Der Weg zu Kunden

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Der Weg zu Kunden

Oder wie komme ich meinem Ziel in der Selbstständigkeit näher?

Sie haben das Gefühl, in Ihrer Selbstständigkeit auf der Stelle zu treten? Nicht weiterzukommen und mehr Frust als Lust zu empfinden? Sie übersetzen ja gerne, aber das lästige Kundensuchen … die niedrigen Preise … die Konkurrenz …
Nein, alles easy ist das nicht, aber es ist höchste Zeit, etwas zu unternehmen.
Hier eine kleine Anleitung, wie Sie der Sache näher kommen können.

Phase 1: Problem eingrenzen

Beschreiben Sie Ihr gefühltes Problem, wie Sie es für sich persönlich wahrnehmen, in einem Satz und seien Sie dabei so konkret wie möglich und natürlich ehrlich zu sich selbst. Schreiben Sie NICHT etwa: „Kunden wollen nichts mehr bezahlen“ oder „Kunden greifen immer öfter zu DeepL“, das ist viel zu allgemein, sondern zum Beispiel:

„Ich habe seit drei Jahren keinen neuen Direktkunden akquirieren können und arbeite im Durchschnitt für 10 ct./Wort für Agenturen, deren Zahlungsziel 60 Tage ist.“

Legen Sie eine Word-Datei an, Querformat, und zeichnen Sie darin eine Tabelle mit fünf Spalten. Jetzt tragen Sie das von Ihnen eingegrenzte Problem in Spalte 1 ein.

Phase 2: Feinanalyse

Ich fahre mit unserem Beispielproblem fort, damit es anschaulicher ist. Jetzt geht es an die Analyse. Wir unterstreichen in dem Satz jeden einzelnen Aspekt:

„Ich habe seit drei Jahren keinen neuen Direktkunden akquirieren können und arbeite im Durchschnitt für 10 ct./Wort für Agenturen, deren Zahlungsziel 60 Tage ist.“

Im Beispiel haben wir sechs Einzelpunkte ermittelt, die insgesamt unser „Problem“ ausmachen. Die sechs Einzelpunkte tragen Sie nun untereinander, jeden in einer eigenen neuen Zeile, in Spalte 2 ein. Das ergibt:

a) seit drei Jahren
b) neuer Direktkunde
c) akquirieren
d) im Durchschnitt 10 ct./Wort
e) Agenturen
f) Zahlungsziel 60 Tage

Phase 3: Brainstorming

Im nächsten Schritt analysieren Sie mit feinerem Kamm oder feinerer Lupe jeden Einzelpunkt. Dabei  tragen Sie in Spalte 3 die Gedanken oder Fragen, die Ihnen zu jedem Einzelpunkt einfallen, ein. Also in meinem Beispiel wie folgt (und in Klammern und kursiv mein Senf dazu):

a) Seit drei Jahren: Warum gerade 3 Jahre? Bin ich sicher, dass es 3 Jahre sind? Wie und woran mache ich das fest? Habe ich genaue Aufzeichnungen? Wie weit reichen diese zurück? (Sie haben keine Aufzeichnungen und haben den Stichtag aus dem Bauch heraus genannt? Unbedingt Aufzeichnungen machen, das ist für die Analyse Ihres Business wichtig)
Was war vorher? Was hat sich zum Stichtag X geändert, dass es nun 3 Jahre sind? (Es könnte sein, dass ein Ereignis wie die Geburt eines Kindes zum Beispiel einen anderen Zeitplan bedingt) Wie war ich vorher in der Kundensuche aktiv? Habe ich vor dem Stichtag X viele Kunden an Land gezogen? Wie viele mehr und warum war das so? usw.

