Zweifelhafte Verbindungen

2
Zweifelhafte Verbindungen

Sie greifen um sich, kaum einer stört sich daran.

Es geht um die unzähligen Formulierungen, in denen einem Substantiv ein Adjektiv zugeordnet wird, das eigentlich nicht passt. Und so fristen Adjektive und Substantive – im Deutschen wie im Französischen – eine Beziehung, die eigentlich nicht sein dürfte …

Wetterbericht am Ende der Tagesschau vor ein paar Tagen. Der Meteorologe kündigt an: „Nach den kühlen Temperaturen der letzten Tage erwarten uns Anfang kommender Woche wärmere Temperaturen“. Im Winter sprach man sogar von eisigen oder frostigen und im Juli  von heißen Temperaturen. Seit wann ist eine Temperatur kühl, warm oder eisig? Sie kann allenfalls hoch oder niedrig sein.

Noch mehr schmerzt mich eine Wendung, die in einer Radiowerbung kürzlich zu hören war: „billige Preise“. Ein Preis kann nicht billig, übrigens auch nicht teuer sein, er kann zum Beispiel niedrig, moderat oder möglicherweise (unverschämt) hoch sein.

Kürzlich fand ich in einem Text, den ich lektorieren sollte: „Bei Bestellung von zahlreichen Stückzahlen erhalten Sie …“. Hier ist die Rede von hohen Stückzahlen. Das Adjektiv „zahlreich“ ist in Einladungen von Vereinen sehr häufig in folgender Formulierung  zu lesen: „Über euer zahlreiches Erscheinen freuen wir uns“. Nicht selten gibt es dort dann Kuchen und Bratwurst mit dem Hinweis: „Über zahlreichen Verzehr zu Gunsten der Vereinskasse freuen wir uns“. In der Berichterstattung über ein Oper Air Festival wurde in der Zeitung der „laute Geräuschpegel für die Anwohner“ angeprangert. Ach ja, da waren auch noch die „langsamen Geschwindigkeiten“, die manchmal als potenzielle Unfallverursacher auf den Autobahnen zu beklagen sind.

In einem kürzlich geführten Gespräch mit einem von mir sehr geschätzten Hochschulprofessor bezeichnete dieser diese Art der fehlerhaften Verknüpfung von Substantiv und Adjektiv als „Kindergartensemantik“. Das lasse ich unkommentiert so stehen.

Ähnlich zweifelhafte Verbindungen gehen auch Substantive mit Komparativen oder Superlativen von Adjektiven ein, die vom Sinn her gar nicht gesteigert werden können. Diese Adjektive nennt man Absolutadjektive. Beispiele:

  • der aktuellste Verkehrsdienst
  • noch extremer ist …, die extremste Situation war …
  • zur vollsten Zufriedenheit (z.B. in Arbeitszeugnissen)
  • das Kino war gestern noch leerer / voller als heute
  • das ist ja noch falscher, die falscheste Angabe
  • die einzigste (Möglichkeit)
  • die einmaligste Gelegenheit
  • in keinster Weise
  • die optimalste, idealste Lösung
  • der maximalste, minimalste Wert
  • die letzteste Alternative
  • der entscheidendste Faktor
  • das wesentlichste Kriterium

Weitere sog. Absolutadjektive: fertig, ganz, lauwarm, mündlich, quadratisch, dreieckig, rund, kreisförmig, richtig/falsch, doppelt, dreifach, vierfach (usw.), tot, schwanger, total, unnahbar, allein, parallel, prioritär …

Quasi eine „Steigerung“ dieser regelwidrigen Steigerungen sind folgende sog. Hyperlativierungen, die in zwei Kategorien einzuordnen sind und klare Fehler darstellen:

  1. Hyperlativierung von zusammengesetzten Adjektiven durch Bildung des Superlativs beider Bestandteile des Kompositums, z.B.: die bestaussehendste Frau, der höchstgelegenste Berg, die bestmöglichste Lösung, die schnellstwirksamste Heilsalbe
  2. Hyperlativierung von Adjektivkomposita durch Bildung des Komparativs beider Bestandteile des Kompositums, z.B.: ein häufiger gewünschteres Lied im Wunschkonzert, ein schwieriger lösbareres Problem, das besser gelungenere Foto

Wie verhält sich das Ganze in der französischen Sprache?

Unpassende Paarungen zwischen Substantiv und Adjektiv gibt es hier auch, jedoch nicht ganz so häufig. Auch in Frankreich wird fälschlicherweise von „températures froides, chaudes, glaciales …“ gesprochen. Weitere Beispiele:

  • pleurer des larmes inconsolables (nicht die Tränen sind untröstlich, sondern die Menschen, die sie vergießen)
  • un volume nombreux
  • à vitesse rapide / lente (korrekt ist: à vitesse élevée / réduite)

Zu den Adjektiven, die im Französischen keine Komparativform bilden können, zählen u.a.:
entier, total, meilleur, optimal, idéal, maximal, minimal, mieux, pire, pis, préféré, carré, circulaire, double, triple, équestre, équilatéral, parallèle, aîné, cadet, favori, principal, majeur, mineur, suivant, essentiel, prochain, ultime, unique.

Man sieht, dass sich einiges mit der deutschen Sprache deckt.

Im Französischen wird die Komparativform mit „plus + adjectif + que“ (plus grand que) bzw. „aussi + adjectif + que“ (aussi grand que) bzw. „moins + adjectif + que“ (moins grand que) und die Superlativform mit „le/la plus + adjectif“ (le plus grand) gebildet. Die Fälle wie die oben beschriebenen fehlerhaften deutschen Wendungen sind eher nicht vorhanden – ganz ausschließen kann man so etwas aber nie. Natürlich kommt es vor, dass Kleinkinder in der Phase, in der sie ihre Muttersprache erlernen, „plus meilleur“ statt nur „meilleur“ sagen. Das ist aber anders zu bewerten.

  1. Vielen Dank für diesen Artikel! Zu allem konnte ich ein „Schön, dass es einmal gesagt wird“ nicken. Vor allem die ‚einzigste‘ bereitet mir tagtäglich Schmerzen.
    Allerdings möchte ich die Formulierung ‚zur vollsten Zufriedenheit‘ verteidigen. Nicht in ihrer Sinnhaftigkeit, sehr wohl aber in ihrer Existenz. In diesem Fall muss sich, leider, die Liebe des Personalmanagers zur deutschen Sprache dem Höchstgericht beugen. Sprachevolution findet heutzutage offenbar auch dann statt, wenn nicht existente Steigerungsformen einklagbar werden. Zumindest in Österreich 😉

    • Danke für Ihre Zeilen. Ich stimme Ihnen zu, die Formulierung „zur vollsten Zufriedenheit“ ist in Arbeitszeugnissen absolut gängig, ich habe sie in meiner früheren Tätigkeit im Personalwesen häufig genug angewendet. Die „volle Zufriedenheit“ würde sich zu Lasten des Mitarbeiters auswirken. Das gilt übrigens auch für Deutschland. 🙂

LEAVE A REPLY

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .