DeepL: Segen oder Fluch?

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DeepL: Segen oder Fluch?

Übersetzungsmaschine DeepL unter die Lupe genommen

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Anwendungen machen – das wissen selbst wir Spracharbeiter (*) – auch vor dem Thema Übersetzungen nicht Halt. Warum auch?! Ein kleines Kölner Startup namens DeepL hat sich vor einigen Jahren an die Arbeit gemacht und der Welt gezeigt: Was Google Translate, Systran & Co. können, kann DeepL längst. Oder sogar besser?

Aus Entwicklersicht besteht einer der Vorteile von DeepL darin, dass es auf dem Online-Wörterbuch Linguee basiert, an dem das Team schon seit 2009 arbeitet. Gereon Frahling, ehemals bei Google Research, und sein Freund Leo Fink Web-Crawler haben sog. neuronale Netzwerke mit über einer Milliarde von Menschen gefertigten Übersetzungen trainiert. Aus dieser Arbeit entstand Linguee, das 2009 an den Start ging. Erst 2017 wurde auf der Basis von Linguee mit der Entwicklung der Übersetzungsmaschine DeepL begonnen.

Was ist anders bei DeepL? Der Übersetzungsroboter verarbeitet die Wörter nicht einzeln, sondern in Satzzusammenhängen, also im von Profi-Übersetzern stets reklamierten Kontext. Damit werden auch Redewendungen erkannt. Die Analyse des Satzes erfolgt im Ganzen oder zumindest in zusammenhängenden Päckchen – also (fast) wie ein Mensch. Müssen wir in der translation industry uns also vor DeepL fürchten? Müssen wir um unsere Zukunft fürchten? Meine Überzeugung: nein. Zumindest nicht in den nächsten 30-40 Jahren. Was dann kommt, weiß heute kein Mensch.

Konkrete Betrachtung

Die einen finden DeepL „super“, die anderen „unter aller Kanone“. Mal ehrlich: So pauschal kann kein Urteil über den Übersetzungsroboter gefällt werden. Das muss etwas näher und differenzierter betrachtet werden. Daher hier einige Beispiele, die ich bewusst in der Sprachkombination Französisch > Deutsch gewählt habe, da selbst diejenigen, die nicht der französischen Sprache mächtig sind, am deutschen Zieltext die Qualität feststellen können.

Allgemeinsprachliche und literarische Texte

Beispiel 1:

Dieser kurze Klappentext aus Max Butziwackel der Ameisenkaiser (Originaltitel: Ciondolino, von Luigi Bertelli, Pseudonym Vamba, erstmals 1893 erschienen – ein reizendes Buch für Klein … und Groß) ist einfach, weist keine Schwierigkeiten und keine besondere Redewendungen auf.

Anmerkung: Zugegeben – eine Übersetzung aus dem Italienischen (übrigens von Luise von Koch im Jahr 1920) als erstes Beispiel für die Leistungsstärke von DeepL zu verwenden, ist verwegen – aber ich konnte diesem wunderbaren Text nicht widerstehen. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser Klappentext tatsächlich eine Übersetzung ist. Verschiedene Versionen des Büchleins (html, ePUB, Kindle …) sind übrigens hier kostenlos erhältlich.

Die französische Übersetzung des Klappentextauszugs ist „in Ordnung“. Ich könnte jetzt als Korintenkackerin auftreten und fragen, ob die Wendung jemand hat es schön mit être heureux, also glücklich sein gleichzusetzen ist. Und dass mich das Verb pouvoir im vorletzten Satz stört, ist möglicherweise  vernachlässigbar, dennoch würde ich Folgendes vorziehen: Si seulement j’étais une fourmi ! Und schließlich die Interpunktion: Erstens ignoriert DeepL grundsätzlich die französischen Anführungszeichen, die « guillemets », und zweitens sollte das Ausrufezeichnen vor dem Schlusszeichen stehen. Nun ja, ist das schon Herummäkeln? Nein, denn Profi-ÜbersetzerInnen liefern Qualität und keine Dreiviertelsachen.