b) Neuer Direktkunde (DK): Welchen DK (genau benennen) konnte ich zuletzt vor dem Stichtag X akquirieren? Was habe ich dafür proaktiv getan / wie kam er zu mir oder auf mich? Wie verhalten sich meine anderen DK? Habe ich evtl. auch DK verloren? Wenn ja, warum?
Was unternehme ich, um meine Bestandskunden zu halten? Welchen Mehrwert biete ich? Betreibe ich Marketing? (Achtung: Marketing ist keine Werbung und Werbung ist nicht mit Marketing gleichzusetzen) (Stichwort Alleinstellungsmerkmal und/oder Service, Mehrwert …)

c) Akquirieren: Betreibe ich Akquise? Wenn ja, in welcher Form? (Rundmails? Telefon?) Wie gehe ich vor? Wie recherchiere ich potenzielle Kunden? Nach welchen Kriterien? Wie ist meine Akquise-Strategie und welche Business-Strategie liegt da zugrunde?
Ich betreibe gar keine Akquise. (Es wird höchste Zeit!) Warum? Wovor fürchte ich mich? Ich telefoniere nicht gerne. (Warum? Das kann man lernen. Stichwort Telefontraining.)

d) Im Durchschnitt 10 ct./Wort: Ist das ein belegter Wert oder eine Schätzung? (Wenn geschätzt: Warum gibt es keine Aufzeichnung darüber? Sie müssen wissen bzw. ermitteln können, wie der Trend ist.) Woran liegt es, dass ich keine höheren Preise erziele? An den Agenturen? Habe ich es probiert, höhere Preise durchzusetzen? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? (Preisargumentation ausarbeiten).

e) Agenturen: Arbeite ich ausschließlich für Agenturen? Warum? (Anmerkung: Das muss nicht schlecht sein, aber die Mischung macht’s) (s. Pkt. Akquise DK) Wenn nicht ausschließlich, wie ist der Anteil Agenturen/Direktkunden (auch hier kommen die Aufzeichnungen ins Spiel). Werde ich von den Kunden vor vollendete Preis-Tatsachen gesetzt, im Sinne von „entweder Sie machen’s für 10 ct. oder wir beauftragen jemand anderen? Warum lasse ich mir den Preis aufdrücken? Wie fühle ich mich dabei? Konnte ich schon einmal einen höheren Preis durchsetzen? War das nicht ein toller Erfolg? Warum versuche ich das nicht öfter? Wie kann ich dabei vorgehen? (Sie müssen hier noch keine Antwort parat haben). Hat das etwas mit meinem Selbstbewusstsein zu tun?

f) Zahlungsziel 60 Tage: (Ähnlich wie bei Pkt. 4 und 5) Warum akzeptiere ich das? Habe ich jemals vermittelt, dass ich nach spätestens 30 Tagen bezahlt werden will? Habe ich für mein Business AGB? (Warum nicht? Unbedingt in Angriff nehmen) Wie vereinbare ich meine Ü-aufträge, also auf der Grundlage welcher AGB? Habe ich vermittelt, dass ein Übersetzungsauftrag ein Werkvertrag ist und der Auftraggeber – wenn ich keine Zahlungsfrist in meinen AGB festgelegt habe – nach dreißig Tagen in Verzug gerät?

Natürlich sind es nicht immer die gleichen oder überhaupt DIESE Fragen und Gedanken, aber Sie haben sicher das Prinzip verstanden. Schreiben Sie auch solche Fragen und Gedanken auf, die Ihnen auf den ersten Blick unlogisch, unpassend, absurd, nichtzutreffend usw. erscheinen. Werten Sie nicht in dieser Phase, die Wertung/Bewertung kommt noch. Interessant ist es übrigens, wenn Sie eine fachfremde Person, vielleicht einen Freund oder eine Freundin, die – weil eben nicht vom Fach und „ahnungslos“ – ganz „andere“ Fragen stellen und Gedanken aufwerfen wird.

