Mehr Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft – Medizinredakteur und Autor Krystian Manthey will dazu beitragen.
„Ungeheilt ist nicht unheilbar.“ Das berühmte Zitat des Schweizer Theologen Walter Ludin ist auch das Motto von Krystian Manthey, über dessen neues Buch wir heute gemeinsam sprechen.
Ich kenne kaum einen Menschen, der nicht schon einmal Rückenschmerzen hatte. Nahezu jeder hat mit der einen oder anderen gesundheitlichen Belastung zu kämpfen, die seinen Alltag einschränkt. Mit seinem neuen Buch Wa(h)re Gesundheit: Der Gesundheitskompass im Therapie-Dschungel will der Medizinredakteur Krystian Manthey zu mehr Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft beitragen.
Das Buch, das mit einem Vorwort des bekannten Hirnforschers Prof. Gerald Hüther eröffnet wird, soll dem Leser und der Leserin dabei helfen, seinen bzw. ihren Körper und die Mechanismen, die ihn oder sie krank- oder gesundmachen, zu verstehen. Dabei konzentriert sich der junge Autor auf die neun häufigsten Zivilisationskrankheiten und gibt praktische Alltagshilfen, Recherche-Tipps und Wegweiser für ein gesünderes Leben an die Hand. Übungen runden das Ganze ab.
Krystian, in unserem Vorgespräch hast du von einer Veröffentlichung der Weltgesundheitsorganisation gesprochen, laut der jährlich über 100.000 Menschen in Deutschland unnötigerweise verfrüht sterben. Kannst du das kurz erklären?
Gern! Laut WHO starben 2019 etwa 850.000 Menschen in Deutschland an sogenannten „nicht übertragbaren Krankheiten“, auch bekannt als Zivilisationskrankheiten (vgl. unten 1, 2) – die Mehrheit davon durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Diabetes und Krebs. Allesamt werden maßgeblich durch den Lebensstil und Faktoren wie Tabak und Alkohol, Bewegungsmangel, negativen Stress und ungesunde Ernährung begünstigt (3) und sind daher laut WHO vermeidbar. Ich würde eher sagen stark verzögerbar, denn wir Menschen haben aus guten Gründen eine Art „Verfallsdatum“ und können nicht ewig leben. Dennoch: Über 150 Tote je 100.000 Einwohner könnten jährlich durch einfacheren Zugang zu Gesundheitswissen, Prävention und einem Umfeld, das gesundes Verhalten fördert, verhindert werden (4).
Und sogar bei Infektionskrankheiten würde eine gesündere Bevölkerung besser wegkommen, wie die aktuelle Corona-Situation deutlich zeigt: Vorerkrankte Menschen sind besonders verletzlich. Diabetiker, Bluthochdruckpatienten, Herzkranke und Übergewichtige erleiden häufiger schwere Covid-Verläufe.
Um sich gesund zu verhalten, braucht es in erster Linie Gesundheitskompetenz, also ein zumindest grobes Verständnis, wie das biochemische Wunder namens Körper funktioniert. Eine ganz wesentliche Erkenntnis ist, dass nur der Körper selbst heilen kann. Der Arzt kann durch die richtigen Maßnahmen diese Heilung ggf. beschleunigen, aber heilen kann nur dein Körper selbst.
Ich habe in deinem Buch auch über die Wirkmacht von Worten und Psyche gelesen und dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, was ihre Gedanken bei sich selbst und ihre Worte bei anderen bewirken können – positiv wie auch negativ.
Stimmt. Hier mein Lieblingsbeispiel für diesen sog. Placebo-Effekt: In einer Studie haben Ärzte schwangeren Frauen erzählt, sie bekämen ein wirksames Mittel gegen ihre Übelkeit. Die Wirkung wurde als sehr gut bewertet. Tatsächlich aber erhielten sie ein Brechmittel. Die pharmakologische Wirkung wurde allein durch die Kraft der Überzeugung und der Gedanken somit sogar ins Gegenteil verkehrt. In der Placebo-Forschung findet man mittlerweile einige Beispiele wie diese (5, 6, 7).
Allerdings wirkt dieser Effekt auch umgekehrt. Bist du beispielsweise einer Behandlung kritisch gegenüber eingestellt, glaubst du nicht daran, fühlst du dich vom Therapeuten nicht ernst genommen, hast du Angst oder wurdest überredet, wird der Heilungseffekt sehr wahrscheinlich nicht oder nur deutlich schwächer eintreten. Ein guter Arzt weiß um die starke Wirkung der Psyche und ist deshalb einfühlsam, geduldig, sorgend. Er fördert Vertrauen, stärkt heilsame Erwartungen und Optimismus, um die Heilungschancen zu maximieren.
