Terrier und Übersetzer

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Terrier und Übersetzer

sind sich ungemein ähnlich …

Bis auf ganz wenige Vertreter ihrer Gattung sind (freiberufliche) Übersetzer:innen große Tierliebhaber oder zumindest tierfreundlich veranlagt. Hund, Katze, Maus – es soll sogar welche geben, die einen Vogel haben – äh, pardon, die einen Vogel halten.

Über die zahlreichen Ähnlichkeiten zwischen Katzen und (freiberuflichen) Übersetzern wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Heute befassen wir uns mit einer anderen Tierspezies, dem Hund im Allgemeinen und dem Terrier im Besonderen. Dabei stützen wir uns auf hochwissenschaftliche Beobachtungen und Untersuchungen, die sich über zwölf Jahre erstrecken.

  1. Der freiberufliche Übersetzer (1) ist – wie der Terrier – kein Rudelhund. Er freut sich durchaus über sporadische Kontakte zu anderen Vertretern seiner Spezies, zieht sich aber gerne auch wieder in sein Revier zurück.
  2. Die Sozialisierung des freiberuflichen Übersetzers ist dann gelungen, wenn er ein angenehmer Begleiter ist, nicht rauft, keine Jogger verfolgt, problemlos Auto, Bus oder Bahn fährt, Treppen steigt und keine Weidetiere hetzt. Sorry, ich meinte natürlich den Terrier. Allerdings ist der freiberufliche Übersetzer gerne auch dominant, was sich im Kontakt mit Kollegen nicht selten durch das ausgeprägte Bedürfnis zeigt, ganz oben in der Rudelhierarchie angesiedelt zu sein und immer das letzte Wort zu haben (wenn es um Fachfragen geht).
  3. Trotz dieser speziellen Sozialisation gilt der freiberufliche Übersetzer als ein sehr guter Familienmensch. Er wird als treu, gesellig und klug beschrieben.
  4. Sein flinkes Wesen ermöglicht ihm, mehrere Dinge parallel zu erledigen, eine Eigenschaft, die gerne mit dem Adjektiv „multitaskingfähig“ beschrieben wird. Anzumerken sei, dass diese Eigenschaft bei weiblichen Vertretern der Spezies weit stärker verbreitet ist.
  5. Der freiberufliche Übersetzer verfügt wie Hunde im Allgemeinen und Terrier im Besonderen über eine hervorragende Auffassungsgabe, die es ihm ermöglicht, rasch und zielführend Neues einzuordnen. Er ist von größter Intelligenz. Dies bedarf sicher keines besonderen Nachweises.
  6. Ebenso wie der Terrier verfügt der freiberufliche Übersetzer über ein gesundes Nervensystem. Angesichts der unfassbaren Imponderabilien, mit denen er tagtäglich im Zusammenhang mit Kunden fertig werden muss, ist diese Eigenschaft für ihn ein Segen.
  7. Desweiteren zeichnet den freiberuflichen Übersetzer das unerschrockene, furchtlose Wesen eines Terriers aus, das ihn – gepaart mit dem Gefühl innerer Stärke – für seine beruflichen Herausforderungen wappnet.
  8. Der freiberufliche Übersetzer hat einen lebhaft-fröhlichen Charakter und ein flinkes Reaktionsvermögen.
  9. Er ist vielseitig interessiert und taucht seine Nase gerne in Neues.
  10. Mit zunehmendem Alter, logischerweise einhergehend mit der Anzahl an Berufsjahren, muss der freiberufliche Übersetzer auf sein Äußeres achten, will sagen: auf sein Gewicht. Viele Vertreter dieser Zunft zügeln nur schwer ihre Nahrungsaufnahme und setzen gerne ein paar Pfunde zu viel an, die sie nur schwer wieder loskriegen, was nicht nur unvorteilhaft aussieht, sondern auch schlecht für die Gelenke ist.
  11. Der freiberufliche Übersetzer ist unverwüstlich und zäh. Wie ein Terrier verbeißt er sich gerne in seine Beute, äh, seinen Auftrag und lässt nicht locker, bis auch der letzte Satz verschlungen ist.
  12. Der freiberufliche Übersetzer verfügt über eine ordentliche Portion Witz und Humor, er entpuppt sich oft als kleiner Schelm. Dabei muss sein direktes Umfeld darauf achten, dass aus dieser durchaus positiven Eigenschaft nicht etwa Starrköpfigkeit oder gar Aufsässigkeit wird. Während beim Terrier eine konsequente, liebevolle Erziehung Wunder wirkt, ist dem freiberuflichen Übersetzer nur durch viel Verständnis, aber auch durch ein riguroses „Grenzen-Setzen“ beizukommen.
  13. Der freiberufliche Übersetzer ist anhänglich und liebesbedürftig, freundlich und anpassungsfähig, Letzteres nicht zuletzt dank seiner bereits weiter oben erwähnten hervorragenden Auffassungsgabe.
  14. Bekannten gegenüber wird sich der freiberufliche Übersetzer zutraulich zeigen. Bei Fremden verhält er sich zu Beginn eher misstrauisch, bis das Eis gebrochen ist.
  15. Der freiberufliche Übersetzer ist genügsam und bescheiden.
  16. Und schließlich: Der freiberufliche Übersetzer ist ein Arbeitstier. Was sonst?!

