Sie übersetzen doch nur

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Sie übersetzen doch nur

Die eigenen Preise und Honorare plausibel erklären

Die junge Frau freut sich: Ihr erster Geschäftstermin beim Firmenkunden steht bevor, es geht um die Preisverhandlung. Doch was sie zu hören bekommt, ist ärgerlich. Und leider keine Seltenheit.

Seit einigen Wochen bereitet sich die junge Frau – nennen wir sie Johanna – auf die Selbstständigkeit vor. Sie hat eine umfassende kaufmännische Ausbildung absolviert, die sie mit einem Abschluss als Fremdsprachenkorrespondentin in den Sprachen Englisch und Französisch ergänzt hat. Dann hat sie einige Jahre in einer Bank sowie in einem größeren Unternehmen im Lebensmittelbereich gearbeitet, sich stets weitergebildet und zusätzlich einen Abschluss als Übersetzerin gemacht. Jetzt will sie den Start in die Selbstständigkeit wagen.

Prompt wird ihr dank einer Empfehlung ein recht umfangreicher Auftrag angeboten, es soll sogar ein Rahmenvertrag unterzeichnet werden, denn es geht um regelmäßige Lieferungen: diverse Texte und Beschreibungen für einen Online-Shop im gehobenen Feinkostbereich. Nach telefonischen Vorgesprächen lädt sie der potenzielle Kunde, Chef eines KMU, ein, um die Details abzustimmen. Die Erwartungen des Kunden in puncto Qualität, Volumen und Termine sind für beide Seiten klar, jetzt geht es nur noch um den Preis.

Als sie einen durchaus vertretbaren Preis nennt – sagen wir 50 Euro je Leistungseinheit (also je Text, da alle Texte in etwa gleich lang sind) –, kontert der Kunde: „Aber Sie übersetzen doch nur!

Leider sind solche Reaktionen keine Seltenheit und zeigen, dass viele Kunden den komplexen Prozess des Übersetzens nicht kennen und sich über die notwendige Qualifikation des professionellen Übersetzers nicht im Klaren sind. Nicht selten bekommt der Sprachmittler zu hören: „Das bisschen Sprache, ein Wörterbuch – mehr braucht man doch nicht – oder?“ Doch!

Würde man den Spieß umdrehen, müsste man/frau in dem oben geschilderten Beispiel antworten: „Und Sie verkaufen ja nur!

Souverän reagieren

Natürlich ärgert sich unsere Johanna, aber sie ist klug und zeigt es nicht. Im Gegenteil: Sie argumentiert ruhig und sachlich und erklärt dem Kunden, was alles in ihrer Leistung enthalten ist und welche Fachkompetenz sie mitbringt.

Preisverhandlungen auf Augenhöhe

In unserem Beispiel reagiert Johanna ganz hervorragend: Während sie bisher kerzengerade auf dem Besucherstuhl saß, ihren Oberkörper leicht an die Tischkante presste, ihre Vorderarme angewinkelt auf dem Tisch lagen und ihre Hände ihre Unterlagen berührten – insgesamt vermittelte dies eine leichte bis starke Anspannung und höchste Konzentration –, lehnt sie sich jetzt locker zurück und kontert mit folgenden Argumenten:

  • Von der Qualität des Zieltextes hängt einiges ab: das Image des Kunden als Qualitätspartner. Er will doch sicher nicht sein Image mit einem mangelhaft übersetzten Text aufs Spiel setzen? Johanna hat im Vorfeld zum Gespräch die Website des Kunden durchforstet und einige Beispiele gefunden, die in der Zielsprache zu wünschen übrig lassen. Sachlich erläutert sie, wo die „Problemstellen“ sind. Sie meidet bewusst das Wort „Fehler“ und erläutert, warum diese oder jene Formulierung / Schreibweise besser ist.
  • Im Online-Shop bietet der potenzielle Kunde Produkte aus dem Bereich Feinkost an. Wer 100 Gramm Pastete für knapp 12 Euro oder einen halben Liter Olivenöl für 26 Euro bestellt, möchte doch ganz sicher eine exzellent formulierte Produktbeschreibung lesen, bevor er sich entscheidet. Qualität verpflichtet!
  • Johanna fragt den Kunden, was für ein Auto er fährt. Einen größeren SUV? Klasse! Sie fragt ihn, ob er seinen Wagen einem Hobby-Autobastler anvertrauen würde. Bestimmt nicht!
  • Und mit einem „Lächeln in der Stimme“ (und auf den Lippen) ergänzt Johanna, dass der Kunde ja auch zum Optiker geht, wenn er eine Brille braucht, und zum Zahnarzt, wenn er eine Krone benötigt. Sie fragt ihn „auf nette humorvolle“ Art, was er sagen würde, wenn sein Zahnarzt ihm während der Behandlung gestehen würde, dass er eigentlich nur ein Wochenendseminar in Zahnkunde besucht hat?

Der potenzielle Kunde ist nachdenklich geworden. Die Veränderung in der Körperhaltung hat er durchaus, wenn auch vielleicht nur unbewusst, wahrgenommen. Aber er ist durch und durch Geschäftsmann und will so schnell nicht nachgeben. Johanna fragt ihn, was er sich denn preislich vorgestellt habe. Er sagt, dass er pro Leistungseinheit nicht mehr als 35 Euro bezahlen will.

Johanna ist entsetzt, denn dieser Preis ist definitiv nicht akzeptabel, obgleich sie sich sicher ist, dass genügend KollegInnen den Auftrag zu diesem niedrigen Preis annehmen würden.

Sie lässt sich nichts anmerken und sagt: „Zu diesem Preis werden wir leider nicht zusammen kommen. 42 Euro, das ist mein letztes Angebot“. Nach kurzem Zögern sagt der Kunde zu. Und ergänzt: „Sie wären eine gute Verkäuferin“.

 

 

 

  1. Also von Berufsfremden, Freunden und Bekannten ist mir so etwas noch nicht vorgekommen. Das mag auch an der Sprache liegen, denn die meisten, die eine Portugiesischübersetzung brauchen, können entweder kein Deutsch oder kein Portugiesisch und denken nicht, dass sie es ja auch selbst könnten.

    • Schön zu hören, liebe Uta. In den „gängige(re)n“ Sprachkombinationen wie Englisch <> Deutsch zum Beispiel ist das allerdings nicht ganz so selten. Ich habe selbst in meinen jüngeren Berufsjahren erlebt, dass mein neuer Chef meinte, ich bräuchte für die Übersetzung gerade mal so viel Zeit wie fürs Abtippen der gleichen Textmenge. 🙂

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