Durch dieses Wissen wird auch klar, dass wir mit unseren Gedanken und Worten sehr achtsam umgehen sollten und warum es sich lohnt, sein Glas als halbvoll zu betrachten.
„Es ist das Beste und Fundierteste, was ich aus diesem Bereich der Kritik an unserem gegenwärtigen Gesundheitssystem bisher gelesen habe. Das alles zusammenzutragen, muss eine Menge Arbeit gewesen sein. Und so behutsam, leicht verständlich und kaum angreifbar zu formulieren, ist eine hohe Kunst.“
Prof. Dr. Gerald Hüther, Neurobiologie
Was ist für ein gesundes Leben bis ins hohe Alter nötig?
Diesbezüglich möchte ich eine interessante Pilotstudie aus den USA erwähnen. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass man innerhalb von nur acht Wochen sein biologisches Alter um bis zu drei Jahre verjüngen kann. Dafür notwendig sind lediglich eine gesunde, pflanzenbetonte Ernährung, ausreichend Schlaf, viel Bewegung und Entspannungsübungen (8).
Das klingt fast zu einfach, um wahr zu sein. Und zugegebenermaßen war diese Studie sehr klein. Aber es gibt etliche Belege für die Wirksamkeit dieser „simplen“ Maßnahmen, auf die ich im Detail auch im Buch eingehe, da es hier auch viele Fallstricke gibt. Aber dass die Umsetzung im Alltag nicht so simpel ist, weiß jeder, der nach einem anstrengenden Tag seine Vorsätze, joggen zu gehen oder auf Süßes zu verzichten, doch einmal gebrochen hat.
Hier sind wir dann beim Thema „innerer Schweinehund“. Diese Bezeichnung gefällt mir eigentlich gar nicht, da sowohl Hunde als auch Schweine äußerst intelligent sind. Und wir Menschen sind nun einmal aufs Energiesparen getrimmt. In Zeiten knapper Ressourcen war genau das für unsere steinzeitlichen Vorfahren ein Überlebensvorteil. Heutzutage hingegen reicht ein Fingerwisch – zumindest in Deutschland –, um eine Pizza zu bestellen. Wenig Bewegung plus Essen in Hülle und Fülle macht uns leider krank.
Und was können wir tun, um uns dennoch zu motivieren, um unseren Alltag gesünder zu gestalten?
Das Wichtigste ist: Nicht gesunde Ernährung, Sport, Meditation usw. auf einmal angehen, sondern klein anfangen. Wenn man zum Beispiel vorhat, mit Yoga zu beginnen, dann reduziert man das Risiko aufzugeben, indem man sich als Ziel setzt, jeden Tag einfach nur die Matte auszurollen und sich darauf zu legen. Dann kann man ein Häkchen im Kalender eintragen. Und wenn man erst einmal auf der Matte liegt, macht man dann meist doch etwas Kleines. Nach ein paar Wochen nimmt man sich dann fünf kurze Minuten Yoga täglich vor, später sieben Minuten und so weiter.
Es gibt noch viele weitere Tipps und Tricks, wie man seinen lieben Schweinehund dressieren und für sich nutzen kann, die ich in meinem Buch auch erläutere.
Lieber Krystian, danke für diese spannenden Einblicke in das ganze Thema. Ich kann nur jedem Menschen empfehlen, dein Buch zu lesen – es bringt einem so viele neue Erkenntnisse, obwohl man vor dem Lesen glaubt, „alles“ zu wissen.
Über den Autor Krystian Manthey
Krystian Manthey ist Medizinredakteur und engagiert sich mit all seiner Energie für mehr Gesundheitskompetenz und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft. Durch seinen eigenen (erfolgreich beendeten) Leidensweg weiß der erfolgreiche Blogger, wie ermüdend die Suche nach gesundheitlicher Hilfe oft ist. Mit evidenzbasierten Informationen verhelfen seine monatlichen Wissensartikel hunderttausenden Ratsuchenden zu mehr Wohlbefinden und Zufriedenheit. Mit seinem neu erschienenen Buch Wa(h)re Gesundheit: Der Gesundheitskompass im Therapie-Dschungel macht der Autor die Essenz und Kernerkenntnisse der modernen Gesundheitsforschung in aggregierter und laiengerechter Form zugänglich.
Quellen, auf die sich Krystian Manthey bezogen hat:
(1) https://data.worldbank.org/indicator/SH.DTH.NCOM.ZS?locations=DE
(4) https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/419459/Country-Health-Profile-2019-Germany.pdf
(5) https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphar.2019.00077/full
(6) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S030645221500740X
(7) https://www.jci.org/articles/view/102225/files/pdf