Phase 4: Auflistung möglicher Lösungswege

Haben Sie erst einmal diese Feinanalyse und das Brainstorming durchgeführt, kommt nun Spalte 4 zum Zug: Darin notieren Sie jedes einzelne Stichwort, das Sie anspringt und zu den vielen Fragen und Gedanken passt – mehr nicht. Beispiel: Preise. Werbung. Marketing … Auch hier keine Wertung.

Phase 5: Lösungswege

Passend zu jedem einzelnen Stichwort notieren Sie jetzt in Spalte 5 einen oder mehrere mögliche Lösungswege, auch die, die Sie für völlig abwegig halten. Beispiel: Ein geeigneter Lösungsweg zu „Akquise per Telefon“ lautet „Telefonieren üben / Telefontraining“ – notieren Sie dies auch, wenn es für Sie völlig indiskutabel ist, dass Sie das überhaupt je machen würden, auch wenn Ihre Reaktion „nein, das kann ich nicht, das will ich nicht, auf keinen Fall, niemals …“ ist.

Denken Sie stets daran:  Wer es nicht wenigstens versucht, hat schon verloren. Ganz entscheidend für die Lebenserfahrung ist das Verlassen der eigenen Komfortzone, um neue Wege zu gehen. Klar: Mut und Eigeninitiative zeigen kosten Überwindung. Und der eine oder andere Weg kann beschwerlich sein, steil, der Boden unbefestigt. Lesen Sie hier meinen Artikel Versuch’s wenigstens.

Phase 6: Schlussfolgerung und Maßnahmenplan

Nun sehen Sie sich Spalte 5 im Detail an und überlegen, wo Sie hierzu Unterstützung bekommen.

Beispiele:

AGB: Basteln Sie diese nicht selbst und kopieren Sie sie nicht von Kollegen-Websites. Sie sollten sicherheitshalber einen Rechtsanwalt bemühen – das ist nicht wahnsinnig teuer, und Sie sind auf der sicheren Seite.

Telefonieren: Üben Sie das Telefonieren mit einer Freundin oder einem Freund. Belegen Sie ein Telefonseminar.

Akquise: Hospitieren Sie mal 1-2 Tage in einem Laden, der Produkte verkauft, mit denen Sie (rein gedanklich) „so gar nichts anfangen“ können, also Produkte, die in Ihren Augen recht schwer zu verkaufen sind. Also **nicht** in einem Shop für Veganer, wenn Sie Veganer:in sind. Noch besser: Hospitieren Sie bei einem Straßenpropagandisten, der versucht, den vorbeieilenden Menschen eine popelige Gemüsereibe aus Plastik für 19,99 € zu verkaufen – den Spülschwamm gibt es gratis dazu. Schauen Sie sich seine Verkaufstechniken an und versuchen Sie Ihr Glück – Sie haben nichts zu verlieren.

Preise: Erarbeiten Sie Ihre ganz persönliche Preisargumentation. Warum sind Sie das wert, was Sie veranschlagen? Welche Pluspunkte bringen Sie mit?

So können Sie einen Maßnahmenplan erarbeiten. Aber vergessen Sie nicht, zu jeder Einzelmaßnahme einen Termin einzutragen, wann Sie das Ziel oder auch ein Zwischenziel erreicht haben wollen – sonst wird das nichts.

Zu diesen und vielen anderen Themen finden Sie auch Tipps und Anleitungen in meinem Buch Das große 1×1 für selbstständige Übersetzer). Es ist ein alphabetisch aufgebautes Nachschlagewerk, das alle Facetten der freiberuflichen Existenz als Übersetzer:in abdeckt. Die Empfehlungen, Anregungen und Gedankenanstöße in diesem Buch basieren auf meiner vierzigjährigen (ja: 40) Erfahrung als freiberufliche Fachübersetzerin. Meine Tipps sind in der Praxis erprobt.

Und wenn Sie zu einem speziellen Punkt nicht weiterkommen, schreiben Sie mir. Ich freue mich.

Header-Bild: Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay. Herzlichen Dank für die kostenlose Version.

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