und verkaufe Wörter, Worte und Sprache.
Kürzlich hat mich eine Bekannte eingeladen, sie auf ein hochklassiges Event zu begleiten: eine tolle Veranstaltung mit 450 hochrangigen Gästen, einem interessanten Programm, gutem Essen – pardon, Gala-Dinner. An jedem runden Tisch zehn Personen aus Wirtschaft, Forschung und Politik. Nach dem Smalltalk beim Aperitif im Foyer fragte mich mein Tischnachbar zur Linken zwischen Vor- und Hauptspeise, was ich denn beruflich mache. Ich antwortete: Verkäuferin.
Urplötzlich wurde es am Tisch still. Die Bekannte, die ich auf diese exklusive Veranstaltung begleiten durfte und mir gegenüber saß, machte große Augen, in denen sich riesige Fragezeichen tummelten. Mein Tischnachbar zur Linken spielte betreten mit seinem Messer. Der Herr rechts von mir schlürfte laut seinen Wein. Die anderen taten, als hätten sie nichts gehört. Schweigen… Ich ließ sie alle zappeln. Dann:
– Ja, ich bin Verkäuferin. Haben Sie ein Problem damit?
Ich schaute in die Runde. Meine Bekannte fragte sich wahrscheinlich, was jetzt wohl besser wäre: eine Ohnmacht vorzutäuschen oder das Thema abrupt zu wechseln. Mein Tischnachbar links murmelte ein „äääh, nein, natürlich nicht…“ und fragte sich sicher im Stillen, was eine Frau, die den ehrbaren und wichtigen Beruf der Verkäuferin ausübt, auf dieser Veranstaltung verloren haben könnte.
Bevor meine Bekannte, die mir das einmalige Angebot gemacht hatte, sie zu begleiten, Schnappatmung bekam, erklärte ich:
– Ja, ich verkaufe Wörter: ich schreibe, lektoriere, korrigiere, übersetze… Wörter, also Texte, Artikel, Patente, Studien, Pressemappen, Websitetexte…
Man sah der Runde die Erleichterung an: „Da haben Sie uns… aber ganz schön aufs Glatteis geführt, verehrte Dame“, sagte ein Herr mit Fliege, ein Hochschulprofessor, der oft als „Experte“ seines Fachs im Fernsehen auftritt. Und es entwickelte sich ein spannendes Gespräch.
Noch nie zuvor hatte ich Gelegenheit gehabt, einer so illustren Runde die – sagen wir – Grundlagen und Imponderabilien des Übersetzerberufs zu erläutern sowie die Tätigkeit eines freien Autors zu schildern, der nicht seine eigenen Forschungen über „Zeburinderkreuzungen und deren Folgen in der dritten Generation“ zu Papier bringt. Nach wenigen Minuten hingen alle an meinen Lippen, als würde ich einen Krimi erzählen.
Ja, ich verkaufe Wörter. Wörter, die wohl gewählt werden, damit sie zusammen passen, eine Einheit bilden und die gewünschte Botschaft vermitteln. Deshalb haben die Wörter, die ich verkaufe, auch ihren Preis. Als Autorin, Journalistin oder Übersetzerin. Wobei es der Übersetzer nicht etwa leichter hat, wie einer der Herren meinte: Er muss ebenso den richtigen Ton, die richtige Sprachebene treffen, wie der Verfasser des Quelltextes. Er darf den Sinn auch nicht minimal verdrehen, muss allerdings ggf. situative Anpassungen vornehmen.
Ja. Ich verkaufe Wörter. Sehr gerne.
Nun habe ich jetzt erst diesen wunderbaren Artikel gefunden. Wie gerne wäre ich bei dieser Veranstaltung eine Fliege an der Wand oder ein Mäuschen unter dem Tisch gewesen. Auch „Traduvendolo“ gefällt mir sehr gut. Es grüßt eine Wortmetzin.
Haha, ja, liebe Karin, das ist lange her, aber ich denke immer noch gerne daran. 🙂
Liebe Grüße
Schöner Artikel, der illustriert, wie sehr manche Berufe in der “feinen Gesellschaft” gering geschätzt werden. Dabei steht es nach meinem Dafürhalten gar keinem zu, einen anderen wegen seiner Berufsausübung zu missachten. Das grenzt schon an Diskriminierung. So lernt man die Menschen aber kennen (und anständige Charaktere schätzen). Ich kenne sowas auch zur Genüge …
Liebe Giselle,
ich fand über das Café Umlaut zu diesem Artikel und kommentiere dieses Mal gerne direkt. Eine wunderbare Schleife, um die Tischnachbarn (ja, vor allem die Herren, denke ich mir) hinters Licht zu führen und dann zu „erleuchten“. Großes Gesprächskino!
Besonders schön finde ich die Imponderabilien.
Danke!
Ein Gruß
Angelika
Herzlichen Dank, liebe Angelika. Freue mich, wenn dieser der Beitrag gefallen hat.
Die Nerven muss man erst mal haben! 😀 Toller Aufhänger. Aber wenn wir es mal ganz genau nehmen (und das tun wir Sprachartistinnen doch immer), dann verkaufst du keine Wörter, sondern Worte. Gell?
