Vom Aussterben bedroht

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Vom Aussterben bedroht

Über deutsche Wörter, die kaum noch jemand kennt.

Jedes Jahr verschwinden etliche Wörter. Unmerklich verabschieden sie sich – quasi wortlos. Plötzlich stellt man fest, dass sie einfach nicht mehr da sind. Verdrängt, abgeschoben, ausgestorben – weil neue Wörter da sind, die viel versprechen und nicht immer alles halten. Und die alten Wörter geraten in Vergessenheit und hauchen ihr „Wort-Leben“ aus.

Da gibt es zum Beispiel die Wörter, die einen Gegenstand oder Sachverhalt bezeichnen, den es nicht mehr oder kaum noch gibt. Haben Sie zu Hause noch ein Telefon mit Wählscheibe? Welche junge Frau bekommt von ihren Eltern noch eine Aussteuer zusammen gestellt, bevor sie in den „Hafen der Ehe“ einläuft? Und wenn Sie Musik hören wollen, schalten Sie bestimmt nicht das Abspielgerät ein… In ihrer Kindheit hatte meine Mutter ihre Zöpfe zu Affenschaukeln hochgebunden. Und wenn wir schon bei Frisuren sind: Einen Dutt macht sich heute wohl kaum noch eine Frau. Wenn schon, dann eine chice Hochfrisur.

Denken wir an die vielen Berufsbezeichnungen und Handwerkskünste, die im Zeitalter von computergesteuerten Maschinen gar nicht mehr bekannt sind. Wissen Sie noch, dass ein Köhler früher Holzkohle herstellte? Wann haben Sie das letzte Mal in einem Restaurant „Herr Ober, bitte“ rufen hören? Und bei dem Wort Klöpplerin denken die meisten wahrscheinlich nur noch an das wunderschöne Gemälde von Jan Vermeer. Den Schauwerbegestalter hat heute die Bezeichnung „Gestalter für visuelles Marketing“ eingeholt. Selbst KindergärtnerInnen und ArtzhelferInnen gibt es laut offiziellen Lehrplänen von Berufsschulen nicht mehr: Angesagt sind die Bezeichnungen ErzieherInnen bzw. medizinische Fachangestellte(r). Und der Schaffner hat sich zum Zugbegleiter entwickelt.

Allzu häufig hat ein ausländisches oder neumodisches Wort die eigentliche Bezeichnung ersetzt, wahr weil es als „chic“ empfunden wird und das Produkt sich so besser verkaufen lässt. Rauke gab es schon immer – als Kind mochte ich die bitteren schwer zu bändigenden Blätter nicht. Irgendwann verschwand sie und tauchte vor einigen Jahren als Rucola wieder auf. Im Sport gibt es Beispiele zu hauf: Dauerlauf ist out, Jogging und Walking sind in.

Auch Wunsch- oder Grußformulierungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte völlig verändert. Kennen Sie jemanden, der Ihnen in letzter Zeit zum Abschied gesagt hat: Gehab dich wohl? Da hört man doch eher „mach’s gut“, quittiert von einem „mach’s besser“. Und man fragt auch nicht mehr, wie denn das „werte Befinden“ sei, sondern fragt kurz: na, wie geht’s?

Mir scheint, dass die meisten vergessenen Wörter diejenigen sind, mit denen man Menschen bezeichnet oder betitelt, die nicht ganz zu unserem „sauberen ordentlichen Weltbild“ passen: Halunke, Flegel, Fatzke, Schlingel, Schlawiner, Geck, Halodrio, Rüpel, Eumel, Kanaille oder gar Sittenstrolch… Oder wann haben Sie zuletzt in der Zeitung gelesen, dass ein Trunkenbold einen Autounfall verursacht und ein Ganove eine Bank überfallen hat, der dann von einem Schutzmann geschnappt wurde?

  1. Aber es sind meisten Wortersetzungen oder das Wort verschwindet weil sein Inhalt verschwindet nehme ich an oder gibt es auch linguistische Verschiebungen die sowas befördern‘?

    • Ja, die Wählscheibe gibt es nicht mehr, also verschwindet das Wort aus dem Sprachgebrauch. Und manche sind der Meinung, dass Kindergärtnerin kein angemessenes Wort ist. So entwickelt sich das… Ist meiner Meinung nicht immer gerechtfertigt (die Ersetzung bei Berufsbezeichnungen).

  2. Oh – mein französisches Zitat am Anfang ist weg… Also hier noch mal:
    „- Vous avez compris son travail ? nous chuchota Monsieur Henri. Elle redonne vie aux mots rares. Sans elle, ils disparaîtraient à jamais dans l’oubli.“

    • Herzlichen Dank 🙂 Ja, es ist so schade, dass solche Wörter verschwinden, auch wenn sie nicht immer mit positiven Dingen assoziiert werden. Kürzlich „stolperte“ über den „Schlüpfer“ und den „Liebestöter“ (meine Oma trug Letzteren bei kaltem Wetter). Und gestern rief mich ein älterer Handwerker an: „Sie können mir ja fernmündlich Bescheid geben, wann es passt“. Ja…

  3. <> (Über die „nommeuse“ in Erik Orsennas „La grammaire est une chanson douce“)
    Danke für den schönen Text und die wundervollen Wörter, die mich allesamt an meine Kindheit erinnern. Natürlich nicht nur positiv. Bei uns im Lande gab es noch so etwas wie eine Aussteuer – einfach deshalb, weil Bettwäsche und Handtücher Mangelware waren. Ich habe Jahre gebraucht, um mich zum Befreiungsschlag von diesen gruseligen Teilen zu entschließen. Sie hätten bis ans Lebensende gereicht… Ein „Tschüss“ tat es in diesem Fall. „Gehab dich wohl“ allerdings hörte ich neulich einmal – schön war das.

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