Beispiel 2

Quelle: Origine du pommier, Alexandre Dumas père, 1868, kostenlos abrufbar unter https://www.bmlisieux.com/archives/dumaspom.htm

Selbst wer nicht des Französischen mächtig ist, merkt leicht an der deutschen Fassung, dass hier sehr wörtlich übersetzt wurde. Außerdem ist cidre nicht das gleiche wie Apfelwein. Eine detaillierte Übersetzungskritik soll hier jedoch nicht angestellt werden. Nur soviel: Einen Blumentopf wird DeepL damit nicht gewinnen, aber so richtig schlecht ist der Roboter auch nicht.

Auch im folgenden Beispiel 3 ist der wörtliche Ansatz klar zu erkennen.

Simsalabim, mögen die roten Kringel doch bitte verschwinden! Nein, da wünsche ich mir im Zieltext doch Besseres.

Das nächste Beispiel 4 ist etwas verzwickter.

Dass das Wortspiel eine schwierige Hürde ist, räume ich ein. Aber selbst ohne darauf einzugehen, ist die Übersetzung unter aller Kanone. Es handelt sich ja nicht um Personen, die vor der Tür stehen – dann wäre est à notre porte nicht falsch. Hier müsste man – wie gesagt, ohne Berücksichtigung des Wortspiels – sagen: Des changements s’annoncent. Dann könnte man auch wieder das Wortspiel aufgreifen: Des changements s’annoncent. Faisons la sourde oreille.

Fachsprachliche Texte

Bei Fachtexten haben Übersetzungsmaschinen generell Probleme – das gilt auch für DeepL. Zwar lesen sich die Übersetzungen von DeepL etwas „flüssiger“, aber sie enthalten immer wieder richtig dicke … Klöpse, wie das folgende Beispiel 5 eines nicht einmal schwierigen Fachtextes zum Thema Haftung (Technik, Physik, Haftung zwischen Werkstoffen) zeigt.

Am gravierendsten ist der Fehler beim Fachbegriff engrènements de matière, der mit Materialverschlingungen übersetzt wurde.

Beispiel 6:

Die beiden Sätze sind wirklich nicht schwierig, und doch tut sich DeepL schwer. Wie kann ein „Verlust … abgeleitet werden“? Wesentlich besser wäre die Formulierung: „Bei Austritt von … Medien ist darauf zu achten, dass …“. Die „Vorschriften des VDE“ sind selbstständlich als VDE-Vorschriften wiederzugeben. Und DeepL bietet – bei über 10 von mir durchgeführten Testsätzen – im ersten Ansatz nur das Wort Elektrizität an. Geläufiger ist jedoch Strom.

Beispiel 7 aus dem Bereich PR/Touristik/Gastronomie:

Ja, da bietet DeepL eine sehr schwache Übersetzung an – mehr nicht. Keinen Text, der eines guten PR-Textverfassers würdig wäre. Die Nuggets sind hier der besondere Schnitzer. Ich würde hier von Perlen sprechen und überhaupt das Ganze besser formulieren.

Beispiel 8 (gleiches Fachgebiet):

Liebe Köchinnen und Köche, bitte die Gerichte stets mit Schwung zubereiten! Vielleicht bringt das am Ende die Meisterschaft … Äh, nein, das ist wirklich völlig daneben, liebes DeepL.

Hier das Beispiel 9 aus einem medizinischen Text zum Thema Onychomykose.

Erneut ist das Kleben an der Satzstruktur des Originaltextes festzustellen. Die Schwachstellen bei der Fachterminologie sind deutlich zu erkennen. Und schließlich kann die Maschine nur das übersetzen, was im Originaltext steht. Hat sich der Verfasser bei der Aufzählung vertan und zweimal „drittens“ geschrieben, wenn es um vier Faktoren geht, wird dieses Missgeschick nur ein Humanübersetzer beheben können.

Sehen wir uns abschließend die Beispiele 10 und 11 aus dem Fachgebiet Marketing/Kfz an.

Beispiel 10:

Ein „neuer Raum der Freiheit“? Das Auto „vergisst niemanden“? Auch Knieradius ist nicht korrekt. Und überhaupt, kein guter Schreibstil.

Beispiel 11:

Gut ist anders. Das würde mir mein Kunde um die Ohren hauen.

