Übersetzer und Dolmetscher

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Übersetzer und Dolmetscher

sind unterschiedliche Berufsbilder.

Eigentlich weiß das doch jeder, dachte ich, als mir von André Lindemann, ehemaliger Präsident des größten deutschen Verbandes für Dolmetscher und Übersetzer BDÜ, vorgeschlagen wurde, die „Welt über den Unterschied zwischen Übersetzen und Dolmetschen so aufzuklären, dass es keiner mehr verwechselt“. In Ordnung. Packen wir’s an!

Vor drei Monaten war ich wegen einer Zeugenaussage bei der Polizei. Die Frage nach dem Beruf beantwortete ich wahrheitsgemäß mit „Diplom-Übersetzerin“. Daraufhin entgegnete der Polizist: „Aha, und da waren Sie noch nicht bei uns zum Dolmetschen?„.

So oder so ähnlich haben viele meiner Kolleginnen und Kollegen feststellen müssen, dass Herr oder Frau Mustermann den Unterschied zwischen Übersetzern und Dolmetschern nicht kennt. Aber: Ist das tatsächlich der Fall? Ich machte die Probe aufs Exempel: Vor etwa zwei Wochen habe ich beim Gassigehen mit Filou,  in der Straßenbahn, beim Friseur oder beim Einkaufen im Supermarkt bewusst Menschen „wie du und ich“ angesprochen, sie gefragt, ob sie mir bei einer Untersuchung helfen wollen, und folgende Fragen gestellt:

  • Was macht ein Übersetzer?
  • Was macht ein Dolmetscher?

Befragt habe ich genau 63 Personen, alles Menschen, die mir nicht bekannt waren – Zufallsbegegnungen. Auf die beiden o.g. Fragen antworteten 60 Personen: „übersetzen“. Lediglich 3 Personen sagten sinngemäß: „Ein Übersetzer übersetzt schriftliche Texte und schreibt die Übersetzung auf, ein Dolmetscher übersetzt mündlich“, alle 3 nannten auf meine Rückfrage als Beispiel spontan: Rede im Europaparlament, Staatsbesuch und Interview eines Leistungssportlers am Ziel. So weit, so gut.

Bei den 60 Personen, die einfach nur „übersetzen“ geantwortet hatten, habe ich immer insistiert – und zwar genau mit folgendem Wortlaut:

– Wie „übersetzen“? Wenn sie dasselbe machen, gibt es also zwei Bezeichnungen für ein und denselben Beruf?

Von diesen 60 Personen antworteten 57 mit einem „klar, das ist dasselbe“. Die anderen 3 sagten sinngemäß: „Nein, das ist nicht derselbe Beruf, aber sie übersetzen halt, die einen schriftlich, die anderen mündlich“. Aha. Als ich dann nachfragte, warum man beide Berufe sozusagen in denselben Topf werfe, sagte ein Herr wörtlich: „Na, das ist wie beim Maler: Der eine streicht die Wände im Haus an, der andere verputzt die Außenwände. Aber streichen tun sie beide“. Oha.

Wäre meine kleine Umfrage repräsentativ, dann wären rund 90 % der Befragten davon überzeugt, dass Übersetzen und Dolmetschen „dasselbe“ ist, woraus Herr Ottonormalverbraucher schließt, dass ein Übersetzer ohne weiteres dolmetschen kann und ein Dolmetscher ebenso problemlos Schriftliches in die Zielsprache übertragen kann – selbstverständlich in allen Fachgebieten kreuz und quer, aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Nun zur Klärung für Laien, also für Frau oder Herrn Mustermann, die keine Berührungspunkte mit diesen Berufsbildern haben – außer vielleicht wenn sie am Samstagabend die Sportschau bzw. Wetten, dass im Fernsehen anschauen:

Ein Übersetzer übersetzt Schriftliches, also Dokumentationen, Handbücher, Urkunden, Websites, Romane, Sachbücher und vieles mehr, von der einen in die andere Sprache. Das Ergebnis ist ein schriftlicher Text, in der heutigen Zeit in der Regel eine Datei. Der Übersetzer vereinbart einen Abgabetermin für die Übersetzung und arbeitet am PC. Da der Übersetzer den Ausgangstext entweder als Datei oder in Papierform vorliegen hat, kann er ihn immer wieder heranziehen, um die Übersetzung anzufertigen, und sich auch die Zeit nehmen, Fachbegriffe zu recherchieren.

