Hardecksiedlung: das Karlsruher Idyll

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Hardecksiedlung: das Karlsruher Idyll

Wohnen im stadtzentrumnahen Grünen, wo Kinder auf der Straße spielen können …

Schon Ende 1932 wurden die ersten Holzhäuser in der Karlsruher Hardecksiedlung bezogen. (Foto: Falkenberg-Chronik)

… wo (fast) jeder jeden kennt, wo in den Gärten noch ordentliche Mengen Obst und Gemüse geerntet werden – gibt es das? Ja, das ist die Karlsruher Hardecksiedlung. Begleiten Sie mich auf eine geschichtliche Entdeckungstour …

1979 zog ich aus beruflichen Gründen nach Karlsruhe und wohnte erst in Knielingen, dann in der Innenstadt, bis wir bauen wollten und uns ein Grundstück in der Hardecksiedlung angeboten wurde. Hardecksiedlung? Wo ist das denn? Es stellte sich heraus, dass wir zwar oft mit dem Fahrrad durch dieses Viertel gefahren waren, der Name uns aber nicht bekannt gewesen war.

Knapp zwei Kilometer vom Karlsruher Stadtkern entfernt liegt die Hardecksiedlung, grob betrachtet zwischen der heutigen Südtangente und der Pulverhausstraße. Das reine Wohnviertel verdankt seine Entstehung der Wirtschaftkrise 1929 und der damals sehr hohen Arbeitslosigkeit. Im Jahre 1931 entschloss sich dann die Stadt Karlsruhe, am Rande der Stadt ein Siedlungskonzept im Rahmen der „Brüningschen Notverordnung“ zu verwirklichen. Hintergrund der Maßnahmen waren die Fürsorge für kinderreiche Familien und die Beseitigung der Wohnungsnot. Bei der Planung des Vorhabens gab es viel Kritik ob der entstehenden Kosten für die Stadtkasse und des „Fiaskos der Karlsruher Ostsiedlung“.

Lage und Anordnung der Häuser (Planfeststellung 1960)

Für 100 Familien sollte hier Wohnraum entstehen. Vier unterschiedliche Musterhäuser waren zunächst erstellt: „Innerhalb des Grundstücks werden die Häuser immer in gleicher Weise nach Sonne, Wing, Zugang und Garten orientiert […] und kosten in Serienherstellung 2800 Mark. Durch die Mitarbeit des Siedlers lassen sich die reinen Baukosten auf 2050 Mark herunterdrücken, so daß bei dem zur Verfügung gestellten Höchsbetrag [Darlehen] von 2500 Mark bei jedem Haus für Wege, Stallausbau und Hühnerlovi, Garten, lebendes und totes Inventar noch 450 Mark zur Verfügung bleiben. Wenn der Siedler über das normale Maß Arbeit zu leisten vermag, dann wird auch […] der Ausbau eines dritten Schlafraums möglich“, heißt es in der Zeitung Volksfreund vom 23. April 1932. Bauausführung dieser Einfamilienhäuser: Holzfachwerk, Stulpschalung, Lehmwickel, Innenschalung und Ziegeldach.

Baubescheid vom April 1932

Die Musterhäuser konnten im April 1932 an zwei Sonntagen besichtigt werden. Erwartungsgemäß gab es mehr als 100 Bewerberfamilien, so dass schließlich ausgelost werden musste, wer von dem Konzept profitieren würde. Am 23. Mai 1932 erfolgte der erste Spatenstich, und schon Ende August desselben Jahres waren die Häuser fertiggestellt: „Daß diese Siedlung in so kurzer Zeit fertig gestellt wurde, ist der beste Beweis dafür, mit welcher Lust und Freude, mit welchem Eifer die hundert Siedler hier gearbeitet haben, um möglichst rasch ein eigenes Heim zu bekommen […] Die Häuschen machen einen sehr guten Eindruck. Es sind zwar einfache, aber gesunde Wonhstätten mit einer schönen Wohnküche, zwei Schlafräumen, einem Lagerraum, einem Kleintierstall und sonstigem Zubehör“, schreibt am 27. August 1932 die Zeitung Badische Presse.

Doch die Bauphase war alles andere als einfach gewesen: „Als wir 100 Siedler Ende Mai [1932] mit der Arbeit anfingen, uns unser Haus selbst zu bauen, haben wohl die meisten unter uns sich die Arbeit leichter vorgestellt, als sie in Wirklichkeit war. Da nur wenige Siedlerkameraden Leute vom Fach waren, mußte sich jeder auf die ungewohnte Arbeit umstellen. […] Durch die niedrigen Unterstützungssätze standen Arbeit und Beköstigung in einem krassen Gegensatz zueinander, nur der Gedanke an das Ende der Arbeit ließ uns körperlich aushalten. Und ausgehalten haben wir alle. Alte und Junge. Wir haben die schlanke Linie ohne Massage und Sport bekommen und manche runde Körperfülle, die hie und da noch aus besseren Zeiten vorhanden war, ging flöten“, erinnerte sich ein ehemaliger, inzwischen verstorbener Siedler Mitte der 1980er Jahre in einer Chronik.

