Was fehlt Ihnen denn?

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Was fehlt Ihnen denn?

Sehnsucht nach Frankreich

Nicht selten werde ich von „neuen“ Bekannten oder auch Fremden, die erfahren, dass ich Französin bin, gefragt: „Fehlt Ihnen Ihre Heimat? Was vermissen Sie denn?“. Darauf gibt es so viele Antworten wie Tage im Jahr.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich fühle mich in Deutschland und speziell in Karlsruhe … sauwohl. Und möchte meinen Wohnsitz an keinen anderen Ort der Welt verlegen. Auch nicht nach Frankreich. Und dennnoch: Ein „bisschen was“ fehlt mir trotzdem. Nicht das Leben im Alltag oder das Arbeiten in Frankreich. Nicht die umständliche Bürokratie der Franzosen, die Kompliziertheit mancher Prozesse oder Vorgänge. Nicht die „banlieues“, diese sozialen Brennpunkte mit dem herumliegenden Unrat, den keiner aufhebt. Nicht die chaotische Fahrweise der Einwohner des Pariser Stadtkerns, die die exklusive „75“ auf ihrem Nummernschild tragen. Nein, mir fehlt auch nicht die fallweise sehr theoretischen Lehrprogramme in der Ausbildung von Fremdsprachenkorrespondenten oder Übersetzern, die trotz „Bac+3“ oder „Bac+4“, also Abitur und 3 bzw. 4 Jahre Studium, nicht in der Lage sind, sich fehlerfrei in Deutsch zu unterhalten geschweige denn zu schreiben.

„Ja, was fehlt Ihnen denn?“, werde ich gefragt.
Was mir fehlt, sind immer nur Kleinigkeiten, erlebte Momente, besondere Begebenheiten, spezielle Verhaltensweisen meiner Landsleute, liebenswerte Charakterzüge und … das eine oder andere „Produkt“, das es hier in Deutschland nicht im Supermarkt zu kaufen gibt.

So vermisse ich die Nähe im Umgang, die sich auch in der Gepflogenheit niederschlägt, einander zwei, drei oder vier Mal zu küssen, wenn man sich trifft. In Deutschland bleibt man auf Distanz und berührt einander nicht. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel.

Was mir so im Alltag fehlt? Carambar, Malabar und Eau de Javel. Carambar sind längliche Caramel-Kaubonbons, echte Plombenzieher, die in gelbem Papier mit pinkfarbener Schrift eingepackt sind, auf dem bis vor kurzem innen noch ein Witz oder ein Rätsel gedruckt war.
Malabar ist ein Kaugummi des Typs „Bubble gum“, rosa, die reine Chemie… Ich bin eigentlich kein Kaugummikauer, aber der Geschmack und der Geruch von Malabar wecken in mir ganz tief verborgene Erinnerungen an meine Schulzeit in Frankreich.
Und Eau de Javel – ein „must have“ für jede französische Hausfrau, das dem deutschen Dan Klorix nahe kommt. Eau de Javel wird eigentlich in jeden Waschgang mit weißer Wäsche gegeben – damit es noch weißer wird. Ein Rotweinfleck auf dem Damasttischtuch? Kein Problem. Eau de Javel lässt es verschwinden.
Bei allen drei hier genannten Produkten wird der jeweils ganz spezielle Geruch sofort in dem Moment lebendig, in dem ich darüber schreibe. Ich kann Carambar und Malabar in Gedanken schmecken und Eau de Javel an meinen Händen riechen… Ein echt gelungener Proust-Effekt.

Natürlich ist es für mich kein Problem, von Karlsruhe aus schnell mal mit dem Auto ins Elsass zu fahren und mich mit diesen und anderen Produkten einzudecken. Ein Katzensprung. Und für die, die weiter weg wohnen, gibt es auch noch den Versandhandel im Internet, wie Mes Courses en France zum Beispiel.

Vor zwanzig Jahren etwa fuhr man von Karlsruhe aus nach Frankreich, um mit einem Kofferraum voll Leckereien und anderen Dingen wieder nach Hause zu kommen: Zu den drei genannten Produkten gesellten sich dann ein paar Flaschen sirop de grenadine et de menthe (Granatapfelsirup und Minzesirup), biscuits LU (Kekse, die ähnlich wie deBeukelaer aussehen, aber ganz anders schmecken), Charentais-Melonen und petits pains au chocolat und vieles mehr. Heute ist fast alles fast überall erhältlich, und wir in Karlsruhe haben sogar das große Glück, dass der elsässer Traditionsbäcker La Minzbrueck aus Trimbach jeden Tag nach Karlsruhe fährt, um seine leckeren pains au chocolat, éclairs, tartes und natürlich sein einmaliges baguette  an den Mann und die Frau zu bringen. Einschließlich sonntags. Und so bilden sich tagtäglich vor den Ständen des Bäckers La Minzbrueck Schlangen, wie sie wahrscheinlich nur in schlechten Zeiten vor 50 oder 60 Jahren zu sehen waren.

  1. Sehr toller Artikel! Meinetwegen ist die Heimat, wo man sich zu Hause fühlt. Das haben viele Leute nicht bemerkt. Denn sie leben noch in unglücklichen Umständen, statt ein Leben irgendwoanders zu machen.

    • Danke. Ich fühle mich als Französin sehr wohl in Deutschland. Nun wohne ich ja auch nicht sehr weit weg von der französischen Grenze.
      Aber Kleinigkeiten aus der Heimat sind immer etwas Schönes.

  2. Wenn wir in Frankreich sind, nehmen wir uns immer Fleur de Sel und Gros sel mit. Dazu Cidre, Créme de marrons, Pâté Hénaff und Salsifis (in Dosen). Carambar in allen Varianten auch gerne sowie Crunch. UND: Créme de caramel…
    Die Butter mit Meersalz-Kristallen gibt es zum Glück auch mittlerweile in Deutschland. Davor haben wir immer mehrer Packen importiert und eingefroren. Denn ohne könnte der monsieur nicht frühstücken 🙂

    • Hallo Little B., das entspricht ungefähr meiner Liste der Dinge, die ich in La belle France kaufe – bis auf Cidre, denn den gibt es hier in Deutschland zu kaufen. Die gesalzene Butter ist ganz hervorragend, allerdings esse ich sie nicht zum Frühstück. 🙂

  3. Liebe Kollegin,

    französisch gehört leider nicht zu meinen Sprachen, aber den Blog lese ich trotzdem immer gern.
    Von Eau de Javel hatte ich trotz vieler Frankreichaufenthalte noch nie gehört, was daran liegen mag, dass ich im Urlaub keine Wäsche mache.
    Nun habe ich es vor einigen Tagen zufällig bei dm entdeckt und gleich getestet. Prima!
    Wer hätte gedacht, dass bei einem Übersetzerblog Haushaltstipps abfallen. 😉

    • Liebe Tatjana, liebe Kollegin,
      vielen Dank für diese Info – wieder etwas, was ich hier in Deutschland kaufen kann. Ich freue mich über das Lob für meinen Blog.
      Herzliche Grüße aus dem Rüsterweg, Giselle

  4. Ich lebe auch sehr gerne in Deutschland, habe meine Familie hier und mit jedem Jahr, in dem ich hier wohne, fällt mir die Vorstellung, zurück nach Spanien zu gehen, immer schwerer. Und dennoch gibt es ein paar Dinge, die ich hier schon vermisse. Dass man zum Beispiel selbstverständlich (Leitungs)wasser beim Essen trinkt. Das ist nach wie vor nicht die Norm, sondern das Sprudelwasser. Parallel dazu gibt es in den deutschen Städte keine öffentlichen Brunnen, aus denen man trinken kann. Das ist mir auch ein Rätsel, beim hervorragenden Wasser, das dieses Land hat.

    Oder die horchata, die Milch aus Erdmandeln (Erdmandeln gibt es gemahlen in Reformhäusern, aber die Milch daraus nicht). Oder der Minzsirup, den man im Sommer mit Wasser trinkt. Das habe ich mal in Frankreich auch getrunken. Da war ich echt froh! 🙂

    • Liebe Montserrat, danke für diese Gedanken. Ja, der Minzsirup, der schmeckt wirklich gut. Die horchata kenne ich leider nicht. Leitungswasser trinke ich hier in Deutschland täglich – schmeckt sehr gut… und ich lebe noch (gut). 😉

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