Reflexive Verben und Pronomen in der französischen Sprache
Ich mich, du dich und er, sie, es – die brauchen sich, doch wir nur uns, ihr habt ja euch und sie ja sich. So kann man sich die Reflexivpronomina vielleicht etwas leichter merken, wenn man Deutsch als Fremdsprache lernt. Die Reflexivverben haben allerdings ihre kleinen Tücken. Sehen Sie selbst…
Reflexive Verben (les verbes pronominaux) sind Verben, die mit einem Reflexivpronomen (un pronom réfléchi) verwendet werden. Beispiel: sich kämmen – ich kämme mich, du kämmst dich, er kämmt sich usw.
Es gibt zahlreiche Verben, die sowohl im Deutschen als auch im Französischen reflexiv sind.
Beispiele:
- se dépêcher – sich beeilen
- se coiffer – sich frisieren
- se peigner – sich kämmen
- se laver – sich waschen
Dagegen gibt es Verben, die in der einen Sprache reflexiv sind und in der anderen Sprache nicht – und umgekehrt. Schönstes Beispiel: se marier (= heiraten). Das führt dann bei noch nicht fortgeschrittenen Deutsch lernenden Franzosen zu netten fehlerhaften Formulierungen wie „ich heirate mich am Samstag“ – na, dann: meilleurs vœux !
Beispiele:
- s’appeler – heißen
- s’abonner – abonnieren
- s’endormir – einschlafen
- se marier – heiraten
Selbstverständlich gibt es auch den umgekehrten Fall: Verben, die im Deutschen reflexiv, es aber im Französischen nicht sind.
(Eine recht umfangreiche, jedoch nicht erschöpfende Liste von Verben, die im Französischen reflexiv und im Deutschen nicht reflexiv sind bzw. umgekehrt, gibt es als Download hier.)
Beispiele:
- sich gedulden – patienter
- sich verdreifachen – tripler
- sich verändern – changer (*)
- sich schämen – avoir honte
(*) Es gibt „se changer“, was „sich umziehen“ (Kleidung wechseln) bedeutet.
Im Französischen trifft man häufig auf besondere Passivkonstruktionen in Verbindung mit reflexiven Verben.
Beispiele:
Il s’est fait voler sa montre = Ihm ist die Uhr gestohlen worden.
Hier entspricht die franz. Formulierung der einfachen deutschen Passivkonstruktion.
Ebenso in:
Elle s’est fait renverser par une voiture = Sie ist von einem Auto angefahren / überfahren worden (je nach Kontext).
Im Satz „L’inculpé s’est vu condamner à trois mois de prison“ ist die Formulierung lediglich eine gehobene sprachliche Wendung. Man könnte ebenso gut sagen:
L’inculpé a été condamné à … = Der Angeklagte ist zu drei Monaten Haft verurteilt worden.
Sehr häufig wird die reflexive Formulierung mit passivischem Sinn verwendet. Sie entpricht der deutschen „man-Wendung“ oder auch einer simplen Passivkonstruktion. Beispiele:
- Le champagne se boit très frais = Champagner trinkt man sehr kalt.
- La mayonnaise se prépare avec des œufs et de l’huile = Mayonnaise macht man mit Eiern und Öl / M. wird mit … zubereitet.
- Un potage se mange chaud = Suppe isst man heiß / Suppe wird heiß gegessen.