Ein Dolmetscher überträgt Gesagtes direkt vor Ort, z.B. die Rede einer Person vor Publikum. In diesem Fall sitzt der Dolmetscher entweder in einer Kabine und dolmetscht simultan, also zeitgleich (eigentlich ganz wenige Sekunde zeitversetzt – man kennt das vom Fernsehen, z.B. in Sendungen wie Wetten dass?, Sportschau usw.), oder er steht neben dem Redner und überträgt jeweils abschnittsweise das, was er sich mittels guter Notizentechnik aufgeschrieben hat. Das nennt man Konsekutivdolmetschen. Bei Staatsbesuchen zum Beispiel, wie kürzlich als ein chinesischer Politiker in Deutschland war und hinter ihm und Frau Merkel ein Dolmetscher stand, der das Gesagte ins Ohr „seines Auftraggebers“ geflüstert hat, nennt man das Flüsterdolmetschen oder Chuchotage (vom Französischen chuchoter = flüstern). „Dolmetscher helfen dort bei der direkten Verständigung, wo Menschen nicht dieselbe Sprache sprechen. Wir müssen neben der Sprache viele weitere Dinge wissen und können. Wenn am Ende alle sagen: ‚Es war ja ganz so, als hätten wir direkt kommuniziert‘, war die Arbeit wohl gut“, erklärt Dolmetscherin Caroline Elias, eine von mir hochgeschätzte Kollegin (da sie auch übersetzt, darf ich sie wohl Kollegin nennen), die auf ihrem Blog interessante und spannende Einblicke in ihren Berufsalltag gewährt. Der Dolmetscher hat vor Ort, also im Einsatz, keine Zeit, Fachbegriffe oder auch generell Wörter zu recherchieren, da der Redner darauf wie auch auf sein eigenes Sprechtempo keine Rücksicht nimmt. Das Dolmetschen wird gezielt dahingehend trainiert. Ist das Thema bekannt, kann sich der Dolmetscher vor seinem Einsatz vorbereiten – aber er ist nie davor gefeit, dass doch der eine oder andere ihm unbekannte Begriff vom Redner verwendet wird.

Ich hatte in früheren Jahren etliche Male Gelegenheit, die großen Chefs meines ehemaligen Arbeitgebers zu dolmetschen: François Michelin und seinen 2006 verstorbenen Sohn Edouard Michelin sowie einige Herren des Vorstands, bei besonderen Events manchmal über ganze Tage. Ich habe keine Dolmetschausbildung, fand es daher immer sehr anstrengend und habe deshalb großen, sehr großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen aus der Dolmetscherfraktion – ganz zu schweigen vor denen, die in Krisengebieten unter Einsatz ihres Lebens tätig sind. Chapeau!

Caroline Elias bringt es übrigens genau auf den Punkt: 

“Übersetzen ist Handwerk, Dolmetschen ist Mundwerk.“

Vielen herzlichen Dank, liebe Caroline, für die Bereitstellung des Fotos.

  1. Liebe Giselle,

    vielen Dank für die Erklärungen. Wer es noch einfacher braucht, sieht sich am besten den kleinen Trickfilm (1 min) an, den der BDÜ zum Weltübersetzertag 2014 in seiner Mediathek veröffentlicht hat: bdue.de/fuer-presse-medien/mediathek/.

  2. Liebe Frau Chaumien,
    Ihr Blog ist wunderbar! Ich lese ihn oft und gerne mit. Ihre „Aufklärung“, in welchem der beiden Berufe ‚Dolmetscher‘ und ‚Übersetzer‘ welche Tätigkeiten ausgeübt werden, können sich alle, die Übersetzungs- oder Dolmetschaufträge vergeben, anhand der Beispiele sicherlich gut merken. Falls nicht, kann die zusammenfassende Feststellung von Caroline Elias 

”Übersetzen ist Handwerk, Dolmetschen ist Mundwerk.” als Eselsbrücke dienen. Hoffentlich 😉
    Machen Sie weiter so!

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