Zu Risiken und Nebenwirkungen

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Zu Risiken und Nebenwirkungen

Das TV-Vorabendprogramm

Wer die ARD oder das ZDF im Vorabendprogramm einschaltet und sich noch fit fühlt, wird ganz bestimmt noch vor 20 Uhr das Bedürfnis verspüren, dringendst eine Apotheke aufsuchen. Getreu dem Motto: Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Selten komme ich zeitlich dazu, im sog. Vorabendprogramm, also vor 19 Uhr, den Fernseher einzuschalten. Und ich bin auch nicht traurig darüber, denn was da geboten wird, ist wirklich trostlos, wie ich kürzlich feststellen musste. In der Vorweihnachtszeit, wenn ich nach erledigtem Tagwerk noch Plätzchen für Familie und Freunde backe, läuft meist das Radio. An einem Abend im Dezember knipste ich jedoch – warum auch immer – den Fernseher im angrenzenden Wintergarten an. Um präzise zu sein: Ich hörte beim Teigkneten die Stimmen, sah jedoch kein Bild, es sei denn, ich warf einen Blick um die Ecke.

Sensationslust ohne Grenzen

Über die lächerlichen Krimiserien könnte man heulen, es wäre jedoch schade um die Ausgaben für die Papiertaschentücher. Die Quizsendungen sind so langweilig und geistlos, dass der Zuschauer dabei einschläft. Und der absolute Gipfel sind die Magazine, die über Katastrophen, Unfälle, Überfälle, geglückte und missglückte Lebensrettungen und ähnliche Ereignisse mit Kommentaren berichten, die ihren Pendants bei den privaten Sendern in nichts nachstehen. Angesichts der Tatsache, dass sich bei „Hallo Deutschland“ ein ganzes Heer von rund 40 Redakteuren tagtäglich mit diesen niveaulosen und teils hemmungslos aufgeplusterten Beiträgen beschäftigen, in denen längst Geschehenes von vor drei oder vier Jahren wieder aufgewärmt wird, weil das aktuelle Thema nicht genug für einen Zweiminutenfilm hergibt, kann man nur noch den Kopf schütteln. Ich darf erinnern: Wir sind bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, die mit unseren Beitragsgeldern arbeiten. Übrigens war „Hallo Deutschland“ vor etwa 18 Jahren unter der Leitung des heutigen Regierungssprechers Steffen Seibert als Ländermagazin mit regionalen Themen gestartet. Heute steht es im täglichen Wettstreit mit dem gleichermaßen niveaulosen ARD-Boulevardmagazin „Brisant“. Es sind solche Sendungen, die dazu beitragen, dass Sensationsberichte und -fotos in den social media wie Facebook & Co. Furore machen – mit dem traurigen Ergebnis, dass bei jedem Unfall und ähnlichem Ereignis die Menschen vor Ort nicht mehr helfen, sondern mit ihrem Smartphone fotografieren, filmen und … posten. Hallo, Deutschland?!

Werbeblock

Kurz vor dem ersten Advent war es wieder soweit. Backen war angesagt. Mehl, Zucker, Eier standen bereit, im ZDF lief „irgendwas“, ich nahm nur Stimmengemurmel wahr, bis der Werbeblock lief. Dass er begann, merkte ich an der Lautstärke, die mit der ersten Sekunde des ersten Werbespots drastisch zunahm. Sicher soll damit der wegen der zuvor laufenden Fernsehserie schläfrig gewordene Zuschauer wachgerüttelt werden. Der Werbeblock dauerte – wie ich später beim Sender ermitteln konnte – 6 Minuten, und mir fiel beim Kneten des Mürbteigs direkt auf: Das geht bis ins Mark! Denn innerhalb dieser kurzen Zeit gab es ausschließlich Werbung für Gesundheitsmittel.

Wer sich noch fit glaubt, wird am Ende des Werbeblocks garantiert zumindest das dumpfe Gefühl haben, er habe vielleicht doch „immer wieder Blähungen, Durchfall oder Verstopfung“ (Kidjimea Reizdarm) und, sollte Letzteres zutreffen, könne er zusätzlich auf Laxoberal Abführtropfen zurückgreifen. Nachdem der Magen-Darm-Trakt nun versorgt war, ging es um Rückenschmerzen: Zunächst ist Thomas total davon überzeugt, dass bei der Wärmeauflage ThermaCare „keine Chemie“ an seine Haut kommt, nur „ganz natürliche Wärme“, und sagt „das ist der Knaller, dat wirkt“. Na ja, wenn er’s sagt. Und plötzlich spüre ich, wie sich mein Rücken meldet – klar, nach langem Teigkneten und Plätzchenausstechen … Unmittelbar danach – hat sich da jemand etwas bei der Reihenfolge gedacht? – taucht der missmutige Kater mit der plattgedrückten Schnauze auf und ruft „He, Sie da!“. Über sein Frauchen beschwert er sich, weil sie seit der Anwendung von Voltaren Schmerzgel wieder total aktiv und schmerzfrei ist und keine Zeit mehr zum Knuddeln hat. Inzwischen tut mir mein rechtes Knie weh. Oder das linke? Oder gar beide?

Nach so viel Kneten, Ausrollen, Ausstechen und Verzieren bin ich ganz aufgedreht, frage mich, wie die fertigen Plätzchen meinen Lieben wohl schmecken werden, und freue mich auf die spätere wohlverdiente Nachtruhe. Da erklingt auch schon eine leicht bedrohlich anmutende Hintergrundmusik, und eine Stimme redet mir ein: „Abend für Abend versuchen Millionen von Menschen, erholsamen Schlaf zu finden. Vertrauen Sie besser […] Hoggar Night“. Allein der Name erweckt in mir Bilder von Geistern und Gnomen, die mich daran hindern, einzuschlafen.

Doch was ist das? Spüre ich da etwa die ersten Anzeichen einer Erkältung? Ah, zum Glück sagt die fürsorgliche Stimme aus dem Fernsehkasten, dass mein erkältetes Ich mit BoxaGrippal keine Chance hat – ab in die Tonne damit, morgen bin ich wieder fit!

Schließlich bekomme ich noch die tägliche Ration Actimel empfohlen: Mit seinen Joghurtkulturen ist es doch bestimmt auch gut für den Darm, oder? Dann bräuchte ich doch das Kidjimea Dingsda nicht … Und es stärkt das Immunsystem, so dass ich auch das Erkältungsmittel nicht bräuchte. Mhh, soll ich nun zur Apotheke fahren oder nicht? Unruhe tut sich auf – fehlt jetzt etwa dieses Neurexan, das ganz zum Schluss als i-Tüpfelchen angepriesen wurde?

Nach reiflicher Überlegung mache ich mir einen Glühwein heiß und probiere meine Plätzchen – natürlich sitze ich dabei auf der Couch, Filou direkt neben mir. Der macht solche frei verkäuflichen Mittelchen komplett überflüssig.

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