Ah, interessant… ja, daran hatte ich dieses Mal gar nicht gedacht. Ich würde sagen, wir (Du ja auch) verkaufen beides: Wörter und Worte.
Danke für Dein Lob.
Das ist doch genau der Unterschied: Wörter verkaufen kann jeder, im Dutzend billiger, lieblos zusammen in die Tüte gestopft, beliebig und austauschbar. Das tun viele. Aber Worte verkaufen, das können nur die Guten. 🙂
Ja, schon. Aber ich werde bzw. wir werden oft nach „Anzahl Wörter“ bezahlt. Für mich gilt das bei Auftragsartikeln („bitte schreiben Sie ca. 500 Wörter über…“) und bei Übersetzungen.
Ein Bäcker verkauft 10 Stück „Brot“ (also 10 „Wörter“), aber Brot, das ist Leben, Weizen, feiner Duft, der Erinnerungen weckt… Das sind die Worte. So sehe ich das. 🙂
Sehr schön, Giselle! Ich bin tatsächlich ein „Traduvendolo“ (siehe mein Blog „http://traduvendolo.blogspot.it/“). Das Wort „Traduvendolo“ habe ich selbst erfunden. Wortwörtlich heißt das „Übersetzungsverkäufer“. Wir sind also auf derselben Wellenlänge.;-)
Das ist ja witzig, Sergio! In Französisch würde ich jetzt sagen „les grands esprits se rencontrent“. Traduvendolo – das Wort klingt sehr schön, gefällt mir! 🙂
Chère collègue,
eine wunderbare Art, Interesse für unseren Beruf zu wecken, haben Sie da gefunden! Zwar brauchen sie unsereiner immer wieder dringend … aber wir fallen nur auf, wenn mal eine schwache Stunde dabei war! Die spontane Verachtung, die Verkäuferinnen entgegenschlägt, ist leider oft sehr gut mit dem vergleichbar, was Spracharbeiter erfahren (hier beziehe ich ausdrücklich Konferenzdolmetscher mit ein), wenn wir Texte erst auf die letzte Minute bekommen (oder gar nichts für die Kabine), wenn sie voller Fehler oder Formatierungsprobleme stecken (PowerPoint mit Punkt-6-Schrift), wenn wir unsere Preise rechtfertigen müssen …
Freundliche Grüße aus Berlin,
Caroline
Merci bien, chère Caroline. Die spontane Antwort „Verkäuferin“ kam mir deshalb in den Sinn, weil ich die Herrschaften um mich herum (am Tisch) ein wenig aus ihrer Lethargie wachrütteln wollte. Ich denke übrigens nicht, dass den Verkäuferinnen Verachtung entgegen gebracht wird, ich glaube, es ist eher allgemeine Gleichgültigkeit. Ich selbst habe in meiner Studienzeit auch als Verkäuferin gearbeitet, deshalb weiß ich, wovon ich spreche. Und dass DolmetscherInnen mit einbezogen werden sollten – klar. Bei dem Gespräch ging vorrangig um Dinge wie „ach, das kann/muss man studieren“ oder „reicht es nicht, wenn man mal ein paar Monate in dem Land gelebt hat?“ usw. Sonnige Grüße aus Karlsruhe, Giselle
Chère Gisèle,
Gleichgültigkeit, das trifft es sicher besser, in der aber nicht selten schon der Keim zur Verachtung liegt. Man stelle sich vor, in manchem ‚besseren‘ Hause stellt der Sohn/die Tochter die jeweilige Flamme vor und sie/er ist Verkäufer/in.
Oder der Satz einer meiner Schullehrerinnen: „Schade, dass Sie nichts Eigenes machen, Caroline, sie hatten doch so viele Chancen. Stattdessen müssen Sie immer alles nachplappern …“
Wissen darum, wie viel Arbeit, Wissen, Recherchevermögen und Handwerkliches unsere Berufe auszeichnen, ist leider nur wenig verbreitet.
Grüße nach Karlsruhe,
Caroline
Ja, das stimmt. Leider ist das Bild des nebenbei jobbenden Übersetzers bzw. übersetzenden Nebenjobbers weit verbreitet. Allerdings muss ich auch sagen, dass viele KollegInnen nicht ganz unschuldig sind, wenn ich sehe, wie diese ihre Angebote oder Rechnungen schreiben, von BWL und sonstigen unternehmerischen Dingen keine Ahnung haben … Ein Beispiel: Ich habe einen Job gepostet und um „Bewerbungen“ mit allen Kontaktdaten gebeten. Jemand antwortet in einer Mail: „Ich bin interessiert. Grüße. Name“ – fertig. Keine Kontaktdaten, keine Mailsignatur, nur die Mailadresse. Einfach unprofessionell. Aber ich bleibe dran, wie man sagt, und werde (potenzielle) Auftraggeber sowie KollegInnen weiter mit Infos versorgen (z.B. auf http://www.gcw-com.de in der Rubrik Tipps für Kunden / Tipps für Übersetzer). Liebe Grüße, Giselle (mit 2 L bitte)
Oh, je vous demande pardon, chère Giselle, pour vous avoir volé un “ l „.
Bien à vous, Caroline
Pas grave 🙂