Neulich beim Discounter

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Neulich beim Discounter

Das wahre Leben beschert einem zuweilen Erlebnisse …

… die man sonst nur von Sketches mit Dieter Hallervorden oder Diether Krebs kennt. So ging es mir neulich, als ich beim Discounter war. Und bevor Sie sich das fragen: Ja, es ist  j-e-d-e-s einzelne Wort so gefallen … Zur Erinnerung: Ich lebe in Karlsruhe, also im Badischen.

Ich bin keine Kaffeetrinkerin. War ich noch nie. Aber werktags bilde ich mir ein, morgens etwas Koffeinhaltiges zu brauchen. Der einzige Kaffee, den ich trinken kann, ist der Körnles-Kaffee von ALDI Süd. Ich übersetze aus dem Badischen: der Instant-Kaffee, der mit dem roten Deckel. Kürzlich ging besagter Kaffee zur Neige, also musste ich ein neues Glas besorgen.

Es war Nachmittag, an einem extrem heißen Tag. Die Filiale war fast leer. Aber angenehm klimatisiert. Und da ich mit dem Fahrrad gekommen war, erholte ich mich dort ein wenig von der Hitze, tankte etwas kühle Luft für die Rückfahrt (1 km) und schlenderte an der Obst- und Gemüsetheke vorbei. Mein Blick fiel auf eine Cantaloupe-Melone, auch Charentais-Melone genannt. Eine einzige lag da ganz einsam. Ich wollte danach greifen, um zu „erriechen“, ob sie reif ist. Hierzu brachte ich die Melone in die Nähe meiner Nase und zwar an der Stelle, wo sich die dunkleren Nähte der Melone treffen, also am Stielansatz. Als Faustregel gilt: Ist ein aromatischer Duft wahrzunehmen, dürfte sie reif oder bald reif sein. Ist gar nichts zu riechen, braucht sie noch etwas Zeit. In keinem Fall sollte auf die Schale gedrückt werden, das verletzt die Frucht.

Kaum roch ich an der Melone, war eine kräftige Stimme hinter mir zu hören.

Losse Se die, die isch faul, sagte eine männliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah ihn, den Bilderbuchrentner aus meiner geliebten Wahlheimat Baden. Trägerhemd (bei über 40°C drücken wir ein Auge zu) über dem gepflegten Bierbäuchlein, kurze Hose aus den 1960er Jahren, nach der Kürze der kaum vorhandenen Hosenbeine und dem Schnitt zu urteilen, weiße Tennissocken und die klassischen braunen Sandalen mit überkreuzten Lederriemen über dem Fußrücken.

Ich fuhr reaktionslos mit meinem Riechtest fort.

Losse Se dess, die isch faul, sach isch …

Unbeeindruckt roch ich weiter an der Melone, deren herrlicher Duft an Urlaube in Südfrankreich erinnerte. Indes fuchtelte der Rentner-Adonis mit seinen Händen herum und sagte:

Äääh … Nischt gut … Nischt essen Melon …

Ich sah kurz zum ihm hinüber, sagte aber nichts. Verzweifelt drehte er sich um, sein Blick scannte die Aldi-Filiale … und dann schrie der gute Mann durch den Laden:

Agathe, wie sacht me denn faul uff Englisch?

Agathe befand sich nämlich vor dem Toilettenpapier, etwa 20 m vom fürsorglichen Rentner entfernt. Sichtlich verwirrt rief sie zurück:

Faul uff Englisch? Äh, dess wääß isch net … Duuuu guckst doch dauernd Fußball, gibst da net auch n Faul?

Der Rentner winkte ab, wenig erfreut über Agathes Einwurf, und wagte einen neuen Versuch in meine Richtung.

Madam, bassese uff, Melon perdü … pah mangsché …

Ich musste mich schon sehr beherrschen, zeigte jedoch keine Reaktion und legte die Melone in das mitgebrachte Einkaufsnetz.

Der Rentner bekam fast Schnappatmung und rief seiner sich inzwischen nähernden Agathe zu:

Die kaaft jetz die faul Melon, wirscht sähe, aber was soll isch mache … Sie versteht’s ja net.

Lass se doch, was geht disch dess aa, antwortete die gute Agathe.

Ich hatte Erbarmen und sprach ihn an, bedankte mich für den Hinweis und sagte ihm, dass die Melone entgegen seiner Überzeugung absolut top war – genau richtig. Ich erklärte ihm, wie man das erkennt und erwähnte nebenbei, dass wir Franzosen das auf dem Markt oder im Laden immer „erriechen“.

Er schaute skeptisch. Ich hielt ihm die Melone hin, er roch und meinte:

Isch hab immer gdenkt, wenn dess so süßlisch riecht, dann iss die Melon faul.

Nein, dann ist sie wunderbar reif.

Wolle Se die jetz kaafe?

Er wollte nach der Melone greifen, ich ließ das aber nicht zu, weil ich das Blitzen in seinen Augen gesehen hatte.

Ja, natürlich. Die esse ich heute Abend.

Sie allans?

Klar.

Und Sie kaafe die jetz?

Ja.

Ach so, meinte er enttäuscht, wann net, tät isch se kaafe.

Ich legte die Melone in mein Netz, bedankte mich bei dem alten Herrn und ging zur Kasse. Und in meinem Rücken sprach Agathe zu ihrem Angetrauten:

Siescht, jetz hätte mer ä toll Melon ghabt, du hascht ja kein Ahnung davu, du …

Ich glaube, für den Rest des Tages hing bei den beiden der Haussegen schief.

Die Melone schmeckte übrigens ausgezeichnet. 🙂

Für diejenigen, die sich einige badischen Wörter aneignen möchten, hier ein nettes kleines Online-Wörterbuch Deutsch-Badisch.

  1. Ich musste auch erst schmunzeln, aber dann habe ich nachgedacht und finde, dass der Mann ganz viel richtig gemacht hat, er verdient es nicht, dass man ihn belächelt: Er hat einer ihm fremden Person helfen wollen und hat sich richtig Mühe damit gegeben, hat sogar seine Fremdsprachenkenntnisse zusammengekratzt und ist richtig hartnäckig geblieben. Alles aus dem Wunsch heraus, jemand Fremdes vor einem (vermeintlichen) Fehler zu bewahren! Und zum Schluss hat er Offenheit bewiesen, denn er war bereit, seine bis dahin feste Meinung über das Melonenprüfen zu revidieren 😉

    • Ja, er ist mein Held der Woche gewesen, das gebe ich zu. 😉

  2. Liebe Giselle,

    ganz herzlichen Dank für die Schilderung dieser Begebenheit. Ich musste ganz herzlich und lange lachen. W U N D E R B A R!
    Ich liebe die regionalen Unterschiede innerhalb Deutschlands und deren sprachliche Ausfärbungen. Daher möchte ich an dieser Stelle gerne meine Lieblingsbegebenheit aus meiner Heimat Bonn (=tiefstes Rheinland!) weitergeben – erlebt von einer Freundin von mir, aber das spielt eigentlich keine Rolle…. Es geht darum, dass die Rheinländer so sehr ihr Gerundium lieben, eine Wortform, die in anderen Teilen Deutschlands bereits mehr oder weniger ausgestorben ist 😉

    Eine Freundin von mir hatte ein Hallenbad in Bonn besucht zwecks Schwimmtraining. Sie hatte also schon etliche Bahnen im Wasser hinter sich, hatte sich etliche „bönnsche“ Konversationen von stehend-schwimmenden Damen anhören dürfen, um dann ihr sprachliches „Waterloo“ in der Umkleidekabine zu erleben. Dort hört sie aus einer Nachbarkabine die folgende Unterhaltung:
    Dame 1: Helgaaaa, wo bisse? Ich bin schon fäddisch!
    Dame 2: Nä, bin jleisch fäddisch, ich binn misch grad noch „an am ziehen“…..!!!!

    Es hat uns echt umgehauen, damals wie heute! Sehr erfinderisch und sicherlich treffend. Für weitere rheinländische Auswüchse empfehle ich den Kabarettisten Konrad Beikircher – jeder Vortrag von ihm ist ein echter sprachlicher Leckerbissen.

    Ich wünsche noch einen angenehmen Arbeitstag und freue mich schon auf die nächsten „Schmankerl“ aus Ihrem „Wissenswinkel“.

    Herzliche Grüße
    Susanne Schartz-Laux

    • Liebe Susanne,
      herzlichen Dank für diese erfrischende Anekdote aus dem Rheinland. Ja, ich liebe auch Dialekte und Dialektfärbungen, die Formulierung „ich bin mich am Kämmen/Anziehen“ finde ich klasse. 🙂
      Hier auf Rüsterweg wird es sicher noch das eine oder andere Schmankerl geben, wohingegen der Wissenswinkel eine ziemlich trockene Wissensdatenbank ist. 😉
      Herzliche Grüße
      Giselle

  3. Ausgesprochen nette Geschichte. Ich habe sehr gelacht und, ob man das glaubt oder nicht, alles verstanden! ;o) Jedenfalls vielen Dank für das Veröffentlichen, liebe Giselle!

    • Danke, liebe Helena. Dass du alles verstehst, ist doch klar. Du lebst doch in Franken – da sind die Ohren auch an Dialekt gewöhnt. Das Fränkische gefällt mir übrigens auch sehr gut.

  4. Herrlich, einfach erfrischend Ihr äußerst amüsanter Beitrag zum Alltagsirrsinn bei diesen Temperaturen. Sehr fein von Ihnen finde ich – Verzeihung, der Engländer in mir besiegt gelegentlich meine deutschen, well schwäbisch geborenen Seelenanteile – nach gerade britisch Ihre Zurückhaltung, nicht an Adoni’s „Melone“ gerochen zu haben, um etwa deren Frische zu checken, non, ça va pas du tout, ich wollte selbstverfreilich sagen: zu überprüfen :-). Empfinde jeden Beitrag Ihres Blogs als stets seh lesenswert, im besten Sinne informativ und bereichernd. Wünsche uns allen bald ein wenig Abkühlung und noch eine gute und auftragsreiche Woche u. den Urlaubenden eine erholsame Zeit. HG von Kilian aus München.

    • Vielen Dank, Kilian. Am schwersten fiel mir die Zurückhaltung, als der gute Mann seiner Agathe quer durch den Laden zurief: „Was heeßt’n faul uff Englisch?“. Ich dachte, ich müsste gleich losprusten. Ja, man erlebt schon so einiges im Alltag, das stimmt.
      Danke auch für Ihr Lob und die Anerkennung bezügl. meiner Blogbeiträge – das freut mich. Übrigens sind es bei uns heute um 7 Uhr schon 28°C gewesen, jetzt (10:22 Uhr) sind wir bei 33°C und einer kaum erträglichen Schwüle. Zum Glück habe ich Klimaanlage im Haus.
      Ihnen auch eine gute Zeit und bis bald.
      Herzliche Grüße
      Giselle

  5. Liebe Giselle,
    nachdem ich über Ihre nette Geschichte ausgiebig gelacht hatte, machte ich mir Gedanken über den offensichtlichen Pseudoanglizismus Discounter und muss feststellen, dass zumindest die Kontinentalfranzosen, was ihre Sprache anbetrifft, geistig ebenso träge geworden sind wie wir Deutschen. Wir übernehmen einfach den fremden Ausdruck und kommen uns dabei noch furchtbar gebildet vor.

    Von den Frankokanadiern wissen wir dagegen, dass sie für den Erhalt ihrer Sprache kämpfen. So schlägt z.B. Termium Plus vor, soldeur oder auch discompteur zu verwenden. Vermutlich würde man mich in Frankreich jedoch etwas komisch angucken, wenn ich nach einem soldeur fragte.

    Herzliche Grüße von Jürgen aus der Region Hannover.

    • Lieber Jürgen,
      zunächst möchte ich sagen, dass ich mich aufrichtig freue, Ihre Zeilen zu lesen.
      Ja, der Begriff Discounter gefällt mir ganz und gar nicht – weder im Deutschen noch im Französischen.
      Allerdings finde ich „soldeur“ nicht besonders prickelnd. FranceTerme schlägt „discompteur“ vor, das kommt dem „Discounter“ schon näher.
      Ich hoffe, Sie müssen nicht unter der großen Hitze wie hier in Karlsruhe leiden. Wir haben 36,5°C und es hat seit Wochen nicht geregnet.
      Herzliche Grüße, Giselle

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