Von der Gabriele zum PC

1978 schrieb ich meine Diplomarbeit – ja, so hieß das damals. Da ich als Französin als erste Fremdsprache Deutsch nehmen musste, war am Fachbereich Angewandte Sprachwissenschaften (FASK) – ja, so hieß das damals – der Johannes-Gutenberg-Universität in Germersheim das GI, das Germanistische Institut, der Anlaufpunkt. Das Thema, das mir zugewiesen wurde, lautete: „Die Dramensprache des späten Bertolt Brecht“. Na ja. Getippt habe ich die rund 70-80 Seiten auf einer natürlich nicht elektrischen Triumph Gabriele 12. Echt mühsam. Ein Tippfehler, und ich musste die ganze Seite neu schreiben. Selbst Tipp-ex gab es damals noch nicht.
Tippen oder Pathologie
Mit der Gabriele habe ich auch – noch während des Studiums – meine ersten freiberuflichen Übersetzungsaufträge abgewickelt, sprich getippt. Schließlich musste ich mein Studium finanzieren und meinen Lebensunterhalt verdienen, und ich war froh, wenn ich durch einen Auftrag etwas zum kargen Lohn für Putzarbeiten im Germersheimer Krankenhaus aufstocken konnte. Der Stundenlohn für die manchmal unangenehme Tätigkeit in der Pathologie betrug damals 6 D-Mark. Ich musste spät abends, meist nach 22 Uhr, alles reinigen und die vom Seziertisch herabgefallenen und nicht asservierten „Teile“ entsorgen. In der Anfangszeit wandte ich den Kühlfächern, in denen ich Leichen vermutete, niemals den Rücken zu. Nach einer gewissen Zeit hatte ich mich daran gewöhnt und ich sang immer ziemlich laut, so wie Kinder es manchmal tun, wenn sie etwas aus dem Keller holen sollen.
Beginn der Kugelkopfära
1979 begann meine berufliche Tätigkeit im Angestelltenverhältnis bei Michelin. In meinem Büro in der Firma stand mir eine rote IBM-Kugelkopfmaschine zur Verfügung. Elektrisch, welch Luxus, aber ohne Korrekturband. Man erwartete von mir „perfekte Übersetzungen in einwandfreier Formatierung“, mit Kohlepapier und Durchschlag für die Ablage. Gut, wobei die Formatierung zum Beispiel bei Zahlentabellen in Bilanzberichten nicht ohne war. Zum Glück hatte ich eine ältere Kollegin, die es liebte, solche Tabellen zu tippen, und mir solche Arbeiten gerne abnahm.
Zehnfingertippen
Was ich bisher vergessen hatte zu erwähnen: Ich konnte nur mit zwei oder drei Fingern tippen. Daher schickte mich mein damaliger Personalchef während der Arbeitszeit in die Stadt, um an einem zehnstündigen Kurs teilzunehmen. Ich lernte das schnelle Blindtippen mit zehn Fingern sehr zügig, und es machte dann auch viel mehr Spaß.
Nebenberuflich ging es auch aufwärts
Nach drei Monaten eisernen Sparens (mein Nettogehalt belief sich damals auf 1.350 D-Mark, die Miete für eine möblierte 38 qm kleine Wohnung kostete mich 480 D-Mark zzgl. Nebenkosten) habe ich mir eine gebrauchte IBM-Kugelkopfmaschine gekauft und konnte so meine Übersetzungen, die ich nach Feierabend nebenberuflich fertigte, tippen. Die fertigen Übersetzungen mussten selbstverständlich auch (tipp-)fehlerfrei sein, die beschriebenen Blätter eingetütet und mit der Post an den Auftraggeber verschickt werden. Tja, das waren noch Zeiten.
1982 habe ich mir dann für sage und schreibe 8.000 D-Mark eine elektrische „programmierbare“ Olivetti ETV 250 mit Bildschirm und Typenrädern geleistet. Damit konnte ich die Übersetzungen auf Disketten speichern, die jedoch mit den späteren PC-Disketten nicht kompatibel waren. Mit der Olivetti habe ich mein erstes IHK-Buch geschrieben: „Prüfung und Praxis“ – zur Vorbereitung auf die Sprachenprüfungen bei der IHK. Die Olivetti habe ich immer noch, die will ja heute niemand haben.
