Mangelndes Wissen beim Kunden über die Arbeit des Übersetzers* ist nicht selten – und keine Schande. Da hilft nur eines: Aufklärung.
Sie sind Übersetzerin / Übersetzer und wundern sich zuweilen über Kundenwünsche? Ihre Aufgabe als Dienstleister* ist es, den Kunden* aufzuklären, ihm dabei zu helfen zu verstehen, was „Übersetzen“ bedeutet.
„Übersetzen Sie einfach die Wörter, die da stehen“
Erklären Sie Ihrem Kunden: Ob es sich um allgemeinsprachliche Texte oder um Fachtexte handelt, das Übersetzen ist weit mehr als die bloße Übertragung von [Wort in Sprache A] in [Wort in Sprache B]. Mein ehemaliger Dozent Hans G. Hönig pflegte zu sagen: „Der Übersetzungsvorgang hat mit dem Austausch von Wörtern so wenig zu tun wie das Schachspiel mit dem Verrücken von Schachfiguren“.
Beispiel:
O-Text: Cet engin agricole est plutôt dédié à la culture en ligne.
Fehlübersetzung: Dieses Agrargerät ist für die Online-Kultur bestimmt.
Richtig: Diese Landmaschine eignet sich eher für die Reihenkultur.
„Ihre Übersetzung ist zu lang“
Nachdem Sie Ihre Arbeit abgeliefert haben, meldet der Kunde*, die Übersetzung sei zwar gut, aber zu lang, denn der Text soll in einer Veröffentlichung erscheinen und darf nicht länger als soundsoviel Zeichen sein.
Erläutern Sie Ihrem Kunden (selbstredend freundlich), dass er als Auftraggeber* so präzise wie möglich vor bzw. bei Auftragsvergabe angeben muss, was er von Ihnen erwartet, was er mit dem fremdsprachlichen Zieltext bezweckt, ob dieser evtl. wie in dem Beispiel gedruckt werden soll usw.. Das aktuelle Stichwort hierzu lautet: Briefing. Je präziser die Kundenangaben, desto besser.
„Aber das ist doch der Text zu einem Videofilm“
Wie im vorangegangenen Beispiel gilt: Das sollte Ihnen der Kunde vor bzw. bei Auftragsvergabe sagen. Gerade in diesem Fall ist eine Vorabinformation absolut notwendig, denn der Erfolg des späteren Films hängt ganz wesentlich davon ab: Wird der Text gesprochen, muss darauf geachtet werden, dass jedes Wort genau zum Bild passt – und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Wenn der Sprecher* oder ein spezialisierter Texter* den übersetzten Text noch adaptieren muss, bevor er aufgenommen wird, entstehen zusätzliche Kosten. Deshalb sollte der Übersetzer* stets wissen, ob es sich um einen später gesprochenen Text handelt. Erklären Sie das Ihrem Kunden, er wird es verstehen – spätestens wenn sie schlecht synchronisierte Spielfilme erwähnen.
Machen Sie Ihrem Kunden keinen Vorwurf – nicht jeder Auftraggeber von Übersetzungen weiß, worauf es bei dieser Art von Dienstleistung ankommt. Wir Übersetzer wissen sicher auch nicht immer, was beim Fliesenlegen, Mauern, Berechnen von Statikplänen, Webdesignen usw. zu beachten ist.
„In Ihrer Übersetzung fehlen Wörter“
Wer keine Fremdsprachen gelernt hat (ja, das gibt es durchaus) oder keinen „Zugang“ dazu hat (will sagen: nix damit am Hut hat), tut sich zuweilen schwer im Bewerten von Übersetzungsleistungen. Solche Kunden wissen sich oft nicht anders zu helfen und zählen die übersetzten Wörter, schlagen stichprobenweise Wörter im zweisprachigen Lexikon nach usw. „Bei mir im Lexikon steht aber für [deutsches Wort xy] in [Sprache ABC] das hier: …“. So oder so ähnlich, vielleicht nicht immer so extrem, versucht der Kunde dann, ein Stückweit die Lieferung zu „prüfen“.
