Ganz deutlich anders als in Deutschland
Im Geschäftsleben, insbesondere bei Verhandlungen, aber auch in der täglichen Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen, zeigt sich überdeutlich, wie verschieden die beiden Länder doch sind. Und Meetings, zu denen Franzosen ihre Ansprechpartner aus den ausländischen, also nicht-französischen Tochtergesellschaften einladen, laufen dabei wie eine Karikatur ab. Hier ein ironisches, aber wohlwollendes Augenzwinkern aus meinem bikulturellen Nähkästchen …
Wenn meine französischen Landsleute denn pünktlich erscheinen – wir dürfen daran erinnern, dass sie in der vorliegenden Betrachtung immerhin die Gastgeber sind –, geht die erste ausgedehnte Viertelstunde drauf, um die aufwendige, nicht offizielle und informelle Begrüßungszeremonie abzuwickeln: Wer einander kennt, tauscht zwischen zwei und vier Küsschen aus. Es wird gefragt, wie es dem anderen geht – wehe, der andere erwähnt irgendein körperliches Malheur, dann wird aus der Viertelstunde ungeachtet der wartenden Gäste eine halbe Stunde!
Sollte am Vortag etwa der Einlauf der Tour de France auf den Pariser Champs Elysées oder das Endspiel in Roland Garros stattgefunden haben, wird dies ausführlich kommentiert, während die ausländischen (= nicht-französischen) Gäste schon einmal ihren Platz suchen und sich dort niederlassen. Der Grad der Ausführlichkeit und Begeisterung bei diesen Sportkommentierungen hängt natürlich davon ab, wer gewonnen hat. Solange die Tour noch von einem Belgier oder einem Spanier gewonnen wurde, konnten die Franzosen das noch ganz gut wegstecken. Aber ein Amerikaner? Und das gleich mehrmals hintereinander! Nein, der hat den Franzosen die Lust an der Tour der Leiden regelrecht verdorben – wobei man angesichts der aktuellen Doping-Vorwürfe allenthalben zu hören bekommt, man habe es ja schon immer geahnt.
Übrigens sind die zwei Beispiele, Tour de France und Roland Garros, bewusst gewählt worden, denn ein sportliches Ereignis oder ein anderes Event, das außerhalb Frankreichs stattfindet, findet keine große Beachtung, es sei denn natürlich, Frankreich spielt darin eine herausragende Rolle. Während sich Deutsche durchaus für das spannende Finale zwischen Agassi und Ivanisevic begeistern konnten, lässt das die Franzosen kalt – logisch, sie sind ja nicht dabei.
Wenn dann das Meeting endlich begonnen hat, werden die Teilnehmer mit Folienpräsentationen und Vorträgen erschlagen. Diskussionen, sprich Austausch von Gedanken, werden nicht so gerne gesehen, wobei sie nicht ganz zu vermeiden sind, da die „Ausländer“, sprich die nicht-französischen Kollegen, langsam aufmüpfig werden und diskutieren wollen! Um den Anschein des liberalen, kooperativen Ansatzes zu wahren, werden beispielsweise kleine Gruppenübungen (ateliers genannt – und nicht Workshops!) mit vorgegebenen Themen durchgeführt, wobei die Veranstalter peinlichst darauf achten, dass in jeder Gruppe mindestens ein Franzose dabei ist. Es könnte ja etwas Wichtiges gesagt werden, was man sonst versäumen würde.
Die Vorträge der Franzosen sind lang und meist sehr anstrengend, da sehr theoretisch aufgezogen. Sie zeigen eines sehr deutlich: Die Franzosen, so sehr sie sich auch bemühen mögen (tun sie das wirklich?), haben stets nur eine Sichtweise der Dinge, nämlich die eigene. Schon das erste Argument, das nicht in ihr Konzept passt, lässt sie völlig perplex, man sieht ihnen förmlich an, dass sie „daran“ nicht gedacht hatten und sie sich durch den Einwurf, die Frage, den Hinweis gestört fühlen.