PC-Einzug
Ende 1983 zog der erste IBM-PC mit riesigem Bildschirm und DOS als Betriebssystem bei mir zuhause ein. Weiße Schrift auf königsblauem Hintergrund. Ich hatte gute Beziehungen zu IBM in Mannheim und Mainz und bekam ein gebrauchtes Gerät zu einem damals unschlagbar günstigen Preis. 1985 wurde die Zentrale Übersetzungsabteilung bei der deutschen Tochtergesellschaft meines Arbeitgebers Michelin gegründet, deren Leitung mir übertragen wurde. Dank meinen durch die nebenberufliche Tätigkeit erworbenen Kenntnissen erarbeitete ich zuhause für meinen Arbeitgeber ein zentrales DV-System zur Abwicklung, internen Abrechnung und Verfolgung der Übersetzungsaufträge und führte dieses erfolgreich ein. Als Programmiersprache nutzte ich BASIC. Außerdem baute ich eine Datenbank der Firmenterminologie auf.
Mitte 1990 wurden auch in der Produktion PC aufgestellt. Ich wechselte zum Zentralen Bildungswesen und führte die Produktionsarbeiter in die neue PC-Welt ein, die natürlich längst nicht so komfortabel war wie heute. Nach einer kurzen Schulung hatte ich gelernt, mit TenCore, einem sog. Language Authoring System, CBTs, also computerbasierte Trainingsmodule zu programmieren und zu gestalten, mithilfe derer die Mitarbeiter in der Produktion eine effizientere Handhabung ihrer Maschinen oder das fehlerfreie Auflegen der Produkte beim Reifenwickeln erlernten. Um diese Programme zu schreiben, musste ich natürlich selbst erst einmal die Handhabung der diversen Maschinen beherrschen. Damals war es überhaupt nicht üblich, Frauen in der Nachtschicht in der Reifenproduktion arbeiten zu sehen.
Photoshop gab es natürlich noch lange nicht. Für das Erstellen graphischer Darstellungen nutzte ich Designer und Paint. Im Rückblick betrachtet auch mühsam. Aufgrund der ungewohnten Arbeit mit der PC-Maus bekam ich beidseitig eine Sehnenscheidenentzündung, die mich monatelang plagte.
Die Textverarbeitungsprogramme nannten sich WordStar und später WordPerfect. Die PC wurden beworben mit dem Spruch „What You See Is What you Get“ (WYSIWYG). Gemeint war damit zu jener Zeit lediglich, dass Zeilen und Absatzumbrüche einigermaßen präzise angezeigt wurden (allerdings nur mit einer 10-Punkt-Schrift) und dass Randeinstellungen und Tabstopps am Bildschirm gesetzt werden konnten.
Kommunikation über „Profs“
Mails gab es im Unternehmen zur damaligen Zeit nicht. Die Firma nutzte ein IBM-System, das sich Profs nannte. Giftgrüne Schrift auf schwarzem Hintergrund. Extrem mühsam. Eine Datei anhängen ließ sich nicht, sodass wir beispielsweise nach der Verkündung der Konzernergebnisse am Tag X um 17.30 Uhr (Schließung der französischen Börse) die 20 bis 30 per Fax erhaltenen A4-Seiten ebenfalls per Fax an die Direktoren der fünf deutschen Werke übermittelten. Leider konnte kein Faxgerät an unserem Standort fünf Faxnummern speichern, sodass wir nach dem ersten Durchgang für das Werk 1, die 20-30 Seiten für das Werk 2 losschickten, dann das gleiche nacheinander für die anderen Werke. Das Ganze dauerte etwa bis 21 oder 21.30 Uhr, wenn alles gut lief und die Faxverbindung zwischendurch nicht streikte. Das waren noch Zeiten!
Die Offenbarung
Die ersten Windows-PC waren für mich/uns eine wahre Offenbarung. Wie praktisch, wie schnell konnte doch gearbeitet werden! Und dann noch per E-Mail kommunizieren – ein Wunder!
Inzwischen ist das alles normaler Arbeitsalltag geworden. Zur Messung der Tippgeschwindigkeit legte ich im Laufe der Jahre ein paar Mal die Schreibgeschwindigkeitsprüfung bei der IHK ab und erreichte irgendwann die 480 Anschläge pro Minute.
Spracherkennung
Dank der Spracherkennungssoftware Dragon NaturallySpeaking stieg ich vor einigen Jahren vom Tippen aufs Diktieren um – auch wieder eine Offenbarung. Dazu ein anderes Mal mehr …