Auch hier dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, ihm die Sachlage zu erklären. Dabei ist herablassendes und/oder verärgertes Entgegentreten völlig fehl am Platz. Mit Geduld und Nachsicht erläutern Sie anhand eines einfachen Beispiels, dass in der deutschen Sprache das Wort Bart oder Sohle auch unterschiedliche Bedeutungen hat – je nach Zusammenhang.
„Ich dachte, das sei im Preis mit drin“
Der Kunde ist mit der Übersetzung zufrieden und schickt Ihnen ein paar Tage nach Ihrer Lieferung eine Korrekturfahne mit der Bitte um ein qualifiziertes Korrekturlesen. In Ihrer Antwort nennen Sie einen Preis für diese Leistung. Er daraufhin: „Ich dachte, das sei im Preis mit drin“.
Seien Sie in Ihren Angeboten so präzise wie möglich. Fragen Sie im Vorfeld nach Details: Was wird genau erwartet (Umfang der Leistung)? Zweck und Zielgruppe der Übersetzung? Usw.
Meine Empfehlung:
- Beim ersten Mal die zusäztlich gewünschte Leistung gratis erbringen. Das bringt niemanden um und zeigt Entgegenkommen.
- In der Begleitmail schreiben: „Diese Zusatzleistung kostet normalerweise xy €, heute für Sie ausnahmsweise ohne Berechnung, da wir im Vorfeld nicht darüber gesprochen hatten.“ So zeigen Sie, dass Sie einen Teil der Verantwortung übernehmen.
- In der Rechnung: Posten „Korrekturlesen xy Seiten“ erwähnen, in der Preisspalte „ohne Berechnung“ – so bleibt das Ganze „verewigt“.
„Machen Sie bitte eine einfache Übersetzung, die nicht viel kostet“
Erklären Sie Ihrem Kunden, dass Sie aus einem gegebenen Text keine „einfache oder schwierige Übersetzung“ machen können. Was Sie tun können: eine Zusammenfassung, falls er lediglich wissen will, worum es geht. Oder ihm telefonisch erklären, worum es geht (und ein Honorar auf Stundenbasis berechnen, dies aber natürlich vorher klären). Ich selbst hatte vor vielen Jahren, als ich die Übersetzungsabteilung der deutschen Tochtergesellschaft eines großen Konzerns leitete, einmal einen mehrseitigen Text in russischer Sprache von einem (internen) Kunden bekommen. Er bat mich, diesen übersetzen zu lassen, es dürfe aber nicht viel kosten, denn er bräuchte nur eine grobe Info über den Inhalt. Gegebenenfalls, wenn er mehr wisse, könne man immer noch den ganzen Text übersetzen lassen. Eine externe russische Kollegin las den Text, unterhielt sich eine Stunde mit meinem Kollegen, und es stellte sich heraus, dass das Thema für ihn nicht interessant war.
Denken Sie stets daran, dass auch Unternehmen zunehmend sparen müssen. Gerade in Konzernen sind die Vorgaben „von ganz oben“ oft einschneidend. Fragen Sie also nach, bieten Sie Alternativen an (schriftliche Zusammenfassung, Übersetzen von Kernaussagen, telefonische Information …). Kurz: Zeigen Sie sich flexibel.
Kundenaufklärung lohnt sich
… denn zufriedene Kunden kommen wieder. Wer als Kunde das Gefühl hat, man hat sein Anliegen ernst genommen, sich Zeit genommen, um zu erklären, was geht und nicht geht (und warum es so nicht geht, aber vielleicht anders), der ist am Ende ein Stückchen wissender und zufriedener. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus, Sie wollen Ihren (potenziellen) Kunden doch nicht vor den Kopf stoßen. Geduld, Flexibilität, Nachsicht und Verständnis (Stichwort Soft Skills und Kundenorientierung) für Wissensmängel über unsere Tätigkeit bringen Sie (in Sachen Kundenbeziehungen) weiter – und nicht etwa das vielfache zitierte Mail „Tut mir leid, das geht nicht“ ohne weitere Angabe. Und ja, ich weiß, ich wiederhole mich: Rufen Sie an. Am Telefon lassen sich solche Dinge viel diplomatischer erklären als schriftlich.
(*) Im Hinblick auf eine bessere Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.