Ohne Baguette geht in Frankreich nichts.
Früh morgens – einschließlich sonntags – ist eine regelrechte Völkerwanderung in Städten und Dörfern zu beobachten, die alle das gleiche Ziel haben: den nächstgelegenen Bäcker (le boulanger). Außen knusprig goldbraun gebacken, innen (la mie) schön weich – ein Traum. Selbstverständlich gibt es inzwischen auch in Frankreich andere Brotsorten – das Baguette ist und bleibt aber DAS Brot, ohne das kaum ein Franzose den Tag überstehen kann, geschweige denn will.
In Deutschland gibt es das Reinheitsgebot für Bier, in Frankreich für das Baguette. Allein das ist meines Erachtens schon aussagekräftig. 🙂
Als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Frankreich die ersten Brote aus tiefgefrorenen Backlingen auf den Markt kamen, handelte der damalige Premier Minister Balladur unverzüglich und erließ das „Décret n°93-1074 du 13 septembre 1993“, das sich auf ein Gesetz vom 1. August 1905 bezog. Darin ist eindeutig festgelegt, dass unter den Bezeichnungen „pain de tradition française„, „pain traditionnel français„, „pain traditionnel de France“ bzw. einer Bezeichnung, die diese Begriffe kombiniert, lediglich Brotprodukte angeboten und verkauft werden dürfen, die unabhängig von ihrer Form:
- zu keinem Zeitpunkt ihrer Verarbeitung einer Tiefkühlbehandlung (opération de surgélation) unterzogen wurden und
- keine Backzusätze (additifs) enthalten und
- deren Teig ausschließlich folgende Zutaten enthalten: Weizenmehl (farine de blé), Trinkwasser (eau potable), Salz (sel de cuisine) und Hefe (levure).
Ein baguette enthält also keine Eier (pas d’œufs) , kein Fett (pas de matières grasses) und keine Milch (pas de lait) – sonst würde sie wie Hefezopf schmecken und aussehen.
In der Einleitung des oben erwähnten Dekrets heißt es noch, dass diese Brote „vollständig am Ort, an dem sie an den Endverbraucher verkauft werden, vom Bäcker geknetet (pétrir, le pétrissage), geformt (façonner, le façonnage) und gebacken (cuire, la cuisson) werden müssen“, wobei auch eingeräumt wird, dass diese dann in weiteren Filialen der Bäckerei bzw. auf Märkten usw. (vendus de façon itinérante) verkauft werden dürfen.
Was mir auffällt, wenn ich in eine normale kleine Bäckerei in einem badischen Dorf gehe: Das Angebot umfasst mindestens zehn Brotsorten und sechs oder sieben Brötchensorten, wobei die Brote auf schrägen Holzregalen (les étagères en bois) und die Brötchen in darunter aufgestellten Flechtkörben (les corbeilles) liegen. Betrete ich in einem französischen Dorf in Burgund eine boulangerie, sehe ich große – mannshohe – Korbgestelle, in denen die Baguette-Brote sowie deren Schwestern und Brüder gros pains, pains bâtards, flûtes (ou pains parisiens, 400 grammes), ficelles (125 g), die sich lediglich in der Größe (Gewicht) unterscheiden, senkrecht angeboten werden. Ist die boulangerie „nur“ eine boulangerie, verkauft sie zum Beispiel noch croissants, pains au chocolat, pains aux raisins (Rosinenbrötchen) und ähnliches – selbstverständlich ebenfalls aus eigener Herstellung. Wer ein éclair au chocolat, au café oder à la vanille sucht, muss in eine pâtisserie gehen. Dort geht dem Liebhaber von süßen Leckereien das Herz über, wenn er all die vielen Kuchen (les gâteaux et tartes), Torten (les gâteaux à la crème), petits fours, Törtchen usw. sieht. So etwas bekommt man in Deutschland dann nur in einem „Café“ angeboten.