(1) Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit gilt der hier verwendete Begriff „Übersetzer“ auch für die weibliche Form und alle anderen Geschlechter.

Anmerkung: Der Jack Russell Terrier auf dem Beitragsfoto, Filou, musste leider im August 2019 über die große Regenbogenbrücke gehen.

 

  1. hihi. Schön, von einer geschätzten Dozentin nach doch einigen Jahren wieder zu hören bzw. zu lesen. Nur unterscheidet in meinen Augen den Hund vom Übersetzer: Das Tier darf nicht im Schlafanzug arbeiten – nach meinem Dafürhalten ist das ein entscheidender Grund für das freiberufliche Dasein (ich sage das mit dem Hintergrund einer langjährigen Übersetzer-Tätigkeit in einer Vorstandsetage) …
    Beste Grüße, Carola

    • Ja, ein interessanter Aspekt, den ich nicht berücksichtigt habe 😉 Herzliche Grüße

  2. Ein toller Blogartikel und wirklich passende Vergleiche. Meine Lieblingspunkte: 9, 11, 13 🙂

    • Danke Iva. Freut mich, wenn der Beitrag auf Zustimmung stößt. Die Punkte 9,11 und 13 sind auch meine Lieblingspunkte. 🙂

  3.  Ich gehöre wohl eher zum Typ der schwer zu sozialisierenden Katzen. Doch der Terrier kommt mir sehr entgegen; viel mehr jedenfalls als die Bulldogge und der Boxer. Zumal, wenn er ein Filou ist.

     Ein klein wenig off-topic:
     Ich glaube, dass es durch häufige Hinweise wie (1) zu zwei Dilemmata kommt.
     Erstens wird im Text selbst ja vorgeführt, dass ein Wort wie Übersetzer sich eben doch immer noch auf beide Geschlechter beziehen kann und dies durch den ständigen Gebrauch in diesem Sinne wohl auch weiterhin tun wird. Das bedeutet unter anderem, dass ein Ausdruck wie männliche Übersetzer keine Tautologie ist, wenn es um die eindeutige Bestimmung der gemeinten Personengruppe geht. Doch wie bei der Diskussion über brauchen und gebrauchen schon gesehen, ist es natürlich gang und gäbe, dass aus den unterschiedlichsten Motiven nicht alle Sprachbenutzer Form und Inhalt gleich bewerten mögen, was ihr gutes Recht ist. (Viele verwechseln auch Genus mit Sexus und/oder haben keine Ahnung von Markiertheit und denken, wenn die eine Form etwas über Geschlecht oder Tempus aussagt, müsse die andere das auch tun.)
     Zweitens – und das ist vielleicht viel gravierender – könnten sich die Leser beiderlei Geschlechts für dumm verkauft vorkommen, wird ihnen doch unterstellt, nicht selbst zu begreifen, wer gemeint ist. Ich gehe jedoch davon aus, dass des Deutschen halbwegs mächtige Menschen verstehen konnten, wen ich oben mit alle Sprachbenutzer gemeint habe.

    • Diesen Kommentar, lieber Charlie, hatte ich bereits nach dem Veröffentlichen des vorangegangenen Rüsterweg-Beitrags über Übersetzer und Katzern „erwartet“. 😉
      Ich ziehe den Begriff „Übersetzer“ ohne die Nennung der weiblichen Form vor, weil ich an den Beruf denke und vor allem weil mir diese feministische Forderung, alles auch in der weiblichen Form zu nennen, lästig ist. 🙂

      •  Genau das tue ich ja auch, Giselle. Allerdings erwarte ich von meinen Lesern (!) stillschweigend, dass sie des Deutschen so mächtig sind, auch ohne expliziten Hinweis zu verstehen, dass Ausdrücke wie Übersetzer sind große Tierliebhaber ebenso wenig auf männliche Exemplare beschränkt sind wie im Satz Gold ist schwerer als Silber das ist eine Beschränkung auf die Gegenwart darstellt; nur war würde sich auf ein bestimmtes Tempus beziehen.
         Davon abgesehen: ich liebe ich deine Beiträge sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

        • Oh, vielen Dank für diese tolle Rückmeldung zu meinen Beiträgen. Das geht ja runter wie Öl. Danke.

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