Als wir uns die Welt versprachen

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Als wir uns die Welt versprachen

Ein Roman von Romina Casagrande

Worum geht es?

Als die Südtirolerin Edna in einer deutschen Zeitschrift ein Bild ihres Kinderfreundes Jacob sieht, den sie seit siebzig Jahren nicht gesehen hat, macht sie sich auf den Weg über die Berge. Vor einem ganzen Leben mussten Edna, inzwischen über 80 Jahre alt, und Jacob unter härtesten Bedingungen bei schwäbischen Landbesitzern schuften – wie Tausende arme Bergbauernkinder vor ihnen, die sog. Schwabenkinder. Der Zweite Weltkrieg riss Edna und Jacob auseinander. Zu Fuß, per Bus und Zug und mit ihrem Papagei Emil im Gepäck beginnt Edna unbeirrt eine Reise voller Überraschungen.

Schwabenkinder

Der Roman kombiniert zwei Erzählstränge: Zum einen geht es um die hochbetagte alte Dame namens Edna, die mit ihrem Papagei Emil in Südtirol lebt und die Reise über die Alpen nach Ravensburg unternimmt – dieser Erzählstrang spielt in unserer modernen Zeit. Zum anderen wird im Wechsel der Kapitel vom Leben der Kinder Edna und Jacob als Schwabenkinder erzählt, Letzteres jedoch nie anklagend.

Als Schwabenkinder wurden 8- bis 14-jährige Kinder aus Vorarlberg, Tirol und dem schweizerischen Graubünden bezeichnet, die vor dem Hintergrund bitterster Not in ihrer Heimat von ihren Eltern nach Oberschwaben, Bayerisch-Schwaben und Baden geschickt wurden, um dort auf größeren Höfen zu arbeiten. Diese Praktik begann bereits im 17. Jahrhundert (erste Aufzeichnungen gab es im Jahr 1625) und kam um 1800 richtig in Schwung: Jahr für Jahr mussten unzählige Kinder per Fußmarsch über die Alpen, um von Mitte März bis Ende Oktober als saisonale Arbeitskräfte eingesetzt zu werden. Obwohl in Deutschland eine allgemeine Schulpflicht bestand, blieben die jungen ausländischen Arbeitskräfte vom Schulbesuch ausgeschlossen.

Ednas Entschluss

Entsprechend wird die Protagonistin Edna, einst ein Schwabenkind, als einfache Frau mit einer unvoreingenommenen Selbstverständlichkeit, jedoch mit starker Willenskraft gezeichnet, die nie eine Schulbildung genoss und nur schlecht lesen kann. Als sie das Foto ihres einstigen Kamerads aus dieser schwierigen Schwabenkindzeit in einer deutschen Zeitschrift entdeckt, beschließt sie kurzerhand, ihn nach achtzig Jahren aufzusuchen, um ihm den Papagei Emil zurückzugeben und „eine Schuld zu begleichen“. Sie will den Weg so zurücklegen, wie sie ihn damals umgekehrt gegangen ist: größtenteils zu Fuß und kurze Strecken per Bus oder Zug. Es begleitet sie der Papagei Emil, und sie hat eine handgezeichnete Landkarte dabei, die ihr den damaligen anstrengenden Weg von Südtirol nach Ravensburg zeigt.

Auf ihrem beschwerlichen Weg leben bei Edna nicht nur unzählige Erinnerungen auf, es begegnen ihr auch viele Menschen, die von der Autorin Romina Casagrande pointiert dargestellt werden und damit viel Raum bekommen. Sie alle haben – so oder so – einen gewissen Einfluss auf Ednas kräftezehrende Wanderung. Auch die während des Wegs über die Alpen sich verändernde Landschaft wird detailliert beschrieben – keineswegs langweilig, sondern durchaus auf anschauliche und bildhafte Weise.

