Die seltsamen Krankheiten der Franzosen

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Die seltsamen Krankheiten der Franzosen

Krankheiten, die nur wir Franzosen kennen

Wir Franzosen sind geplagt. Denn wir werden von Krankheiten heimgesucht, die kein anderes Volk der Welt kennt.

Frankreich ist das Land der Welt mit dem höchsten Medikamentenkonsum (la consommation de médicaments). Trotz der hohen Selbstbeteiligung an den Gesundheitskosten erwarten Franzosen von ihrem Arzt, dass er ihnen Rezepte (une ordonnance) mit bis zu 8 oder 10 Präparaten verschreibt (prescrire un médicament). Ganz besonders beliebt sind dabei Antibiotika (les antibiotiques): Laut Statistik werden die dicken Bomber – so sehen sie ja meistens aus , die den Bakterien (les bactéries) an den Kragen gehen, etwa 80 Millionen Mal im Jahr verschrieben. Nicht schlecht für ein Land mit ca. 66 Millionen Einwohnern.

Aber das alles ist kein Wunder: Denn Franzosen werden von Krankheiten geplagt, die es ausschließlich im diesem Land gibt. Sie glauben mir nicht? Das ist aber tatsächlich der Fall.

Tatort Büro am Montag Morgen: „Où est Janine ?“, fragen die Kollegen. Die Sekretärin meldet: „Elle sera absente toute la semaine, elle a une crise de foie“. Die Kollegen zeigen sich mitfühlend, ist doch jeder mindestens fünf bis zehn Mal in seinem Leben von dieser heimtückischen und höchst unangenehmen Krankheit heimgesucht worden.

Une crise de foie? Eine „Leberkrise“? Was ist das denn?
Das ist die französische Nationalkrankheit. Früher oder später befällt sie jeden und jede, vom Kleinkind bis zum Greis, bevorzugt nach der erfolgreichen Teilnahme an einem Familienfest, einer Hochzeit oder auch nach dem legendären Réveillon, dem heiligabendlichen Fressgelage: Austern (les huîtres), Gänsestopfleber (le foie gras), Schnecken in Kräuterbuttersosse (les escargots), das Ganze reichlich mit Wein und Schnäpsen genossen, setzen Galle (la vésicule biliaire) und Leber (le foie) zu, die zum Abschluss aufgetischte bûche de Noël, ein länglicher Biskuitkuchen mit Buttercreme, gibt dem Verdauungsapparat (le système digestif) dann den Rest. Ergebnis: une crise de foie.

Symptome: Schmerzen (les douleurs) im oberen rechten Bauchbereich, Völlegefühl (sensation de ballonnement) bis hin zu Würgereiz (envie de vomir) beim Anblick von Speisen, fallweise Durchfall (les diarrhées), Kopfschmerzen (maux de tête), Lärmempfindlichkeit (sensibilité au bruit), ein starrer lustloser Blick und eine gelbliche Gesichtsfarbe. Therapie: Abstinenz in jeder Hinsicht, Ruhe und … la Solution Schoum.

Wer in einer Apotheke nach der Solution Schoum, einer gelblich-gefärbten, bitter schmeckenden Lösung verlangt, wird automatisch als notorischer Säufer (un ivrogne patenté) und/oder „Viel-gern-fett-Esser“ entlarvt. Wie peinlich es ist, den höhnisch grinsenden Apotheker flüsternd nach diesem Wundermittel zu fragen, während vier Omas, drei Rentner, zwei junge Mütter und schlimmstenfalls der concierge von nebenan hinter einem stehen, kann sich jeder ausmalen.

Die gelbe Lösung  wird seit 1907 in 540 ml großen Flaschen verkauft.  Sie enthält drei pflanzliche Stoffe in hochprozentigem (95°) Alkohol – wie passend – sowie Sorbit (auch Sorbitol, le sorbitol). Inzwischen gibt es das Mittel auch mit Minzegeschmack. Immerhin. Es kostet durchschnittlich 9,20 €. Den Sprung über die französisch-deutsche Grenze hat die Solution Schoum bislang noch nicht geschafft. Das wird wohl seine Gründe haben (in Deutschland is(s)t man ja viel disziplinierter, nicht wahr?).

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

  1. Ach guck, die „solution Schoum“ kannte ich gar nicht und ich hatte die letzen Jahre bei jeder Familienfeier in Frankreich eine „crise de foie“, weil ich aus der Übung bin, wie Gargantua zu essen 🙂 In meiner Familie weiß jeder, dass man einfach unvernünftig war, dafür vom Körper bestraft wird und nur etwas Geduld braucht. Die Zeit gewinnt immer gegen „foie gras“, „fruits de mer“ und „bûche au chocolat“…

  2. […] wie so oft in der Pflanzenmedizin. Es ist peinlich, Schoum in der Apotheke zu erfragen, wie ich diesem netten Text entnehme. Helfen soll aber auch Hepagrume, das Mittel unserer Wahl, das außerdem weniger schlecht […]

  3. Und ich dachte immer, *die Deutschen* seien die „Krankheitsweltmeister“ … Wieder was gelernt 😉

  4. Danke für diese „köstliche“ Geschichte. Dabei fällt mir als Französisch-Nicht-Arbeitssprachlerin nur dieses eine ein:
    Franz sagt in der Kneipe zu Hans: „Ich habe eine Glaubenskrise (une crise de foi)!“ „Ja, warum denn?“ „Ich glaube, ich krieg hier nichts mehr zu trinken.“
    🙂

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