Richtfest im August 1932 (Foto: Chronik Falkenberg)

Der eigentliche Grundgedanke der damaligen Stadtrandsiedlungen war, den Siedlern eine Lebensgrundlage zu geben. Dass dies in früheren Siedlungsprojekten – nicht nur in Karlsruhe – angesichts der Arbeitsnot und der hohen Kinderzahl je Familie gescheitert war, hielt die Stadt Karlsruhe damals jedoch nicht davon ab. Eine ehemalige Siedlerin schrieb 1972 zum 40. Jubiläum der Hardecksiedlung: „Dem Grundgedanken […] wäre mit dem Haus allein nicht gedient. Wir haben daher einen großen Garten erhalten, zu dem aber noch Land in unmittelbarer Nähe zugepachtet werden kann. Außerdem das nötige Kleinvieh. Es ist für den Haushalt bereits eine Entlastung, wenn durch die eigene Ziege die Ausgaben für Milch eingespart werden und der Betrag für andere lebensnotwendige Dinge verwertet werden kann. Der durch die Viehhaltung anfallend Dung wird im Garten verwertet“. Siedlerin K. Weber erzählte, dass jede Familie einen Apfelbau, einen Birnbaum und einen Kirschbaum erhielten. Viele dieser Bäume sind heute noch auf den Grundstücken – auch nach der Neubebauung – erhalten. Auch in unserem Garten wachsen ein paar Obstbäume aus den alten Zeiten. Der sehr große Garten wurde für Obst- und Gemüseanbau genutzt, die Erzeugnisse eingemacht und über den Winter sparsam verzehrt. Hühner legten Eier, aus eigenen Trauben wurde etwas Wein hergestellt, die Ziege gab Milch, Gänse und Hasen wurden zu besonderen Anlässen geschlachtet oder aber verkauft.

Die Hardecksiedlung erhielt im Volksmund den Namen „Holzsiedlung“, zum einen weil die 100 Siedlungshäuser aus Holz gebaut wurden, zum anderen weil die Namen der Zufahrtswege (der heutigen Straßen) Baumnamen trugen: Eichenweg, Tannenweg (der 1976 wegen der Eingemeindung des Stadteils Neureut zum Espenweg wurde), Forlenweg (der 1976 aus den gleichen Gründen zum Rüsterweg wurde), Ahornweg usw.

Nur noch wenige Häuser aus der Gründungszeit 1932 sind noch vorhanden.

Von den alten Holzhäuschen sind in der Hardecksiedlung heute nicht mehr viele da, allerdings sind die meisten Bewohner des Viertels immer noch die Enkel der damaligen Siedler; sie renovierten die alten Behausungen entweder komplett und statteten sie mit einer Zentralheizung aus oder sie rissen sie ab und bebauten das Grundstück neu. Der Charakter der Einzelhäuser ist jedoch auch bei Neubauten erhalten, da keine Reihenhäuser zugelassen werden und ausschließlich eineinhalbstöckige Häuser gebaut werden dürfen. Wenige Kinder oder Enkel der Siedler haben verkauft – verständlich, wenn man bedenkt, dass es in Karlsruhe und auch in anderen Städten kaum fast 1.000 qm große Grundstücke in einem so ruhigen, verkehrsgünstig gelegenen und absolut stadtzentrumnahen Viertel gibt. Die Teilung der Grundstücke ist übrigens nur dann erlaubt, wenn das einzelne Teilstück mindestens 600 qm hat, was bei einer Gesamtfläche von knapp 1.000 qm nicht erreicht wird. Und der vorhandene Baumbestand sowie die Grundstücksgröße macht aus jedem Anwesen eine Oase.

 

Altes Häuschen im Rüsterweg aus der Gründerzeit der Siedlung 1932

1989 bauten wir („Zugezogene“) auf einem Grundstück im Eichenweg, auf dem das alte Häuschen schon längst nicht mehr vorhanden war. Anfangs wurde ich, die lange in der Karlsruher City gewohnt hatte, morgens wach, weil es so still war. 2010 erwarben wir im Rüsterweg ein zweites Grundstück, auf dem allerdings eines der alten Siedlerhäuser (mit Anbau aus 1961) stand.

 

 

 

Beim Abriss des alten Häuschens von 1932 wurde die Bauweise erkennbar.

Auf meinen Gassistreifzügen durch die Straßen der Hardecksiedlung begegne ich immer wieder den Nachfolgern der damaligen Siedler, und gerne höre ich mir die von ihren Großeltern oder Eltern überlieferten Geschichten aus alten Zeiten an. Man kennt sich, man hilft einander, man schaut nach den älteren Leutchen, die nicht mehr mobil sind, aber man lässt den anderen auch leben, wie er mag. Auch heute wird noch viel Gemüse in den Gärten der Siedlung angebaut: So bekommen wir hin und wieder Kopfsalat, Tomaten, Salatgurken, grüne Bohnen, Kirschen u.v.m. geschenkt. Die eine oder andere liebe Nachbarin versorgt uns mit selbstgemachten Maultaschen, Rhabarberkuchen und Erdbeerbiskuitrolle. Und dann wird es noch ein paar Tomatenstöcke geben – der Rest ist mit Blumen und Bäumen bepflanzt.

Die „Hardeck“ ist uns, meinem Mann und mir, sehr ans Herz gewachsen – einen besseren Wohnort können wir uns gar nicht vorstellen: ein kleines freundliches Paradies im Grünen, keine 10 Fußminuten vom Wald auf der einen Seite und keine 10 Fahrrad- oder StraBa-Minuten von der City auf der anderen Seite entfernt.

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