Ich habe das Buch zwar „nur“ in der deutschen Übersetzung von Katharina Schmidt und Barbara Neeb gelesen, aber mir hat die Sprache sehr gefallen. Die Autorin beschreibt mit wunderschönen Bildern, einer oft poetischen, jedoch nie rührseligen Sprache. Wer das mag, wird begeistert sein. Ein Beispiel: „Sie war immer noch dieselbe Edna mit den Falten um die Augen, die sich kreisförmig ausbreiteten wie Wellen, die ein flach geworfener Kiesel in einem Teich hinterlässt.“ Taucht das Bild in Ihrem Kopf auf? Herrlich, nicht wahr.

Kurz vor dem Ende der Reise erinnerte mich eine recht wilde Szene spontan an die Verfolgungsjagd im Louis-de-Funès-Film „Fantomas“ aus meinen Kindheitstagen, die mich schmunzeln ließ. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich die Autorin diese Passage hätte sparen oder zumindest etwas kürzen können. Aber gut, es ist der Autorin ganz eigene Freiheit, ihre Geschichte zu schreiben, wie sie will.

Mein Fazit

Der Roman „Als wir uns die Welt versprachen“ ist lesenswert. Hat man/frau als Leser einmal akzeptiert, dass sich eine über 80 Jahre alte Frau überwiegend zu Fuß auf den Weg über die Alpen macht, öffnet einem die Erzählung zahlreiche Horizonte, die ganz viel Stoff zum Innehalten und zum Nachdenken liefern. Ist es jemals zu spät, sich auf die Reise zu machen und etwas in seinem Leben zu ändern? Ist es nicht viel angenehmer und hilfreicher, Fremden gegenüber eine offene Haltung einzunehmen? Können wir nicht beinahe alles schaffen, wenn wir uns ein Ziel setzen? Gibt es für auftretende Schwierigkeiten nicht immer eine Lösung? Auch der hier und da aufblitzende feinsinnige Humor ist bemerkenswert.

Der Leser (er-)lebt die Reise mit Edna, ihre Höhen und Tiefen im Jetzt und im Damals, ihre kindlichen Freuden und ihre Enttäuschungen, ihre Angst um Papagei Emil, der von Krähen angegriffen wird, und ihre Traurigkeit, als die Bäuerin ihr ihre Puppe wegnimmt.

Ein bewegender, berührender, aber nie rührseliger Roman, der vermutlich eher die weibliche Leserschaft ansprechen wird.

Romina Casagrande, geboren 1977, lebt in Meran in der Provinz Bozen in Südtirol. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Italiener. Mit ihrem Roman »Als wir uns die Welt versprachen« gelang ihr auf Anhieb der Durchbruch als Autorin. Romina Casagrande hat klassische Literatur und Geschichte studiert, für Museen in Südtirol gearbeitet und unterrichtet als Lehrerin in der Mittelstufe. Sie liebt die Natur, besonders die Berge; sie lebt mit ihrem Mann, drei Papageien und zwei Hunden.

»Dieser Roman ist entstanden aus Liebe zu meiner Heimat Südtirol und dem Wunsch, ein vergessenes Kapitel der deutsch-italienischen Geschichte erlebbar zu machen: das der ›Schwabenkinder‹. Jahrhundertelang sind arme Bergbauernkinder im Frühling über die Alpen gewandert, um unter harten Bedingungen in der Fremde zu arbeiten. Mit Ednas Reise wollte ich ihnen zur Heimkehr verhelfen, auch in unsere Herzen. Edna begegnet ganz unterschiedlichen Menschen, und im Leben ist es wie auf einer Reise: Oft kommt Hilfe von unerwarteter Seite, und aus jeder Begegnung gehen wir verändert hervor«, erklärte Romina Casagrande.

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Als wir uns die Welt versprachen (Originaltitel: I bambini die Svevia)
Fischer Krüger Verlag
Autorin: Romina Casagrande
Übersetzung: Katharina Schmidt und Barbara Neeb
ISBN: ‎ 978-3810500090 (gebundene Ausgabe), ISBN: 978-3-596-70056-1 (Taschenbuchausgabe)
480 Seiten

  1. Danke für diese Buchvorstellung, meine Neugier ist geweckt und ich werde mir die Originalfassung beschaffen.

    • Das ist natürlich ideal, wenn du das in der Originalfassung lesen kannst. 🙂
      Viel Freude beim Lesen.

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