(Ich darf aus gegebenem Anlass nochmals daran erinnern, dass ich hier über meine Landsleute schreibe…)
Erwarten Sie von einer Besprechung mit Franzosen nicht, dass sie zu einem Ergebnis führt. Franzosen halten sich zwar voller Stolz für Schnelldenker, doch sie mögen es überhaupt nicht, wenn man sie zu Entscheidungen drängen will, erst recht nicht, wenn es um wichtige Dinge geht. Dies liegt auch daran, dass der Entscheidungsträger meistens nicht an der Besprechung teilnimmt – bestimmt kein Zufall! Wappnen Sie sich also mit Geduld und denken Sie stets daran, dass selbst getroffene Entscheidungen noch von der nächsthöheren Hierarchiestufe bestätigt werden müssen (valider la décision).
Erwarten Sie auch nicht, dass Ihnen kurz nach dem Meeting ein Protokoll der Sitzung zugestellt wird. In den meisten Fällen gibt es keines, oder es werden Ihnen die zahlreichen Folienpräsentationen, die Sie in dem Meeting bereits zum Gähnen gebracht hatten, ersatzweise zugeschickt und als „Protokoll“ verkauft.
Franzosen bringen stets umfangreiche Unterlagen zu einem Meeting mit, ganze Berge von Ausarbeitungen, Konzepten, Checklisten und Methodenbeschreibungen, auf die sie gelegentlich mit der Bemerkung hinweisen, sie verfügen ja über diese oder jene Information in den Unterlagen, aber es würde jetzt gerade zu lange dauern, sie herauszusuchen. Kurz: Das, was sie sagen, stimmt, weil sie ja den Beweis im Unterlagenberg haben, und jede Diskussion ist überflüssig. Voilà, so einfach ist das. Sie tragen ihre Konzepte umfassend vor – die blumige und wortschatzreiche französische Sprache hilft ihnen dabei – und versuchen auch bei komplexen Argumentationen noch präzise zu sein. Dies alles stets in der festen Überzeugung, dass sie (unter anderem) in intellektueller Hinsicht jedem anderen Volk haushoch überlegen sind.
Einen Zeitplan, den sie kühnerweise aufgestellt und zu Beginn der Sitzung ermahnend präsentiert haben, sind sie außer stande einzuhalten. Die Tagesordnungspunkte werden einer nach dem anderen abgehandelt, wenn auch ohne konkretes Ergebnis. Es entsteht dabei häufig der Eindruck, die französischen Teilnehmer würden erst anlässlich der Besprechung ihre Gedanken ins Reine bringen, um dann eine Position einzunehmen. Diese wird dann erbarmungslos verteidigt, indem immer wieder dieselben Argumente mit unterschiedlichen Worten vorgebracht werden, während alle anderen beteiligten Länder in einer internationalen Besprechung zu Kompromissen bereit sind.
Die ganze Veranstaltung gipfelt dann am Ende in der Feststellung des Gastgebers: „Nous avons été efficaces, n’est-ce pas ?“.
Selbstverständlich. Dann können wir ja beruhigt in die verdiente zweistündige Mittagspause zum gemeinsamen déjeuner gehen… 😉
[…] in Frankreich Meetings ablaufen und was dabei eine Rolle spielt, hatte ich bereits vor einiger Zeit hier beschrieben. Während in Deutschland zeitliche Vorgaben wie Verabredungen, Abgabetermine für […]
[…] wie ich erfuhr, im Ausland im Deutschunterricht eingesetzt, wie zum Beispiel der Beitrag über Meetings in Frankreich – wie schön. Auf jeden Fall freue ich mich über […]
Liebe Giselle,
ich möchte dich über die Reaktion meiner Deutschschüler hinsichtlich Deines Artikels „Clin d’œil: Meeting in Frankreich“ informieren.
Nachdem ich mich mit meinen Schülern durch den Text durchgearbeitet hatte, brach eine allgemeine Erheiterung aus. Meine Schüler haben mir im Großen und Ganzen Deine Ausführungen bestätigt. Nix mit Beschwerde! Eine Schülerin meinte, dass Du schon sehr deutsch geworden sein müsstest, wenn Du Deine Landsleute so beschreiben würdest! :-))
Also, Du siehst, auch Franzosen können über Deinen Beitrag lachen. Jedenfalls vielen Dank, dass ich Deine Erlaubnis hatte, den Beitrag in meinem Unterricht verwenden zu dürfen. Ich denke, es wird nicht der Letzte gewesen sein. 😉
Ganz liebe Grüße
Birgit
Liebe Birgit, das ist aber eine tolle Rückmeldung, die mich sehr freut. Viele Grüße an Dich und natürlich auch Deine Schüler. 🙂
Giselle