Mein Fazit

Für Nutzerkreise, die sich einen Überblick über den Inhalt eines Textes verschaffen wollen, die einen Text als internes Arbeitspapier benötigen, für die interne Firmenkorrespondenz, die ohnehin schnell veraltet ist, u. dgl. ist DeepL in Ordnung und kann durchaus eine annehmbare Lösung darstellen.

In der translation industry generell ist DeepL im aktuellen Stand der Technik für Übersetzungsprofis jedoch keine Konkurrenz. Kunden, die zunächst ihre Texte und/oder ihre Website von der Maschine haben übersetzen lassen, kehren vielfach zum Human Translator zurück. Websites, die maschinell übersetzt wurden, erkennt man in der Regel sofort – das schadet dem Firmenimage. Außerdem können fehlerhafte Übersetzungen rechtlich zu enormen Schwierigkeiten führen. Was bleibt am Ende: Imageverlust lässt sich nur schwer und nur mit einem enorm hohen finanziellen Aufwand wiedergutmachen, und Schadensersatzforderungen können je nach Land in unermessliche Höhen steigen. Das haben zahlreiche anspruchsvolle Übersetzungskunden inzwischen verinnerlicht.

Wer aber ohnehin keinen großen Wert auf Qualität legt oder diese nicht benötigt, dem genügt meistens DeepL bzw. ein menschlicher Übersetzer, der den Text einfach in die Zielsprache „runterübersetzt“. Das sind meistens Leute, die keine (sprachliche) Ausbildung haben, weder über hervorragende mutter- und fremdsprachliche Kenntnisse noch über fundierte Fachkenntnisse verfügen, die unter 8 ct. pro Wort arbeiten und möglichst viel Output schaffen müssen, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Überall, wo beste Qualität die oberste Priorität ist, kann nur der menschliche Übersetzungsprofi infrage kommen. Das gilt unter anderem für anspruchsvolle Texte aus dem Bereich Marketing, für Websites, Kundenmagazine usw., bei denen die elegante, flüssige Formulierung im Vordergrund steht (Stichwort Transkreation) und landeskundliche Anpassungen notwendig sind, oder für technische Texte, bei denen es nicht nur um Genauigkeit und korrekte Fachbegriffe, sondern auch Haftungsfragen geht, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ein feines Sprachgefühl, fundierte Fachkenntnisse, exzellente mutter- und fremdsprachliche Kenntnisse können – bislang zumindest – durch keine Maschine ersetzt werden.

 

Mit KI kann eine Maschine auch ein schwieriges Musikstück notenkorrekt spielen – aber niemals das Gefühl und die Emotionen eines Virtuosen einbringen. Das gleiche gilt für Übersetzungen.

Ausblick

Wenn Firmen die Übersetzungsmaschine – wenn, dann DeepL – nutzen wollen, dann sollten sie es effizient anpacken und ihre Zieltexte in jedem Fall von einem Profi nacharbeiten lassen. Das nennt man Machine Translation Post-Editing oder kurz MTPE (meistens nur PE für Post-Editing). Aber auch diese Vorgehensweise eignet sich nicht für alle Texte.

Ganz unabhängig davon geht aus den Untersuchungen des Common Sense Advisory hervor, dass der Bedarf an Übersetzungsleistungen jedes Jahr um rund 8 bis 10 % zunimmt – Tendenz steigend. Grund dafür ist unter anderem das Wachstum des globalen Onlinehandels und der immer enger verflochtenen internationalen Geschäftsbeziehungen. Die anfallenden Textmengen können die sog. Human Translators allein gar nicht bewältigen.

Fazit: Keine Panik.

Kleiner Wermutstropfen: Dass DeepL aktuell mit über 800 selbstständigen Übersetzern und Übersetzerinnen zusammenarbeitet, ist einerseits eine gute Sache, wissen diese doch, „wie Übersetzen geht“. Das bedeutet aber auch, dass die Entwicklung dadurch gut und schneller vorangeht, als die meisten Spracharbeiter befürchten.

(*) Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.

Beitragsbild oben von Gerd Altmann auf Pixabay, vielen Dank.

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