Große Worte

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Große Worte

Schwulstiger Stil? Ansichtssache

2012 erhielt ich einen Brief vom damaligen französischen Präsidenten. Darin schrieb er, dass er mit mir zusammen ein neues Frankreich bauen will.

Na ja, um ehrlich zu sein: Es war ein Mail, das wahrscheinlich an die etwas über 100.000 Franzosen, die in Deutschland leben und in den Konsulaten registriert sind, verschickt wurde – per Mail oder per Schneckenpost. Darin erklärte Nicolas Sarkozy, dass er nun offiziell für eine zweite Amtszeit kandidieren wollte.
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich will hier keine Politik machen. Es geht hier um Sprache – sonst nichts. Es haben noch mehr Kandidaten für die französische Präsidentschaftswahlen ihre Pamphlete verschickt.

Unter dem Motto „Une France forte – ein starkes Frankreich“ will das französische Staatsoberhaupt dem Land „eine neue Energie einflößen“ (« insuffler une nouvelle énergie »). Sarkozy fragt, was wir (Franzosen) für Frankreich in einer Zeit, in der Risiken und Schwierigkeiten auftreten, aber auch Chancen und Hoffnung gegeben sind, tun werden (« Qu’allons nous faire pour elle en cette période faite de risques, de difficultés mais aussi d’opportunités et d’espoir ? »). Er spricht von „Mut […], Arbeit, Anstrengung und Verantwortung“ (« courage […], travail, effort et responsabilité ») und unterstreicht, dass er ein „starkes Frankreich“ anstrebt und dieses mit mir, mit uns (Franzosen) bauen will (« Cette France, c’est avec vous que je veux la bâtir… »). Ohne Frage: große Worte.

Stimmt. Aber theatralische Reden und ein von Deutschen vermutlich als schwulstig empfundener Briefstil sind in Frankreich nichts Ungewöhnliches und überraschen dort kaum jemanden. Auch auf weit kleineren „Bühnen“ als der „Staatsbühne“, auf der sich Präsidenten oder solche, die es werden wollen, bewegen. So gehört es seit jeher zum ganz normalen Usus, einen Geschäftsbrief mit einer umständlichen Formulierung wie etwa dieser hier zu beenden:

Nous vous prions, Monsieur, d’agréer nos salutations les plus distinguées.

Dem Deutschen genügt hier ein schlichtes „Mit freundlichen Grüßen“, und selbst das nahezu ausgestorbene „Hochachtungsvoll“ klingt im Vergleich zur französischen Pflichtschlussformel einfach nur mickrig. Diese Stilunterschiede gelten nicht nur für den Schlusssatz, sondern für die gesamte Geschäftskorrespondenz. Fordert man in Deutschland zum Beispiel irgendwelche Unterlagen an, schreibt man einfach: „Senden Sie uns bitte Ihre aktuelle Preisliste“. Das bloße Anfügen des kleinen „Zauberworts“ an die Imperativform genügt, um aus der Anforderung eine höfliche Bitte zu machen. Das ginge in Frankreich niemals. Dort schreibt man:

Nous vous prions de bien vouloir nous faire parvenir vos tarifs en vigueur.

Auch mündlich ist der Unterschied deutlich. Dem deutschen „Faxen Sie mir das bitte zu“ entspricht die Formulierung: „Auriez-vous la gentillesse de m’envoyer cela par fax ?“, also: „Wären Sie so freundlich, mir das zuzufaxen?“. Das gilt auch für den privaten Bereich. So sagt man in Deutschland „gib mir mal bitte das Salz“ und ist dabei absolut höflich und regelkonform. In Frankreich heißt es: „Pourrais-tu me passer le sel s’il te plaît ?“, die Bitte wird demnach in der Regel als Frage formuliert: „könntest du mir bitte das Salz herüber reichen?“

Ich erinnere mich an eine Begebenheit, die selbst mir fast die Sprache verschlug: Meine deutsche Mitarbeiterin schrieb vor ein paar Jahren einem Kollegen in Frankreich ein Mail. Ihr deutsches Konzept lautete in etwa:

„Danke für den Bericht. Allerdings fehlen noch Angaben zum Thema XY. Bitte ergänzen Sie diese bis morgen, wir brauchen die Daten für die Besprechung. Vielen Dank im Voraus.“

In Deutsch eigentlich gut und höflich formuliert, so kommuniziert man in Deutschland nicht nur intern miteinander, wenn es ums „Business“ geht. Die Mitarbeiterin übersetzte „im Prinzip korrekt“ die Sätze, die sie in Deutsch vorbereitet hatte – ziemlich wörtlich, aber rein grammatikalisch völlig fehlerfrei. Doch ihr Mail löste bei dem französischen Kollegen Unverständnis aus: Er empfand das Ganze als unhöflich und schroff, die Mail veranlasste ihn dazu, ein Generalurteil über die „Unfreundlichkeit der Deutschen“ abzugeben. Ein kurzes Telefonat klärte das Ganze.

Unter den französischen Originaltexten, die ich zu übersetzen habe, finden sich neben technischen Beschreibungen auch zahlreiche Pressetexte, offizielle Reden, Tätigkeitsberichte usw. Selten sind diese Texte – betrachte ich sie mit dem deutschen Teil meines Gehirns – straff formuliert. Da wird nicht kurz und bündig das Thema präsentiert, um dann gezielt zum Punkt zu kommen. In manchem Pressetext kommt es einem vor, als sei das beschriebene Produkt ein überirdisches Wesen, das gleichzeitig übersinnliche Kräfte besitzt und verleiht.

Das gleiche gilt für Besprechungen und Projektsitzungen: Ich habe in Frankreich etliche erlebt, in denen umständlich das Thema besprochen wurde und die nicht zuletzt deshalb wesentlich länger gedauert haben, weil mehr Personen als eigentlich notwendig teilgenommen haben und natürlich jeder Teilnehmer seinen Standpunkt ausführlich erläutern wollte. Wenn ich heute Firmen berate, dauert das Briefing in deutschen Firmen in der Regel halb so lang wie in französischen Firmen – und das hat nichts damit zu tun, dass man in Frankreich „Zeit übrig“ hat. Selbst in Frankreich dauert ein Tag „nur“ 24 Stunden.

Ja, Deutsche halten dies möglicherweise für eine seltsame Marotte und können dabei nur den Kopf schütteln. Die „Kunst der großen Worte“ ist jedoch ein wesentlicher Charakterzug der Franzosen und insofern völlig normal.

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