Das Bistro an der Ecke: eine aussterbende Spezies

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Das Bistro an der Ecke: eine aussterbende Spezies

Vom schwindenden Flair der Bistros in Frankreich

Früher waren sie ein Treffpunkt mit sozialer Funktion, heute verschwinden sie nach und nach aus den französischen Städten: die kleinen Bistros an der Ecke. Ein Stück französischer Kultur geht verloren.

»Salut, Catherine, un café, s’il te plaît« – so oder so ähnlich bekam die Patronne des kleinen Bistros »Chez Catherine« schon früh morgens bis zum späten Abend die Bestellung vermittelt. Dazu kam um die Mittagszeit ein »tiens, je prendrais un p’tit rouge / blanc«, das kleine Gläschen Rot- oder Weißwein, das quasi als Apéritif durchging, an heißen Sommertagen auch gerne ein Pastis. Man(n) oder Frau ging ins Café – nicht zu verwechseln mit dem deutschen Café, in dem Kaffee und Kuchen kredenzt werden–, unterhielt sich an der Theke, rauchte eine Gauloise, trank einen Kaffee im Stehen und wälzte die Probleme der Welt. »Le comptoir d’un café, c’est le Parlement du peuple«, schrieb der französische Schriftsteller Honoré de Balzac, der für seinen extrem hohen Kaffeekonsum von 50 bis 60 Tassen pro Tag bekannt war (Die Theke eines Cafés, das ist das Parlament des Volkes). Dieses Parlament wird heute von der jüngeren Erwachsenengeneration sträflich vernachlässigt. Diskutiert wird per sms, auf Facebook oder einfach an der nächsten Straßenecke, in der Grünanlage oder auch zuhause.

»Früher tauschte man sich aus, man wusste Bescheid, wer wofür war, was in der Stadt gerade los war«, so Catherine, die ihr Café schon über 25 Jahren mit ihrem Mann Bernard führt. Heute blieben die wenigen Gäste ein paar Minuten, die Zeit eines Tässchens, die karge Bestellung eingerahmt durch ein »Salut«, ergänzt Catherine. Die triste Wirtschaftslage in Frankreich zwingt die einstigen Bistro-Besucher, ihre Ausgaben einzuschränken und am Posten Freizeit zu sparen. Die Lebensgewohnheiten haben sich geändert: Man kauft seine Getränke im Supermarkt, isst zu Hause, grillt auf dem Campingplatz. Die Promillegrenzen werden auch in Frankreich von der Polizei sehr ernst genommen, oft stehen Alkoholkontrollposten unweit der Bistros und warten auf ihre … Schäfchen.

Franzosen gehen in der Regel »ungefrühstückt« aus dem Haus. Auf dem Weg zur Arbeitsstätte machten in früheren Zeiten viele Halt im Bistro und tranken vite fait (auf die Schnelle) einen Kaffee, wechselten ein paar Worte mit dem Wirt und fuhren weiter. Auch diese Tradition geht heute weitgehend verloren. Man fährt zur Arbeit, für den mittäglichen Hunger kauft man sich ein Sandwich oder geht in die Kantine, sofern der Arbeitgeber eine bereithält. »Franzosen essen nicht mehr wie Franzosen, sie haben sich weitgehend den angelsächsischen Gepflogenheiten angepasst«, meint Bernard. Seine Erklärung: Junge Leute trinken kaum noch, und die, die es tun, üben sich im Komasaufen. Die anderen eilen durch die Straße mit Kaffee im Pappbecher in der einen Hand, in der anderen Hand irgendetwas Essbares (oder auch nicht so Schmackhaftes), um ihre Essgelüste zu befriedigen, das Smartphone immer griffbereit, um das Ganze abzulichten und auf Facebook zu posten.

Das 2011 eingeführte Rauchverbot hat außerdem dazu geführt, dass die Bistro-Einnahmen in Frankreich um rund 20 % gesunken sind: »Früher rauchte man an der Theke. Bon, zugegeben, gesund ist das für die Nichtraucher nicht. Aber heute konsumiert der Gast, geht zum Rauchen nach draußen und … kommt nicht mehr zurück«, bedauert Catherine. Inzwischen mussten in Frankreich in den letzten vierzig Jahren 80 % der Cafés schließen. Auch Catherines Einnahmen reichen nicht, um zu leben. Lange hat sie sich gesträubt, es zu verkaufen. Dann entschloss sie sich dazu, aber kaufen will es niemand – trotz der guten Lage in einer touristisch gut besuchten Stadt. Ihre Kinder haben längst ihr eigenes Leben und früh erleben müssen, was es bedeutet, Patronne und Patron in einem (früher) gut besuchten Bistro zu sein.

Catherine steht von morgens halb sechs bis spät abends in ihrem bistrot und wirbelte herum, um die Wünsche ihrer Gäste zu erfüllen. Viele Jahre gab es sogar ein kleines Speisenangebot für alle diejenigen, die in der langen Mittagspause, wie sie in Frankreich immer noch vielerorts üblich ist, nicht nach Hause fahren konnten. Ein kleines 3-Gänge-Menü mit einem p’tit noir zum Abschluss für 15 francs (1985), später für 4,50 Euro (2004) und heute 6 Euro. Ein Achtel Tafelwein kostet aktuell 2 Euro, ein p’tit noir 1,30. Wenn sich heute mal ein Gast mittags niederlässt, lässt er sich ein Sandwich bringen und bestellt une carafe d’eau – Leitungswasser in der Karaffe, denn das kostet nichts. Dass das Ganze ein Teufelskreis ist, will niemand wissen – noch nicht.

 

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