Mein Deutsch-Französisch-Sein

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Mein Deutsch-Französisch-Sein

Dilemma oder bedingungslose Liebe?

Im Großen und Ganzen bilde ich mir ein, dass ich mir im Alltag keine überdimensionalen Gedanken über mein Französisch-Sein oder mein Deutsch-Sein mache. Beim Lesen des bezaubernden Artikels von Maxim Leo „Die Franzosen und ich“ in der Berliner Zeitung fing es in meinem Kopf dann wieder an zu rattern.

Die enge emotionale Verbindung zu dem einen und zu dem anderen Land macht sich tatsächlich auch im Alltag bemerkbar, auch ohne dass ich mir immer dessen bewusst bin – und zwar in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen und zu ganz unterschiedlichen Fragen. Wenn man wie ich in eine bikulturelle und damit bilinguale Umgebung hineingeboren wurde, macht man sich zunächst keine großen Gedanken: Man kennt ja nichts anderes. Erst bei „einseitigem“ Kontakt zur einen oder zur anderen Welt stellt sich immer wieder heraus, dass Franzosen und Deutsche nicht sehr viel gemeinsam haben.

Die Liste der Unterschiede ist so lang, dass kluge Autoren und geschäftstüchtige Schreiberlinge ganze Bücher damit gefüllt haben. Lässt man Details – sind es wirklich Details? – wie das Frühstück und überhaupt das Essen, den bzw. ungern gesehenen Stolz auf das eigene Land und die Bevorzugung von „Urlaub im eigenen Land“ (mal von Corona-Zeiten abgesehen) beiseite, bleibt ein tiefes und schwer definierbares Anders-Sein, das auf vielfältige und zugleich kaum beschreibbare Weise zum Ausdruck kommt.

Voulez-vous … ?

Auf den Gedanken, Franzosen mit Ostdeutschen (oder umgekehrt) zu vergleichen, bin ich nie gekommen – ich möchte mir nicht anmaßen, das Ostdeutsch-Sein zu kennen, und noch weniger, irgendeine Beurteilung darüber abzugeben. Die in Maxim Leos erwähnten Punkte sind allerdings einmalig gut getroffen, und ich kann sie durchweg unterschreiben. Im Teaser wird gefragt: „Soll unser Kolumnist dem Wunsch seiner Frau nachkommen – und die französische Staatsbürgerschaft annehmen?“ Nun, da fällt meine Antwort wie die eines Politikers aus: „Ja und nein“.

Ja, denn Frankreich ist ein so wunderbares Land – wer wollte da nicht Franzose sein? Oder, um mit Ulrich Wickert zu sprechen: Will Maxim Leo auf das „Glück, Franzose zu sein“ etwa verzichten? Das würde kein Franzose verstehen.

Und nein, denn Herr Leo begibt sich damit auf einen Weg, den er zwar schon durch seine Beziehung zu einer Französin halb gegangen ist (und wohl gut bewältigt hat), der ihn jedoch in ein größeres Dilemma stürzen wird, als er sich vorstellen kann.

Ich muss gestehen, dass ich noch nie auf den Gedanken gekommen bin, meinen Mann zu fragen, ob er Franzose werden will. Hierzu eine kleine vielsagende Anekdote. Als wir längst noch nicht verheiratet waren und wir nur die Wochenenden gemeinsam verbringen konnten, sollte er an einem Samstagmorgen die von mir bestellten Brötchen bei meinem Stammbäcker abholen. Übrigens einmalig gute Roggenbrötchen, die ich nach der Geschäftsaufgabe von Bäcker Lumpp in Karlsruhe so nie mehr bekam. Frau Lumpp, die mit weißer Spitzenschürze im Laden stand, brauchte ich nur ein einziges Mal zu Beginn unserer geschäftlichen Brötchenbeziehung meinen französischen Namen zu sagen und zu buchstabieren – ab da schrieb sie ihn jede Woche ohne Zögern auf einer Tüte immer korrekt auf, wenn ich die guten „Roggis“ für den Samstag bestellte. Also schickte ich meinen damaligen Freund und späteren Mann dorthin und erinnerte ihn daran, dass ich natürlich auf den Namen Chaumien bestellt habe. Er kam zurück und meinte etwas pikiert: „Sie hat mich mit ‚hallo Herr Chaumien‘ begrüßt …“. Ich: „Na und?“ Er: „Jetzt denkt sie bestimmt, ich bin Franzose …“ – der Blick war vielsagend.

Einem deutschen Mann vorzuschlagen, eine andere (selbst zusätzliche) Staatsangehörigkeit anzunehmen, ist etwa so schlimm für ihn wie der Vorschlag, den Namen seiner Frau zu führen. Das geht gar nicht, meinen deutsche Männer wohl.

Die Seele der Sprache

Unabhängig davon (und was ich da schreibe, ist keineswegs abfällig oder herablassend gemeint): Franzose wird man nicht durch bloße Annahme der Staatsangehörigkeit. Franzose sein, das ist viel mehr. Viel mehr als gerne gut essen, Wein trinken und in Frankreich Urlaub machen. Viel mehr auch als gut Französisch sprechen. Ganz nebenbei: Ich bin ohnehin fest davon überzeugt, dass jemand, der erst als Heranwachsender oder gar Erwachsener Französisch lernt, auch wenn er sehr gut spricht und vielleicht auch schreibt und ganz lange in Frankreich gelebt hat oder noch lebt, niemals die Seele und damit die Feinheiten mancher Wendungen wird ganz verstehen, geschweige denn nachbilden können.

