts erst einmal nur Ausschuss produziert wird: Das kann immense Kosten zur Folge haben.
Bei technischen Unterlagen zu Maschinen und Fahrzeugen, Berechnungen in Konstruktionsplänen u. ä. Texten ist ein „Sparen am Übersetzer“ fehl am Platz – das leuchtet ein. Stellen Sie sich vor, dass aufgrund eines Übersetzungsfehlers ein Flugzeugtriebwerk ausfällt oder aber der Airbag eines in Serie gefertigten Autos im Bedarfsfall nicht ausgelöst wird und so eine kostspielige Rückrufaktion durchgeführt werden muss (oder schlimmstenfalls Menschenleben kostet).
Auch im Bereich Marketing, wo es um die Botschaft eines Unternehmens, um Produktnamen und Erläuterungen zu deren Nutzung geht, kann einiges schief gehen – und nicht nur wegen der berühmten falschen Freunde, die bei dem wohlduftenden „morning mist“ die Vorstellung von unangenehmer Landluft wecken. Beispiele gibt es genügend und machen in den social media regelmäßig die Runde.
Warum ist es also fallweise so schlecht um die Wertschätzung des Übersetzerberufs und die Dienstleistung „Übersetzen“ bestellt? Unzählige Übersetzer kämpfen Tag für Tag für die Anerkennung ihrer Leistung, damit für ein angemessenes Honorar und letztendlich um ein gutes Leben unter guten wirtschaftlichen Bedingungen. Teilweise, insbesondere bei vielen Agenturen, purzeln die Wort- oder Zeilenpreise immer weiter nach unten. Gerade Agenturen sollten sich für „ihre Zuarbeiter“ einsetzen und bei den Kunden für alle Beteiligten faire Preise durchsetzen.
Übrigens kommt „Honorar“ von „honorieren“, das heißt „würdigen, anerkennen“.
Zwei Hauptursachen
Generell hat diese Situation zwei Hauptursachen. Zum einen soll in den Firmen nach einer günstigen Lösung gesucht werden. Gut so. Schließlich sind Goldesel recht selten. So bemüht sich die Abteilung Einkauf oder die Sekretärin – pardon, Office Managerin – darum, mehrere Angebote einzuholen und miteinander zu vergleichen. In Ordnung. Das machen wir im Privatbereich genau so. Denn eines ist klar: Firmen, die über endlose Ressourcen verfügen, die für einzelne Projekte unstrukturiert Geld ausgeben können und dürfen, sind mir bisher nicht über den Weg gelaufen. Sparsamkeit ist legitim. Der Punkt ist aber: Ist „billigst“ auch gleichzeitig einhergehend mit dem Anspruch „beste Qualität“?
Die zweite Ursache ist, dass die Entscheider in den Firmen oftmals – ich wage sogar zu behaupten: „fast nie“ – der eigentlichen Dienstleistung, um die es geht, die nötige Bedeutung und die entsprechende Wertschätzung zuteil werden lassen. Denn: Bei der Frage danach, ob sie mit einer Dienstleistung zufrieden sind, denken die meisten Auftraggeber an Kriterien wie die Einhaltung des Liefertermins. Und überhaupt: Was ist das schon, das bisschen „Was-auch-immer“! Und das gilt erst recht für Übersetzungsleistungen: „Das kann doch jeder, was ist denn da schon dabei?!“, bekommen nicht selten Kollegen zu hören, denen dann gleich im Anschluss fast warnend gesagt wird, man kenne da jemanden, dessen Kusine sei mit einem Franzosen verheiratet, der sicher etwas nebenbei verdienen will … Prima. Ich würde allerdings sehr schnell vom Behandlungsstuhl springen, wenn mein Zahnarzt mir mitteilen würde, dass die Extraktion heute von der Praktikantin vorgenommen wird, schließlich habe sie schon öfter zugeschaut und sie möchte sich ein kleines Extra-Urlaubsgeld verdienen.
(*) Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.