Übrigens: Wenn ich in Frankreich in ein „Café“ (franz. Bedeutung) gehe, dann befinde ich mich eher in einer Art bistrot. Will man einen leckeren Kuchen essen und dazu Kaffee oder Tee trinken, geht man im Land der Trikolore in ein salon de thé. Deshalb steht auf der enseigne, dem Schild über dem Ladeneingang, auch „Pâtisserie – Salon de thé“.
Ein französisches baguette weist folgende Maße auf: 5 bis 6 cm in der Breite, 3 bis 4 cm Höhe und ca. 65 cm Länge. Es muss 250 Gramm wiegen. Warum haben die Franzosen denn überhaupt so ein seltsam geformtes Brot ? Man erzählt sich, dass diese Brotform zu Napoleons Zeiten entwickelt wurde, damit die Soldaten es in eine längere Tasche am Hosenbein mitnehmen konnten, ohne dass es beim Gehen stört.
Baguette wird nicht geschnitten – so mein Credo und das der meisten Franzosen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Ein Stück Baguette wird „abgebrochen“, deshalb heißt es auch casser la croûte, also wörtlich die Kruste brechen, wenn man zwischendurch ein „Vesper“ (le casse-croûte) zubereitet. Mit Butter (beurre) bestrichen und etwas Marmelade (la confiture) oder Honig (le miel) darauf und in café au lait getunkt (tremper dans) – herrlich (ja, ich weiß, einige werden sich bei der Vorstellung schütteln). Oder aber mit Käse oder saucisson – wie auf dem Foto – belegt, ist so ein knuspriges (croûstillant) Stück Baguette ein himmlicher Genuss, um den uns die ganze Welt beneidet. Kein Wunder, dass das französische baguette überall rund um den Globus nachgemacht wird, mit mehr oder weniger Erfolg.
Es gibt einiges, was mir dazu einfällt; ich fang einmal mit dem Allgemeinen an:
Im christlichen Kontext spielt das Brot eine ganz herausragende Rolle. Dem Menschen wird das Beten gelehrt mit den Worten: gib uns unser tägliches Brot. Auch das letzte Abendmahl war eine Brotzeit. Immer wieder wird in den Berichten darauf hingewiesen, wie der Messias das Brot gebrochen hat.
Bei meinem boulanger – eigentlich war „er“ eine ganze Familie – habe ich mich nicht nur mit Brot und anderem Gebäck versorgt, sondern ebenso sehr mit sozialen Kontakten, den neuesten Meldungen, kurzum: Tratsch. Ein wunderbarer Ort!
Das décret n°93-1074 du 13 septembre 1993 war mir bislang unbekannt, passt aber perfekt zum Stellenwert des Baguettes in der französischen Gesellschaft.
In dem Deutsch, wie ich es als Kind sprach, hieß das Ding nicht Baguette, sondern „französisch’ (Weiß-)Brot“. Bei der späteren Umstellung meines Vokabulars hatte ich eine ganze Zeit lang Schwierigkeiten damit, nicht die Baguette zu sagen, sondern das Baguette. Am Ende habe ich es dann doch geschafft, mich vollständig zu assimilieren.
Ja, lieber Charlie, das Baguette ist schon ein Stück Kultur. Und aus meinem Leben nicht wegzudenken. Zum Glück kommt hier nach Karlsruhe täglich ein französischer Bäcker auf die Märkte und „versorgt“ uns mit echtem franz. Baguette… und anderen Leckereien.
Du Glückliche! Karlsruhe muss das Paradies auf Erden sein, und Freiluft-Märkte sind ja ebenfalls Orte, an denen man sich trifft und austauscht.
Danke übrigens, dass du mein Elaborat noch redigiert und an zwei Stellen in Ordnung gebracht hast; ich hatte den Kommentar abschicken-Button nämlich etwas verfrüht aktiviert. Das soll mir eine Lehre sein, meine Kommentare in Zukunft immer in einem externen Texteditor zu schreiben.
Ja, Karlsruhe ist ein schöner Ort zum Leben.
Gerne geschehen, das ist Service – aber nur für Dich 😉