Nein, tragisch ist das nicht, aber ein Hindernis auf dem Weg zum Franzose-Sein. Warum? Weil Franzosen eine ganz besondere, innigere Beziehung zu ihrer Sprache haben und vor allem weil ihre Sprache ihr Französisch-Sein widerspiegelt und umgekehrt. Selbst in der Umgangssprache oder, besser ausgedrückt, selbst wenn sich Nachbarinnen beim Fleischer unterhalten, selbst wenn die Bedienung an der Käsetheke im Supermarkt mit einem spricht, wirkt die Sprache gehobener, runder, eleganter, edel und fast poetisch, wenn sie fragt: „Et vous prendrez autre chose avec cela, Madame ?“. In Deutschland bekommt man da allenfalls ein „Noch was?“ hingeschmettert, wenn der Kunde den auffordernden Blick nicht versteht.

Franzosen sagen nicht einfach „das ist eine gute Entscheidung ist gut“, sondern „nous accueillons cette décision“; sie schreiben nicht einfach „Mit freundlichen Grüßen“, sondern „Nous vous prions de bien vouloir agréer, Madame, Monsieur, nos salutations distinguées“; sie senden einem Kunden eine Rechnung per Mail und schreiben „Nous vous en souhaitons bonne réception“. Ich könnte noch viele Beispiele anführen. Es ist meines Erachtens kein Zufall, dass diese Formulierungen so anders in den beiden Sprachen ausfallen, sind sie doch Ausdruck des Umgangs miteinander. Auf der einen Seite charmant, zumindest den Eindruck einer gewissen Verbindlichkeit erweckend und vielleicht für deutsche Leser oder Ohren manchmal etwas überkandidelt, auf der anderen Seite direkt, ohne Umschweife und pragmatisch, zuweilen etwas schroff. Da fällt mir das „sag ich doch / hab ich doch gesagt“ ein, was oft zu hören und zu lesen ist, während der Franzose sein „c’est bien cela / c’est bien ce que j’ai dit“ säuselt – und sagen Sie mir nicht, das sei dasselbe oder das gleiche. Dann müsste ich nämlich bemerken: Quod erat demonstrandum.

Das französische Gefühl

In meinem Blogpost „Vom Sinn des Übersetzens“ habe ich bereits beschrieben, dass die Frage, ob meine Geschwister und ich, die wir in einer bilingualen und bikulturellen Welt (deutsche Mutter, französischer Vater, in Deutschland lebend, aber Besuch einer französischen Schule) aufgewachsen sind, uns als Deutsche oder Franzosen gefühlt haben, für uns Kinder nie ein Thema war. Wir waren beides. Nicht auf dem Papier, denn wir Kinder haben alle qua Geburt die französische Staatsangehörigkeit, aber im Herzen waren und sind wir beides.

Und genau das ist der springende Punkt: die Seele, das Gefühl (der Deutsche spricht hier von Feeling, haha). Die Seele eines Deutschen, eines Franzosen, eines Italieners, eines Spaniers usw. Die hat man qua Geburt und qua Prägung, man kann sie nicht erwerben – nicht in eintausend Jahren Aufenthalt. Mein Vater hat über die Hälfte seines Lebens in Deutschland gelebt und ist doch nie Deutscher geworden – nicht auf dem Papier und nicht im Herzen, obwohl er seine zweite Heimat mochte. Aber er war halt in Frankreich in einem rein französischen Umfeld aufgewachsen und kam erst im Alter von etwa 25 Jahren nach Deutschland.

Und wie ist es mit mir? Im älteren Blogpost „Clin d’œil – Augenzwinkern“ schrieb ich: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“ – und daran hat sich nichts geändert. Inzwischen habe ich zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen, aber dies geschah vor allem aus verwaltungstechnischen Gründen. Werde ich gefragt, wie meine Seele rein nationalitätenmäßig strukturiert ist, antworte ich: „70 % französisch, 30 % deutsch“, obwohl ich Deutschland liebe und Baden, ja, Karlsruhe, meine Heimat geworden ist. Wodurch entsteht eine solche Empfindung? Ich kann es einfach nicht erklären. Haben Sie eine Idee, woran das liegen kann? Vielleicht könnte mir Maxim Leo diese Frage beantworten …

  1. Ein besonders schöner, sehr persönlicher Artikel. Danke dafür. Mir ist auch klar geworden, dass ich meine Quellsprachen nie so ganz erfassen oder erfühlen kann. Aber vielleicht muß es so sein, ein Rest an Fremdheit gehört wohl dazu.

    • Danke, liebe Karin. Ja, ich denke auch, dass es bei den Quellsprachen so sein muss. Ich habe zwar Englisch studiert und befasse mich schon immer viel mit dieser Sprache, aber ganz „zu Hause“ fühle ich mich damit nicht. Das ist wie mit der Welt: ein wenig Geheimnis sollte noch vorhanden sein.

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