Beschäftigung für Demenzkranke
Unruhe und rastloses Umherwandern sind für Demenzkranke typisch. Auch die Hände sind ständig in Bewegung. Eine Möglichkeit, diese Unruhe zu kanalisieren, stellen sog. Twiddle Muffs oder Sensorik-Teile dar.
English version by Heather McCrae here. Thank you, Heather.
An Demenz bzw. Alzheimer erkrankte Menschen sind unruhig, ihre Hände ständig in Bewegung. Die Patienten kneten ihre Hände, knöpfen ihre Jacke immer wieder auf und zu, spielen mit einem Taschentuch oder einem Zipfel ihres Ärmels, lesen Fäden auf, streichen die Tischdecke glatt … und – schlimmer – zupfen an ihrer Haut mit der Gefahr, sich weh zu tun.
Eine interessante Möglichkeit, die unruhigen Hände der Patienten zu beschäftigen, sind sog. Twiddle Muffs, auf die mich meine liebe Kollegin Heather McCrae, Übersetzerin in der Sprachkombination Deutsch-Englisch, vor wenigen Wochen aufmerksam gemacht hat.
Der Begriff „twiddle“ kommt aus dem Englischen und bedeutet in diesem Zusammenhang herumzupfen, herumfingern, nesteln – ebenso wie das englische Verb „fiddle“. Ein deutscher Begriff hat sich, soweit ich das feststellen konnte, noch nicht durchgesetzt.
Was sind Twiddle Muffs oder Twiddle Blankets, also „Nestelmuffs / Nesteldecken“?
Ob Muff, Decke oder Kissen ist im Prinzip unwichtig – Hauptsache das Teil weist viele kleine Dinge auf, die den Patienten dazu veranlassen, sich damit zu befassen, daran herumzuzupfen, ein Täschchen mit Knopf auf- und zuzuknöpfen, unterschiedliche haptische Erfahrungen zu machen, weil ein glattes Muster oder Stück Stoff und ein Reliefmuster (z. B. das gehäkelte Krokodilmuster) sich mit unterschiedlichen Garnen – Wolle, Baumwolle, Noppenwolle, Mohair, Bändchengarn, Fransengarn u.v.m. – abwechseln.
Neues zu lernen, ist für Demenzkranke kaum noch möglich, Bekanntes kann jedoch geübt und erhalten werden. Mit den Sensorik-Teilen sind den unruhigen Händen Alternativen gegeben, vertraute Handlungen werden ermöglicht, die rastlosen Finger sind beschäftigt, die Muskulatur wird ein wenig trainiert (beispielsweise mit angebrachten Gummiteilen und Reißverschlüssen, an denen gezogen werden kann), die Sinne werden aktiviert, indem zum Beispiel ein kleines Glöckchen, das vom Oster-Schokohasen übrig ist, oder ein Tüllsäckchen mit Lavendelblüten oder einem Rosmarinzweig mit eingearbeitet werden. Und zudem werden die oft kalten Hände gewärmt.
Da diese wunderbare Idee aus den USA und Großbritannien kommt, gibt es zahlreiche englischsprachige Anleitungen und Videos auf YouTube. Ich habe eine deutschsprachige Anleitung verfasst für alle diejenigen, die ein solches „Twiddle-Ding“ herstellen wollen: Twiddle-Muff / Hapti-Muff / Sensorik-Muff stricken oder häkeln.
In meinen (ehrenamtlichen) Kontakten zu Pflegeheimen in Karlsruhe, Mannheim, Schwetzingen und Heidelberg konnte ich erfahren, dass solche Sensorik-Teile bei Patienten sehr beliebt sind und vom Pflegepersonal sehr gerne eingesetzt werden, die Preise für recht bescheidene Ausführungen jedoch zu hoch seien, da jeder Patient sein eigenes „Twiddle-Ding“ besitzen sollte. Weltweit stellen Frauen sozusagen ehrenamtlich solche Teile her und übergeben sie an Pflegeheime – warum nicht auch in Deutschland? Wer gerne Handarbeiten macht, kann es probieren – es ist einfach, macht Spaß, fördert die eigene Kreativität und es ist für einen guten Zweck. Aber Vorsicht: Man wird danach süchtig und kommt auf immer neue Ideen.
Ein kleines Tüllsäcken gibt dem Patienten die Möglichkeit, das Foto eines lieben Menschen immer dabei zu haben. Ein Stück Klettverschluss aktiviert auch das Gehör. Für männliche Patienten können beispielsweise zusätzlich alte Schlüssel und Schlüsselringe, Muttern und Unterlegscheiben eingearbeitet werden.
Selbstverständlich können Twiddle-Teile auch genäht werden, zum Beispiel aus Fleece-Decken, die überall günstig zu kaufen sind. Aus einer solchen Decken können etwa 8 bis 10 Muffs hergestellt werden (Stoff liegt doppelt). Darauf dann Reststücke unterschiedlicher Stoffarten aufnähen, mit Knöpfen und anderen Nestelgegenständen bestücken – fertig! Wer einen Kürschner in der Nähe hat, bekommt dort sicher kostenlos Fellreste, die dem Patienten beim Darüberstreicheln ein wohliges Gefühl vermitteln. Auch kleinere Schneidereien geben bereitwillig ihre Stoffreste ab.
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Wer mehr über die Alzheimer-Krankheit und über Demenz erfahren will und auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu diesem Thema interessiert ist, liest diese Ausführungen hier.
Vielen Dank, Giselle, für diesen wertvollen Artikel, diese Twiddle-Teile waren mir vollkommen unbekannt!
Ein sehr schönes Buch mit Geschichten von demenzkranken Menschen ist „And Still the Music Plays: Stories of People with Dementia“ von Graham Stokes.
Danke für den Buchtipp. Auch ich habe erst vor kurzem von den Twiddle-Teilen erfahren. Habe heute Abend wieder 2 genäht – es macht richtig viel Spaß.