Die Bildung des passé composé (entspricht etwa dem deutschen Perfekt) bei französischen reflexiven Verben ist für so manchen eine große Herausforderung – das gilt auch für Muttersprachler (will sagen: Franzosen). Tritt dann noch ein Pronomen auf die grammatikalische Bühne, ist das Drama perfekt. Aber im Prinzip ist das ganz einfach. Sehen Sie selbst…
Elle se lave les cheveux. | Präsenz Sie wäscht sich die Haare. les cheveux = Akkusativobjekt (direktes Objekt) Sie wäscht sie wem? Sich = se (= indirektes Objekt) |
Elle se les lave. | Sie wäscht sie sich.s. oben |
Elle s’est lavé les cheveux (hier). | Passé composé Sie hat sich gestern die Haare gewaschen. Sie hat sich die Haare gestern gewaschen. (je nach Betonung) Das Akk.objekt steht NACH dem Verb, also wird nichts angeglichen (Kongruenz), da „se“ (hier s‘) das indirekte Objekt darstellt. |
Elle se les est lavés (hier). | Sie hat sie sich gestern gewaschen. Das Akk.objekt steht VOR dem Verb, daher wird lavés angeglichen (cheveux => masc. pluriel) |
Elle a lavé les cheveux de son fils. | Sie hat ihrem Sohn die Haare gewaschen. |
Elle lui a lavé les cheveux. | Sie hat ihm die Haare gewaschen. |
Elle les lui a lavés. | Sie hat sie ihm gewaschen. |
Elle ne les lui a pas lavés. | Sie hat sie ihm nicht gewaschen. |
Regarde la voiture que Paul s’est achetée. | Paul a acheté quoi ? la voiture ? à qui ? à lui = se |
Regarde le manteau que Marie s’est acheté. | Marie a acheté un manteau (masc.).manteau = dir. Objekt; se = indir. Objekt |
Regarde les bonbons que Simone a apportés. | Simone a apporté des bonbons (masc. pluriel). |
Ils se sont rendu visite une fois par an. | Sie haben einander einmal im Jahr besucht.rendre visite à => se = indir. Objekt |
Elles se sont parlé pendant une heure. | Sie haben eine Stunde miteinander gesprochen.se parler < parler à l’un / l’autre => se = indir. Objekt |
So, das war die Grammatikstunde der Woche …
Lustig werden reflexive Verben auch dann, wenn man Kinder hat, denen sich alle Fallstricke der deutschen Grammatik noch langsam erschließen müssen. Die haben dann zwar im Gefühl, welche Verben reflexiv sind, aber das Problem mit „mir“ und „mich“ flankt gemein dazwischen. Wie oft mein Töchterlein früher lieb gebeten hat: „Mama, kannst du mich mal helfen?“ oder mein Sohn meckerte: „Ich will mir aber nicht duschen!“ … zu niedlich. (Wobei das bei meinem Sohn eher der logische Bezug war: Es heißt ja auch „… ich will mir nicht wehtun“, und das steht auf einer Stufe mit „… ich will mir nicht duschen“ ;-))
Und Schwiegervater rezitierte gebetsmühlenartig: „Mir und mich verwechsel´ ich nicht, das kommt bei mich nicht vor!“.
(Jetzt sind sie älter und nun taucht ein neues Phänomen auf: Die Verwechslung von „mein“ und „meinem“. Wo ist dein Tornister? „In mein Zimmer!“. Aber das ist wahrscheinlich in der schönen ostwestfälischen Aussprache begründet, die beide Fälle gerne zu einem omnipotenten „meim“ zusammenzieht. Wohin gehst du? In meim Zimmer. Wo ist mein Buch? In meim Zimmer. Sehr praktisch, oder?)
Ha ha, Doro, sehr schön und witzig. Das erinnert mich an so manche „grammatikalische Neuerung“ aus kindlichem Munde. 🙂
Und bedenkt man dann noch den Unterschied zwischen reflexiv und reziprok, den manche Deutschen nicht machen, gibt das auch noch ein weiteres interessantes Thema. Aber das fällt dann wohl nicht mehr unter reflexive Verben, sondern den unabhängigen Gebrauch des Reflexivpronomens.
„Sie lieben sich“ wäre eine Aussage über selbstverliebte Personen;
„Sie lieben einander“ ist doch gleich viel romantischer, oder?
„Die beiden können sich nicht ausstehen“ ist eine Feststellung über zwei bedauernswerte Leidensgenossen;
„Die beiden können einander nicht ausstehen“ kommt in den besten Belegschaften vor.
Danke für den tollen Blog, ich lese ihn gerne!
Liebe Susanne, herzlichen Dank für das Lob und für die Anregung mit den so trefflich formulierten Beispielen. Das Thema werde ich sicher einmal aufgreifen.